hintergrund: Frauenrechte und Krieg

All right?

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag setzt in seinem Prozess gegen einen General des Bosnienkriegs neue juristische Standards • Von Jasna Bastic

Am 24. Juni dieses Jahres wurde am Internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (ICTY) das Verfahren gegen General Tihomir Blaskic eröffnet. Blaskic, Oberkommandierender der Armee der bosnischen Kroaten (HVO), ist der bisher höchstrangige Militäroffizier, der in Den Haag vor Gericht musste. Zum ersten Mal seit den Nürnberger Prozessen wird wieder ein Offizier für seine Rolle im Krieg zur Rechenschaft gezogen.

Die Anklagen gegen Blaskic sind schwerwiegend: «Vorsätzliche Tötung und Körperverletzung, inhumane Behandlung und gewaltsamer Transfer von Zivilpersonen, ungesetzliche Angriffe gegen Zivilpersonen und zivile Objekte, Zerstörung und Plünderung von zivilem Eigentum, grobe Verletzungen der Genfer Konvention, Übertretung von Gesetzen oder Gebräuchen des Krieges und Verbrechen gegen die Menschlichkeit».

Die schlimmste Einzeltat, die Blaskic vorgeworfen wird, ist die Ermordung von 96 muslimischen ZivilistInnen im Dorf Ahmici (Zentralbosnien) im Verlaufe des bosnisch-kroatischen Krieges im April 1993. Zu dieser Zeit hatte Blaskics das Kommando über diese Region inne.

Zeitweilige Konfusion

Diese Klagen basieren auf schon existierendem internationalem Kriegs- und Menschenrecht, namentlich auf der Haager Konvention über die Respektierung von Gesetzen und Gebräuchen des Krieges, der Charta des Internationalen Militärtribunals über Verbrechen gegen die Menschlichkeit (1945) und auf dem Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer (1949). Allerdings bieten weder diese Dokumente noch die eigenen Richtlinien des ICTY eine klare Definition der ermittlungs- und verfahrensrechtlichen Grundsätze, die für internationale Kriegsverbrecherprozesse gelten sollen. Mit anderen Worten: Es ist weder klar, welche Beweismittel und was für Zeugenaussagen im Prozess überhaupt zugelassen werden, noch wie sie erfasst werden sollen.

Noch gibt es kein internationales Rechtssystem, das diese neuen juristischen Fragen regelt. Den Verfahren des ICTY liegt eine Kombination von Elementen zweier verschiedener Rechtskulturen zugrunde, nämlich das angelsächsische und das kontinentaleuropäische Verfahrensrecht. Dies führt zu zeitweiliger Konfusion.

Dennoch können die Haager Entscheidungen für zukünftige, ähnliche Verfahren gegen hochrangige Militäroffiziere wegleitend sein - und in diesem Sinn neues Recht setzen.

Was ist Recht?

Das Ankläger-Team, geführt von Mark Harmon (USA) versucht, drei Ebenen von Blaskics Verantwortung für die Kriegsverbrechen geltend zu machen. Ihm wird vorgeworfen, dass er kriminelle Akte geplant, angestiftet und befohlen habe, dass seine Untergebenen mit seinem Wissen kriminelle Akte begangen hätten, ohne dass er etwas unternommen habe, um diese Akte zu stoppen und dass er die Täter nicht bestraft habe.

Mit diesem Vorgehen will die Anklage die Kette von militärischer Planung und Entscheidungsfindung in der HVO aufzeigen, um damit zu beweisen, dass Blaskic seine Einheiten unter Kontrolle hatte. Chef-Ankläger Harmon sagte in seiner Eröffnungsrede zu Beginn des Prozesses, dass die Verbrechen gegen die muslimische Bevölkerung organisiert waren. Sein Ziel ist es, zu beweisen, dass Blaskic und die HVO unter der direkten Führung und mit der Unterstützung der höchsten politischen und militärischen Behörden in Zagreb gehandelt haben.

Der Internationale Gerichtshof erliess inzwischen einen gerichtlichen Erlass, mit dem Kroatien unter Strafandrohung aufgefordert wurde, für den Fall Blaskic beweiskräftige Dokumente auszuhändigen. Es geht dabei um Dokumente aus den Kriegsarchiven des kroatischen Verteidigungsministeriums und aus dem Hauptquartier der HVO in Bosnien, welche die Lieferung von Waffen und militärischen Plänen betreffen und die Existenz entsprechender Befehlsketten beweisen sollen.

Die Öffnung dieser Archive kann die direkte Beteiligung Kroatiens am Krieg in Bosnien publik machen: die Vorbereitung, Finanzierung und Realisierung der kroatischen Politik der Teilung Bosniens und der ethnischen Säuberung, deren Ziel die Ermordung Tausender ZivilistInnen war. Es erstaunt deshalb nicht, dass Kroatien dem Erlass aus Den Haag nicht nachkam, müssten doch in der Folge die höchsten Regierungsvertreter Kroatiens angeklagt werden.

Ächtung des Krieges

Der Prozess gegen Blaskic ist aus mehreren Gründen bedeutungsvoll. Er kann das Geflecht von Waffenhandel, politischen und militärischen Plänen, Gewalt und Verbrechen als Mittel extremer nationalistischer Politik sichtbar machen und damit die Legende des jahrhundertealten Völkerhasses auf dem Balkan als Lüge entlarven. Vom juristischen Standpunkt aus ist der Prozess bedeutungsvoll wegen der neuen gerichtlichen Prozeduren, die beispielhaft für alle künftigen Prozesse am Internationalen Gerichtshof gegen hohe Offiziere sein werden.

Dem Haager Tribunal wurde oft Wirkungslosigkeit vorgeworfen. Verweigern die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien die Kooperation, so stehen ihm keine Zwangsmittel zur Verfügung und es kann die angeklagten Personen nicht verhaften lassen. Das Tribunal hat 75 Anklageschriften verfasst, aber in Den Haag sitzen nur zehn Angeklagte. Trotzdem ist dies der Anfang der Einrichtung eines permanenten internationalen Kriegsverbrecher-Tribunals: Verhandlungen darüber sind bei der UNO im Gang.

Der Fall Blaskic und die Einrichtung eines permanenten Tribunals sind kleine Schritte auf dem Weg zur Ächtung von kriegerischen Mitteln zur Lösung von politischen Konflikten. Hoffentlich wird die Arbeit des Tribunals auch die Absurdität der Unterscheidung zwischen «erlaubtem» und «unerlaubtem» Töten sichtbar machen. Krieg ist nichts anderes als legalisierter Massenmord, und die Genfer Konvention und andere humanitäre Vereinbarungen kennen nur einige wenige Regeln, mit denen die Zivilbevölkerung vor kriegerischen Handlungen bewahrt werden soll. Die Statistiken sprechen allerdings eine andere Sprache: In einem modernen Krieg kommen auf einen getöteten Soldaten zehn getötete ZivilistInnen.

 

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(rs) Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda beschäftigt sich auch mit Kriegsverbrechen gegen Frauen. Ein Reader bietet wertvolle Informationen zu diesem Thema.

Weibliche Überlebende des Genozids sind am Strafgerichtshof immer seltener ein Thema. Die Gefahr besteht, dass ihre Stimmen ungehört verhallen. Da es für sie oft schwierig ist, ihre Erlebnisse dort zu artikulieren, wo sie leben und da sie häufig genug in der physischen Nähe ihrer Vergewaltiger leben müssen und daher mit Vergeltung zu rechnen haben, braucht es andere Wege, ihre Erfahrungen weiterzugeben. Die Coordination of Women's Advocacy (CWA), eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, nimmt sich deshalb des Schutzes von Frauenrechten in Kriegs- und Konfliktsituationen an. CWA hat zu diesen Bereichen während der letzten vier Jahre Analysen und Informationen bereitgestellt und ein Netzwerk von Expertinnen aufgebaut, um die Entwicklung des Strafgerichtshofs zu beobachten. Dieses Netzwerk hat dem Strafgerichtshof im Umgang mit Delikten geholfen, denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit zum Opfer gefallen sind. CWA hat ebenfalls auf die Notwendigkeit der Beachtung kultureller Zusammenhänge verwiesen, muttersprachliche Übersetzerinnen gefordert, Verbesserungen im Gerichtsverfahren angemahnt und Kommentare zum Rechtskodex selbst verfasst. Es hat das Problem eines sicheren Aufenthalts von Überlebenden aufgegriffen, deren Nicht-Diskriminierung im Verfahren gefordert und den Aufbau eines künftigen Lebens in Würde für die betroffenen Frauen thematisiert.

CWA hat nun zu seiner Arbeit einen Reader herausgegeben. Er bietet Analysen und Informationen zu den Themen Frauen und Genozid, Frauen als Aussagende vor internationalen Tribunalen, zur Rolle von psychosozialen Projekten im Friedensprozess und zu Prozeduren des Strafgerichtshofs. Der Reader mit dem Titel: «Keine Zeit für Frauen» kann bei folgender Adresse bestellt werden: Coordination of Women's Advocacy, Ancien Collège, CH-1271 Givrins, Tel.: 022 369 40 90, Fax 022 369 40 70.