Buchbesprechung: Grenzen und Chancen freiwilliger Friedensdienste

Schöner Krieg führen?

Wer erinnert sich nicht an die Leserbriefe, die angesichts der Kriege im ehemaligen Jugoslawien die hämische Frage aufwarfen, wo denn die Friedensbewegung bleibe? Ein Buch skizziert anhand ausgewählter Erfahrungsberichte von Friedensdienstleistenden eine Antwort.

Ulrich Schlüer, SVP-Nationalrat und Agitator der konservativen Rechten in der Schweiz, stattete im vergangenen Oktober dem kriegsgebeutelten Bosnien einen Privatbesuch ab. Für das Publikum der von ihm herausgegebenen, rechtslastigen «Schweizerzeit» bewertete Schlüer in der Folge die heute in diesem Land geleistete Wiederaufbauhilfe.

«Typisch schweizerisch»

Das Schweizerische Katastrophnehilfekorps (SKH), welches in verschiedenen Regionen den Wiederaufbau von Schulhäusern und Wasserversorgung unterstützt, erhält dabei das Prädikat «herausragend». Die Arbeit des SKH verkörpert für Schlüer «die geduldige Zähigkeit – wohl eine typisch schweizerische Eigenschaft». Demgegenüber lehnt Schlüer die Unterstützung von zwei Jugendhäusern in Mostar – je eines im bosniakischen und im kroatischen Teil der Stadt – durch Terres des hommes als «negatives Beispiel» ab. Diese Jugendhäuser seien Hindernisse für die Rückkehr der Jugendlichen in ihre Heimatdörfer und untergrüben damit das Wiederaufbauprogramm des SKH. Mit dem schönen Geld, so Schlüer, würde man besser Familienhäuser erstellen, statt der vor dem Krieg in die Stadt geflüchteten Jugend «viele Annehmlichkeiten» zu bieten.

Insgesamt aber ist Schlüer zufrieden, dass die bosnischen Regierungstellen «Respekt vor den Schweizer Leistungen» bekunden, weil «die Schweiz, die wirklichen Bedürfnisse des Landes erkennend, in erster Linie Baufachleute und nicht wie andere Psychologen und Soziologen nach Bosnien» entsende. Ziegelstein gut, Moral nix gut? Herrn Schlüer und allen, die sich wirklich ernsthaft mit der Frage nach sinnvoller Wiederaufbauhilfe beschäftigen wollen, kann ich die Lektüre eines Buches empfehlen, das solch voreilige Schwarz-Weiss-Pauschalisierungen durchkreuzt.

Inseln der Menschenwürde

Das Buch mit dem Titel «Kleine Inseln der Menschenwürde – Freiwillige Friedensdienste im ehemaligen Jugoslawien» versammelt 26 kurze Texte von elf Autoren, acht Autorinnen und drei Friedensorganisationen aus dem Zeitraum zwischen Januar 1993 und Juli 1996. Keinesfalls eine systematische Studie über die Freiwilligeneinsätze im ehemaligen Jugoslawien, erlaubt der Band doch eine überraschend lebendige Einsicht in die Chancen und Probleme dieser neuen Form der Friedensarbeit.

Die Mehrzahl der Texte schildern die persönlichen Erfahrung von Friedensdienstleistenden aus Deutschland vor und während ihres Einsatzes. Im Vordergrund steht dabei die Arbeit mit Vertriebenen in Flüchtlingslagern, insbesondere mit Kindern. Einigkeit besteht unter den AutorInnen, dass Friedensdienste nur Sinn machen, wenn sie sich selbst als Teil eines gegenseitigen Lernprozesses sehen. Dazu gehört, so Anne Schlosser vom Christlichen Friedensdienst (cfd), «die Bereitschaft, sich verunsichern zu lassen». Verunsicherung ist denn auch das Leitmotiv aller Erfahrungsberichte.

Konflikte zulassen und aushalten beansprucht Zeit. Nicht von ungefähr stimmen die Schreibenden in zentralen Punkten überein: Die Einsätze müssen besser vorbereitet werden. Selbst die für mehrmonatige Langfristeinsätze angebotenen zweiwöchigen Vorbereitungskurse sind ungenügend. Der Austausch mit erfahrenen RückkehrerInnen müsste unbedingt verbessert werden. Zivile Konfliktintervention ist für alle Beteiligten eine grosse emotionale Herausforderung – materielle Hilfeleistung sind zwar manchmal nötig, können aber den Zusammenhang von gegenseitigen Erwartungen, Bedürfnissen und Frustrationen zusätzlich verwirren. Aus all diesen Gründen haben sich die zu Beginn des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien massenhaft angebotenen, kaum vorbereiteten Kurzeinsätze von wenigen Wochen schnell als höchst problematisch erwiesen.

Ambivalente Konfliktintervention

Viele Aufgaben und Probleme der Friedensdienste werden in diesem schmalen Band nur angetippt – und regen zu eigenen Überlegungen an. Vesna Terselic von der Antiwar Campaign in Kroatien weist darauf hin, wie wichtig das Erfassen und die Bestrafung von Kriegsverbrechen für die «Konflikttransformation» in den Nachkriegsgesellschaften ist. Die entscheidende Frage sei, ob das Geld der Geberländer in den Militärapparat oder bestenfalls in Bauwerke investiert werde, «oder ob auch etwas Geld für Demokratisierungsprozesse zur Verfügung gestellt wird». Wolfgang Kaiser vom Balkan Peace Team weist auf die Spannung zwischen verschiedenen Aufgaben von Konfliktintervention hin: «MenschenrechtsaktivistInnen müssen eindeutig Position beziehen, während bei der gewaltfreien Konfliktlösung die VermittlerInnen möglichst für keine Seite im Konflikt eintreten sollten.» Und Wolfgang Strowik, Mitarbeiter im Freiwilligen-Projekt Pakrac, thematisiert die Gefahr, dass sich «angesichts der relativ zahlreichen Hilfs- und Friedensorganisationen … bei Teilen der Bevölkerung die Tendenz etabliert, ausschliesslich passiv Hilfe und Anstösse von aussen zu erwarten».

Das Buch beinhaltet nur wenige analytische Artikel zu den politischen Hintergründen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Das ist zu verschmerzen, denn schliesslich steht die Perspektive der PraktikerInnen im Zentrum. Trotzdem hätte ich mir einige systematische Überlegungen zum Zusammenhang von spezifischen politischen Rahmenbedingungen und praktischen Handlungsmöglichkeiten von Friedensdienstleistenden gewünscht. Ganz offensichtlich beeinflussen unterschiedliche gesellschaftliche, kulturelle und politische Merkmale von Gesellschaften – beziehungsweise die Wahrnehmung dieser Merkmale in den Herkunftsländern der FriedenstdienstlerInnen – den Spielraum der Friedensdienste mindestens ebensosehr, wie der gerade aktuelle Konfliktverlauf. Dazu gibt es im Buch nur verstreute Hinweise.

Wahnsystem Krieg

Eine Bereicherung sind hingegen die Beiträge des Psychologen und Psychodramatikers Jan Bleckwedel, der die komplexen und widersprüchlichen Erfahrungen mit Krieg und Friedenseinsätzen theoretisiert – sowohl aus der Helfer- als auch aus der Opferperspektive. Bleckwedel stellt beispielsweise fest, «dass Menschen, die sich dem Wahnsystem Krieg nähern, ähnliche Symptome – wenn auch sehr abgemildert und unterschiedlich – zeigen, wie sie für unmittelbar Betroffene beschrieben werden».

Dieses Phänomen des emotionalen «Echos» ist nach seiner Meinung zwar eine Vorbedingung dafür, dass Kriegstraumatisierte das Gefühl der totalen Isolation wenigstens ansatzweise überwinden können. Auf der anderen Seite birgt es aber auch die Gefahr, dass «die Helfersysteme» sich selbst schleichend im Wahnsystem verstricken und so – wie die ProtagonistInnen selbst – vom Kriegsgeschehen und seinen destruktiven Exstasen abhängig werden. Unweigerlich stehen die Helfer vor der Sinnfrage: Während «sich Berge von Leichen türmen, kümmere ich mich darum, dass Leute ‹gut drauf bleiben›, wenn sie sich um die ‹Reste vom Völkermord› kümmern. Geht das? Wann und wie endet der humane Impuls im faktischen Zynismus?».

Alternative zu Resignation

Auf diese Frage kann es keine individuellen, sondern nur politische Antworten geben. Antworten, welche von den Friedenskräften vor Ort ausgehen und so die Aussicht auf eine politische Konfliktlösung verbessern. Antworten aber auch, welche die gesellschaftlichen Realitäten der «Opferländer» zu denjenigen der «Helferländer» in Beziehung setzen. Das Nachdenken über diese Grenze und Chance der Zivilen Friedensdienste hat eben erst begonnen. Aber, ich zitiere nochmals die cfd-Freiwillige Anne Schlosser: «Die Utopie von einem Europa, in dem gemeinsam aktiv etwas verändert werden kann, findet sich gerade in der Freiwilligenarbeit im ehemaligen Jugoslawien, wo alle Strukturen versagt haben, wieder: Für viele ist sie die Alternative zu Resignation und Aggression.»

Die Möglichkeit zu sprechen und gehört zu werden steht am Anfang eines jeden Friedensprozesses. Heike Mahlke, die mit der kroatischen Freiwilligenorganisation Suncokret und mit der Initiative ‹Den Krieg überleben› zusammengearbeitet hat, bekräftigt, «dass die Menschen vom Krieg nicht unmittelbar betroffene, geduldige Zuhörer und Zuhörerinnen brauchen, so dass sie im wiederholenden Erzählen einen Trauerprozess einleiten können, der nötig ist zur eigenen Gesundung und zur Versöhnung.» Mit effizientem Häuserbau alleine ist es jedenfalls nicht getan.