Interview mit Helmut Hubacher

«Die Armee ist übel dran»

Helmut Hubacher, seit 1963 Nationalrat und militärpolitischer Experte der Sozialdemokratischen Partei, tritt demnächst von seinem Amt zurück. Woher kommt sein Engagement, wie steht er heute zur Armee und wohin geht das EMD? Die Fragen stellten Hans Hartmann und Nico Lutz.

Militärpolitik ist ein Thema, das Sie seit Jahren beschäftigt, zu dem Sie auch Bücher geschrieben haben. Warum war die Armee ständiger Begleiter in Ihrem politischen Engagement?

Ich bin als Rekrut in diesen Verein eingetreten und als Füsilier ausgetreten. Meine militärische Laufbahn ist also bescheiden. Als ich in den Nationalrat kam, waren alle Themen besetzt, die mich speziell interessierten. Einzig für die Militärkommission gab es in der SP-Fraktion kein Gedränge. Kurz nach meinem Eintritt in den Nationalrat wurde der Mirage-Skandal öffentlich: Für doppelt so viel Geld gab es nur noch halb so viel Flugzeuge. Ich habe rasch gemerkt: Da wird äusserst fahrlässig viel Geld ausgegeben und niemand in der SP wollte sich seriös mit der Armee beschäftigen. Deshalb begann ich mich mit Militärpolitik auseinanderzusetzen.

1994 vertraten Sie in Ihrem Buch «Tatort Bundeshaus» die Position: «Landesverteidigung ja - aber nicht zu jedem EMD-Preis». Sehen Sie die kritische Bejahung der Landesverteidigung heute immer noch als linkes Konzept in der Militärpolitik?

Mein Grossvater hat den Militärdienst verweigert. Beim Aufkommen des Nationalsozialismus ist er dann trotzdem in die Ortswehr eingetreten. Gegen HitlerDeutschland sich wehren zu können, war ein prägendes Element für mich. Darum habe ich kein schlechtes Gewissen, für die Landesverteidigung einzustehen. Es macht wenig Sinn, wenn ein Kleinstaat mit dem positiven Beispiel der Armeeabschaffung vorangeht. Das wird von den Grossen nicht nachgemacht.
Die Armee war für mich immer primär eine innenpolitische Frage. Heute ist für mich klar: Wir haben zahlenmässig eine der grössten Armeen Europas, das ist verrückt. Darum fordern wir mit den ‹Friedenspolitischen Initiativen› die Armeehalbierung. Das Schweizer Volk muss lernen, mit dem Frieden nach 1989 zu leben und verstehen, dass wir nicht mehr so viel Militär brauchen. Das dauert etwas, denn zu lange hat man den Schweizerinnen und Schweizern vorgegaukelt, die Schweiz existiere nur dank der Armee.

Wogegen soll diese halbe Armee schützen?

Die Armee ist heute ganz übel dran. Sie hat keinen Feind mehr. Es gibt zwar diffuse Bedrohungsbilder, etwa ‹Jugoslawien› oder ‹der Islam›. Diese haben aber mir unserer Sicherheit konkret nichts zu tun.

Und dennoch halten Sie eine – halbierte – Landesverteidigung für notwendig?

Tatsache ist: Das Schweizer Volk hat 1989 für die Armee gestimmt. Diesen Entscheid respektiere ich. In der jetzigen internationalen Situation und im Wissen, dass die Schweiz kein Angriffsstaat ist, stehe ich noch für eine massiv reduzierte Landesverteidigung ein. Ich brauche persönlich keine Armee. Das ist aber nicht die Frage. Ich politisiere in einem Staat, der die Armee will. Also muss ich mich mit dieser Armee und deren Auswüchsen auseinandersetzen. In der Schweiz laufen Entwicklungen immer Schritt für Schritt ab. Auf einen Schlag die Armee abzuschaffen widerspricht unserer Eigenart.
Militärisch ist die Armee mit der aktuellen Bedrohungslage kaum mehr zu begründen. Das einzige, was die Armee noch sagen kann, ist: Man weiss ja nie.

1988 bezeichneten Sie die Armee als «innenpolitisches Stützkorsett». Hat die Schweiz dieses Stützkorsett heute noch nötig oder behindert es nicht vielmehr notwendige Veränderungen?

Als grosser eidgenössischer Turn- und Sportverein ist mir die Armee entschieden zu teuer. Ich denke aber, dass die Armee im Zweiten Weltkrieg psychologisch eine wichtige Bedeutung hatte. Sie verkörperte das Gefühl: Wir können uns wehren.
Die Armee hat auch heute noch einen gesellschaftlichen Stellenwert. Dieser ist in letzter Zeit zwar massiv gesunken. Die bürgerliche Mehrheit in der sicherheitspolitischen Kommission absolviert lustlos noch ihre Pflichtübung. Das Tabu Armee ist gebrochen. Der GSoA-Angriff 1989 war sehr erfolgreich, davon hat sich das EMD bis heute nicht erholt. Meine Angst war damals, die GSoA-Initiative könne die Militaristen stärken. Zum Glück habe ich mich getäuscht.
Die Lage 1989 war einmalig. Dies gilt es auch bei einer zweiten GSoA-Initiative zu bedenken. Bei umstrittenen Themen war die Zweitauflage meist schlechter als die erste.

Die Armee sucht derzeit intensiv nach neuen Legitimationen und will auch in zivilen Bereichen mehr Aufgaben übernehmen. Was halten Sie davon?

Die Armee kratzt krampfhaft alle möglichen Aufgaben zusammen. Aber wenn sie Katastropheneinsätze macht, dann habe ich nichts dagegen. Auch wenn sie eine internationale Konferenz bewacht, finde ich das sinnvoll.

Auch wenn es dabei gar nicht um die Sache, sondern in erster Linie um die Legitimierung der Armee geht?

Sicher gibt es zivile Strukturen, die diese Aufgaben primär übernehmen könnten und sollten. Die politische Realität ist leider eine andere: Das Parlament hat die innenpolitischen und zivilen Einsatzmöglichkeiten der Armee ausgedehnt. Auf die Dauer werden diese Einsätze aber eine miliardenschwere Armee nicht rechtfertigen können. Dieser Versuch ist dienstuntauglich.

Viele europäische Armeen setzen heute bei der Suche nach neuen Betätigungsfeldern auf die Karte «Friedensinterventionen». Zeichnet sich dies auch in der Schweiz ab?

Die Blauhelme wurden abgelehnt. Und für mich ist klar: Bevor wir nicht eine politische Öffnung gegenüber Europa und der Uno haben, muss man mit uns nicht über militärische Auslandspaziergänge reden wollen. Solange wir international in diesem Ausmass isoliert sind, sehe ich keinen Spielraum für eine militärische Öffnung. Militärstrategen, die das heute fordern, haben im Bundeshaus keinen grossen Rückhalt. Ich sehe keinen politischen Willen zu einer Integration der Armee in ein europäisches Sicherheitssystem.

Helmut Hubacher, herzlichen Dank für dieses Gespräch.