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Redebeitrag von Dr. Maja Wicki

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Von Dr. Maja Wicki, Philosophin/Publizistin/Psychoanalytikerin Zürich

Macht kann zwischen Gut und Böse alles sein, eine Stärkung oder
eine Gefährdung der einzelnen Menschen und der Demokratie.
Eine Gesellschaft ist nur so stark, wie ihre schwächsten Glieder es sind.
Daher ist es eine dringliche politische Aufgabe,
die Macht des Denkens und der Sprache zu benutzen,
um die Rechtsaussenentwicklung abzubauen,
der Fremdenfeindlichkeit und dem Antisemitismus entgegenzuwirken
und gegen die herabsetzende Verarmung und den gesellschaftlichen Ausschluss
eines zunehmenden Teils der Bevölkerung zu kämpfen.

Während im nahen Ex-Jugoslawien von 1991 an Krieg und Gewalt tobten und das kulturell vielseitige Land zerstörten, setzte in der Schweiz wie in Österreich, in Deutschland, in Frankreich und in weiteren Ländern eine von Jahr zu Jahr zunehmend bedrohlichere Verhärtung und Verstärkung der politischen Rechtsaussenentwicklung ein. Im Lauf dieses Jahres spitzt sich diese Entwicklung noch mehr zu, in einer macht-orientierten Rücksichtslosigkeit. All dies bedeutet einen gefährlichen Abbau demokratischer Kultur, politischer Gerechtigkeitsarbeit und menschlichen Zusammenlebens.

Was bedeutet diese Entwicklung? Gibt es Möglichkeiten, sie zu verändern?

Die Ursachen der heutzutage ängstigenden Zuspitzungen sind vielfältig, deren Absichten sind die Machtgewinnung und Machtausübung, in Bezug auf die Entwicklung nichts Neues. Im Jahr 1944 schrieb der in die USA geflüchtete Theodor W. Adorno (in "Minima Moralia" veröffentlicht), dass "der Blick auf mögliche Vorteile der Todfeind menschenwürdiger Beziehungen ist. Aus solchen Beziehungen können Solidarität und Füreinandereinstehen folgen, aber nie können sie aus Gedanken an praktische Zwecke entspringen".

Es handelt sich um unverhüllt rücksichtslose "praktische Zwecke". Deren Erfüllungsstreben zeigt sich in der Gleichschaltung des Politischen mit gegenseitig sich misstrauenden, gewinn- und entwicklungssüchtigen Wirtschaftsunternehmen, mit damit verbundener rücksichtsloser Wichtigtuerei bezüglich der eigenen Markt- und Anpassungsvorteile und daraus folgenden berechnenden, jedoch häufig überstürzten und zugespitzten Interessen- und Feindseligkeitsentscheiden. Auch geht die "praktische Zweckerfüllung" einher mit dem immer wieder feststellbaren berechnenden Widerstand gegen die notwendige, gründliche Aufarbeitung der gesamten jüngeren politischen Geschichte und deren Wiedergutmachung, Dass sich diese Geschichte ohne gründliche Aufarbeitung gerade in menschenverachtender, fremdenfeindlicher und in antisemitischer Hinsicht durch die traumatisierenden Macht- und Gewaltentwicklungen wiederholen kann, insbesondere durch die überall aufkeimende und mit lügnerischen Vorgaben oder gar mit Gewalt sich durchsetzende Ethnisierung, versetzt ganz Europa in Gefahr. Ein Wissen um die verhängnisvolle aktuelle Entwicklung und daraus entstehende aktive Gegenbewegungen sind dringlich erfordert.

Nach dem letzten Weltkrieg setzten in vielen Ländern bedeutungsvolle politische Gegenbewegungen ein, die unabgeschlossen sind und von denen eine der konstruktivsten die 1948 zustande gekommene "Allgemeine Deklaration der Menschenrechte" ist. Ich bin überzeugt, dass die Umsetzung der Menschenrechte im Sinn einer nicht missbräuchlichen Sicherheitspolitik tatsächlich eine Chance des friedlichen Zusammenlebens der vielfach unterschiedlichen, im Menschsein jedoch gleichen Menschen in jeder demokratisch strukturierten Nation ist. Reale Verpflichtungen fehlen jedoch noch in den meisten Ländern. Zwar gibt es über 70 Menschenrechtspakte und -übereinkommen, die von einzelnen Nationen ratifiziert wurden. Sie betreffen auf besondere Weise die Rechte bestimmter Gruppen des menschlichen Zusammenlebens, Kinder, Flüchtlinge, Fremde, Frauen, Arme etc., die dringend der Anerkennung und Durchsetzung der gleichen Rechte bedürfen, wie sie in vielen Fällen allein die Mächtigen besitzen. Aber selbst wenn einzelne Pakte durch Staaten ratifiziert wurden, zum Beispiel durch die Schweiz 1989 das Übereinkommen über die Rechte des Kindes oder 1994 das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassismus, breiten sich rassistische, auch judenfeindliche Tendenzen aus, oder Kinder und Erwachsene aus Ländern der lebensbedrohlichen Not, die auf irgend einem Weg in die Schweiz kamen, werden trotzdem ausgeschafft, entgegen deren Bedürfnis.

Es ist eine dringliche politische und kulturelle Aufgabe, dass die Menschenrechte, mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Verkündigung, in den Nationen, die sich auf gefährliche Weise entwickeln,

  1. in rechtlicher und politischer Hinsicht eine verpflichtende Rolle einnehmen und
  2. auf verlässliche, verpflichtende Weise zu einem weltweiten Instrument des Friedens und des guten menschlichen Lebens werden.

Die Einhaltung und Umsetzung der Menschenrechte muss für Machtausübende verpflichtend werden, auch hier in der Schweiz. Damit dies zustande kommt, müssen wachsende denkerische und politische Koalitionen eingegangen werden innerhalb eines Landes wie innerhalb der verschiedenen Länder mit all denjenigen Menschen, welchen die tatsächliche Umsetzung der Menschenrechte fehlt und die bereit sind, darum in politischer Hinsicht zu kämpfen - vor allem für das Recht, dass Menschen verschieden sein dürfen und trotzdem den gleichen Anspruch auf alle Persönlichkeitsrechte, auf Respekt ihrer menschlichen Würde, ihrer Ausbildungs- und Handlungsmöglichkeiten, kurz: auf ein angstfreies Leben haben. All dies muss als politische Aufgabe verstanden und umgesetzt werden.

Was ist die Bedeutung unserer Veranstaltung hier in Luzern, einer Gegenveranstaltung zu dem von der offiziellen Politik durchgeführten "Europa-Forum", in welchem es insbesondere um militärisch abgestützte, asylfeindliche und armutverachtende Sicherheitspolitik geht? Als ich hierher kam, schweifte der Blick über den See und hielt die Dörfer und Berge an den Ufern fest, und er ging in die Runde der Menschen, die aus allen Gegenden zusammengekommen sind.

Und es wurde mir einmal mehr klar, dass das, was zu den Bedürfnissen unseres gelebten Lebens gehört, nämlich die menschlichen, auch die politischen Mängel und Fehlentwicklungen zu klären und politische Gegenmodelle demokratischer Machtausübung zu entwickeln, in politischer Hinsicht unaufschiebbar ist. Es geht darum, den menschlichen Respekt sowie das gewaltfreie und notfreie Zusammenleben der Menschen, unabhängig von deren Herkunft, Sprache, Geschlecht, Alter und Religion, in einem politisch und kulturell so starken und stärkenden Mass zu fordern und zu fördern, dass die Rechtsaussenbewegungen zurückgehen und keine ängstigende Macht mehr ausüben.

26.3.2003
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