Weltreichende Polizeibefugnisse für die Armee

Bundessicherheitsarmee

Von Andreas Kyriacou

Im Rahmen der Armeereform turnt das Militär auf einer neuen Spielwiese: Die Wahrung der ‹Inneren Sicherheit›. Drei Verordnungen sollen festhalten, wann Armeetruppen Aufgaben der kantonalen Polizeikorps übernehmen dürfen. Jetzt liegen die Vernehmlassungsantworten vor.

Längst finden sie statt, die sogenannten ‹subsidiären› Einsätze der Armee. Jüngstes Beispiel dafür ist die Mobilisierung von Angehörigen des Festungswachtkorps an der Tessiner Grenze. Illegal einreisende Albaner sollen diesen Einsatz rechtfertigen, noch bevor die ‹Verordnung zum Grenzpolizeidienst (VGD)› verabschiedet ist. In Bern, Zürich und Genf übernimmt das Festungswachtkorps bei der Bewachung von Botschaften und Fluggesellschaften schon seit letztem Jahr Polizeiaufgaben – auch das, während noch über die ‹Verordnung über den Schutz von Personen und Sachen (VSPS)› verhandelt wird.

Tränengas im ‹Assistenzdienst›

Der bundesrätliche Kommentar zur Vernehmlassung und die Ende 1995 vom Generalstabschef verabschiedete Konzeptstudie ‹Subsidiäre Sicherungseinsätze der Armee› sprechen Klartext: Der Schutz von Botschaften, Konferenzen, Kommunikations- und Sendeanlagen, die Bewachung von Gefängnissen sowie der Begleitschutz von Personen und gefährlichen Gütern (z.B. Brennstäben) soll zu den in der VSPS definierten Assistenzdiensten gehören. Assistenzdienste erfolgen auf Anfrage kantonaler Regierungen, wenn deren zivile Mittel – angeblich – erschöpft sind. Der Bundesrat darf in eigener Regie bis zu 2000 Armeeangehörige während drei Wochen einsetzen. Die Bundesversammlung kann diese Limiten nachträglich erhöhen.

Der Assistenzdienst hat es in sich, denn auch Interventionen im Sinne eines «aktiveren Vorgehens» beim Objektschutz werden nach VSPS geregelt. Die dazu benötigte Ausrüstung, verpackt im ‹Interventions-Materialsatz› reicht von Sturm-, Mehrzweck-, und Scharfschützengewehren über Tränengasgranaten und Sprengmitteln bis zu Handschellen und Kabelbindern.

Freipass beim Ordnungsdienst

Auch der Ordnungsdienst der Armee – der neu als Spielart des Aktivdienstes gilt – soll in einer neuen Verordnung (VOD) geregelt werden. Aufgeboten werden darf die Armee demnach bei einer «schwerwiegenden Bedrohung der inneren Sicherheit». Und dafür steht ein zusätzliches Waffenarsenal mit Schlagstöcken, Distanzwaffen, Gummischrot und Tränengas zur Verfügung. Die Beschaffung von zwölf Radschützenpanzern «für allgemeine polizeiliche Einsätze» wurde bereits im vergangenen Herbst beschlossen. Wann die innere Sicherheit als bedroht anzusehen ist, entscheidet – falls «die Räte nicht versammelt sind und es dringlich ist» – der Bundesrat.

Sehen die beiden Verordnungen zum Assistenzdienst bereits weitgehende Kompetenzen für die militärischen Kommandanten vor, hat das EMD bei der VOD jegliches Mass verloren. Der befehlshabende Kommandant eines militärischen Ordnungseinsatzes kann, so der Verordnungstext, Einschränkungen der Grundrechte «von sich aus anordnen, wenn sie für die Erfüllung seines Auftrages erforderlich sind und die zivilen Behörden ausserstande sind, zu handeln.» Im Kommentar wird unmissverständlich dargelegt, was das Militär in eigener Kompetenz erlassen kann: Versammlungs-, Demonstrations-, Ausgeh- oder Fahrverbote, Verbot des Waffentragens, Massnahmen zur Verhinderung aufwieglerischer Propaganda, Zensur oder Sicherstellung von Massenorientierungsmitteln usw.

Auch wenn der Generalstabschef beteuert, es gehe nicht um die Einführung einer Bundessicherheitpolizei (Busipo): Aufgabenbereiche, Kompetenzen und Ausrüstung der Militärpolizei und der Berufsformationen vom Festungswachtkorps erinnern an die 1978 vom Volk abgelehnten Busipo. Ein Unterschied allerdings bleibt: Aktivitäten militärischer Einheiten können noch weniger als diejenigen von BundespolizeibeamtInnen von zivilen und demokratischen Instanzen überprüft und, wenn nötig, geahndet werden.

Vorbehalte aller Art

Aus diesen Gründen hat die GSoA die Verordnungsentwürfe im Rahmen der Vernehmlassung grundsätzlich abgelehnt – ebenso wie der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der Kanton Baselstadt sowie die SPS. Die Sozialdemokraten befürchten zudem, dass der Assistenzdienst zur Rechtfertigung von Dienstpflicht und hohen Beständen missbraucht wird. Die Frauen für den Frieden sowie diverse Westschweizer Kantone bemängeln die Ausbildungsdefizite der Truppen, die für Assistenz- oder Ordnungsdienste eingesetzt werden sollen. Genf und Jura sowie die Grünen sagen nur zum Ordnungsdienst grundsätzlich nein. Bei den anderen Verordnungsentwürfen kritisieren sie und diverse Deutschschweizer Kantone die mangelhafte Abgrenzung zwischen Assistenz- und Ordnungsdienst.

Vorbehalte der anderen Art meldet die Zürcher Regierung an: Sie befürchtet vor allem eine Kostenabwälzung des Bundes auf die Kantone. Zudem empfiehlt sie statt simple Schlagstöcke sogenannte ‹Polizei-Mehrzweck-Stöcke›. Das EMD solle nicht von Schlagstöcken, sondern von Abwehrstöcken sprechen, heisst es in Zürich.

Kommentar

(ha) Die Ablehnung des Verordnungsentwurfes ‹über den Truppeneinsatz für den Ordnungsdienst› durch die Kantone Basel, Jura und Genf und die kritische Medienberichterstattung haben das EMD zu einer Kurskorrektur bewogen. Der Ordnungsdienst soll nun zwei Spezialtruppen vorbehalten bleiben: den Einsatzzügen des Festungswachtkorps und den Milizsoldaten vom Militärpolizei-Bataillon 1. Der Verordnungsentwurf wollte die entsprechenden Kompetenzen und Waffen zusätzlich noch den Kantonen und ihren Territorialtruppen übertragen.

Dies ist zweifellos ein Erfolg für die ArmeekritikerInnen, aber insgesamt ein schwacher Trost dafür, dass die Linke und die Friedensbewegung – inklusive GSoA – es 1995 verpasst haben, das neue Militärgesetz per Referendum zu Fall zu bringen. Denn dieses Gesetz macht möglich, dass in Zukunft immerhin 1000 Armeeangehörige für repressive Polizeiaufgaben ausgebildet werden sowie dass die Armee als ganzes für den rechtsstaatlich höchst bedenklichen ‹Assistenzdienst› im Inneren und gegen Flüchtlinge bereitsteht.

Das EMD versuchte im vergangenen Sommer, die Beschaffung grosser Mengen von Polizeimaterial für die Armee in einem allgemeinen Budgetposten zu verstecken. Die öffentliche Diskussion um die repressive Aufrüstung der Armee ist nicht zuletzt SP-Nationalrat Paul Günter zu verdanken. Um so bedauerlicher ist es, dass Günter nun im SP-Pressedienst vom 30. Mai zwar die eigenen Verdienste gebührend hervorstreicht, dabei aber die eingetretene Situation völlig verkennt: In seinem mit «Schlagstöcke ade – ein Sieg der Vernunft» betitelten Artikel vermerkt er «mit Genugtuung, dass die Übung ‹Ordnungsdienst durch Soldaten› abgebrochen werden soll».

Aber leider, Herr Günter, reicht Wunschdenken nicht aus, um eine mittlere Niederlage in einen grossen Sieg zu verwandeln.