Militär-Interventionismus ist Krieg, der zu noch mehr Kriegen führt

GSoA-Erklärung zu 100 Jahre Zimmerwalder Konferenz und zu den beiden Manifesten

Vor 100 Jahren trafen sich in Zimmerwald die Vertreterinnen und Vertreter jener Minderheit der europäischen Linken, welche die Kriegsbeteiligung der Mehrheit der Linken ablehnte. Diese führten für die Unterstützung des militärischen Eingreifens ihrer Armeen einen durchaus idealistischen Diskurs. So wiesen die deutschen Sozialdemokratien auf den zaristischen Despotismus hin, der die Menschenrechte unterdrückte und seinen Völkern die Freiheit vorenthielt. So begründeten die französischen Sozialisten ihr Ja zum Krieg mit dem preussischen Militarismus und Autoritarismus. Auch sie behaupteten – gemeinsam mit den britischen Sozialisten – für Demokratie und Zivilisation in den Kampf zu ziehen.

Die heutigen Armeeeinsätze werden ebenso idealistisch begründet. Beim Irak-Krieg, der verheerendsten Militär-Intervention seit dem Ende des Kalten Krieges, wurden die Bodigung eines Tyrannen und die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen sowie natürlich Demokratie und Menschenrechte als Gründe angegeben. Beim Kosovo-Krieg wurde das Dilemma „Nie wieder Krieg oder nie wieder Auschwitz?“ beschworen (was eine fragwürdige Verharmlosung der Shoa bedeutete). Zwischen den beiden Kriegen gibt es einen engen Zusammenhang. Der Kosovo-Krieg war der Abschluss eines Prozesses, in dem die 1991 in ihrer Existenz bedrohte Nato eine erstarkte UNO mit Hilfe des Balkan-Krieges systematisch geschwächt und marginalisiert hatte. Die Missachtung des Völkerrechts und damit der UNO im Frühjahr 1999 erleichterte es den beiden Kriegsherren Bush und Blair vier Jahre später gegen den Willen der UNO-Mehrheit den Irak-Krieg zu führen. Angesichts der heutigen Spannungen in Europa ist auch auf den engen Zusammenhang zwischen wortbrüchiger Nato-Osterweiterung und Aufstieg des Nationalismus in Russland hinzuweisen.

Die Schweiz hat in Verletzung aller friedens- und neutralitätspolitischen Grundsätze zur politischen Stärkung der Nato beigetragen, indem sie 1996 deren „Partnership for Peace“ beitrat. Es ist kein Zufall, war der Hauptgegner dieses Bundesratsbeschlusses, der SP-Linke Remo Gysin, drei Jahre später der Hauptorganisator der UNO-Beitritts-Initiative. Nur wer gegen die Nato, den Sonderbund des reichen Nordwestens dieses Planeten, ist, wirkt für die UNO, den Bund der Völker. Ein Sonderbund schafft Chaos statt Sicherheit, nur ein Bund kann Legitimität begründen. Wenn die Schweizer Armee in den letzten 14 Jahren glücklicherweise nicht über den Swisscoy-Einsatz hinaus gekommen ist, wenn keine Schweizer Truppen vor die somalische Küste oder nach Afghanistan entsandt wurden, verdanken wir das wesentlich der Antikriegsbewegung, die auch im Parlament ihre Wirkung entfaltete.

100 Jahre nach Zimmerwald ist die Linke wieder gespalten in einen antimilitaristisch- friedenspolitischen und einen militär-interventionistischen Flügel. Diese beiden Haltungen finden ihren Ausdruck in zwei gegensätzlichen Manifesten. Das „Zweite Zimmerwald-Manifest“ der europäischen Jungsozialisten (YES), dessen Leitlinien die „soziale Gerechtigkeit“ und die „Selbstbestimmung der Völker“ sind, fordert vor dem Hintergrund des verhängnisvollen Militärinterventionismus durch Nato-Armeen: „Die EU muss sich auf ihre zivile Aufgabe zurück besinnen. Ein Ende der Kooperation mit Militärbündnissen – einzig die UNO ist für die internationale Friedenssicherung legitimiert.“ Weiter fordert es von Europa und damit der EU und der Schweiz ein „Ende des Geschäfts mit dem Tod. Es braucht ein Exportverbot für Kriegsmaterial.“ Das YES-Manifest erwähnt, dass 2014 „für mehr als 16.8 Milliarden Dollar“ Rüstungsgüter „aus Europa exportiert“ worden sind.

Das „Manifest“ der Zimmerwald-Tagung hingegen ist ein subtiles Argumentarium für den Militär- Interventionismus. Es setzt einen – natürlich idealistischen – Diskurs fort, der beispielsweise im Schweizer Parlament seit bald 20 Jahren für bewaffnete Auslandeinsätze geführt wird. So entlastet der Text die westlichen Kriegsherren (mit denen man militärisch „kooperieren“ will), indem er auf die katastrophalen Folgen des Irak-Kriegs nicht einmal anspielt. Wer vom Irak-Krieg nicht reden will, soll vom „Zerfall von Staaten“ schweigen. Der „Islamische Staat IS“ ist eine Folge der Bush-Blair- Kriegsverbrechen. Das Völkerrecht und die UNO zu betonen, ohne deren systematische Schwächung durch die Nato zu erwähnen, passt zu einer politischen Haltung, die die „Kooperation“ mit Nato- Armeen sucht. Während der Juso-Text sicherheitspolitisch ausschliesslich auf die UNO setzt, wird im Tagungs-Manifest der viel offenere Begriff „multilateral“ verwendet, was Nato und EU heissen kann. Es ist auch bedenklich, dass das Tagungs-„Manifest“, das die sicherheitspolitische Frage stark gewichtet, kein Wort verliert gegen den „War on Terror“ und dessen katastrophalen Folgen für den Frieden und die Bürgerrechte (Nachrichtendienstgesetz!).

Gezielt wird dafür auf uns Pazifistinnen und Pazifisten, beispielsweise mit dem polemischen Satz: „Wenn ein Haus lichterloh brennt, nützt der Hinweis wenig, man hätte beim Bau auf brennbare Materialien verzichten sollen.“ Gerade weil wir auf den Frieden statt auf Armeen setzen, wissen wir, dass die zivile Prävention eine grosse Herausforderung ist. Übrigens teilen wir diesbezüglich die meisten zivilen Vorschläge des Tagungs-Manifests. Es ist der militär-interventionistische Subtext, den wir ablehnen.

Grotesk ist die unkritische Würdigung der Europäischen Union als „Friedenswerk“. Das mag sie in ihren Ursprüngen gewesen sein. Abgesehen davon, dass die neoliberale und undemokratische Austeritäts-Politik der EU nicht gerade friedensfördernd ist, stellt sich die Frage: Passen die Militarisierung der Flüchtlings-Abwehr, der Waffenexport in die Golfstaaten oder nach Israel, das weltweite Intervenieren notfalls ohne UNO-Mandat, die Misshandlung von Mädchen und die Vergewaltigung von Frauen durch französische Soldaten in Zentralafrika zu einem „Friedenswerk“? Bezeichnend ist, dass das Tagungs-„Manifest“ in keinem Wort auf solche Fragen eingeht.

In ihrem Zweiten Zimmerwalder Manifest schreiben die europäischen Jungsozialisten: „Krieg ist deshalb kein Mittel sozialistischer Politik“. Dem ist aufgrund der damaligen Unterstützung des „Grossen Krieges“ durch die meisten sozialistischen Parteien beizufügen: Das militärische Eingreifen, das die Linken am stärksten bekämpfen müssen, ist das der „eigenen“ Armeen. Dies war auch der Sinn und Geist der Zimmerwalder Konferenz von 1915. Wir setzen uns dafür ein, dass deren Gedenken dem Abbau des Militärs und nicht dessen Ausweitung dient. Deshalb unterstützt die GSoA, die grösste Friedensorganisation der Schweiz, das „Zweite Zimmerwalder Manifest Dem Krieg keinen Frieden“, aber nicht das Tagungs-„Manifest“. Dieses läuft auf die Förderung des Militär- Interventionismus hinaus und verdrängt deshalb die Kosovo-, Afghanistan- Irak-Kriege sowie deren verheerenden Folgen. Was die Schweiz betrifft, lautet unsere Botschaft: Stellen wir einer Welt, in der es ohnehin zu viele Soldaten und Waffen hat, das zivile Friedenshandwerk und nicht das militärische Kriegshandwerk zur Verfügung!

Im Namen der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA):
Daniela Fischer (Sekretärin), Lewin Lempert (Sekretär), Felix Birchler (Vorstand), Josef Lang (Vorstand)

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