Gewissenskonflikte … gewisse Konflikte

Wie ein Mitglied der Zulassungskommission für Zivildienstleistende plötzlich auf der falschen Seite des Tisches landet und was ihm dabei widerfährt • Das Gespräch mit Daniel Wyder führte Hans Hartmann

Die Mitglieder der Zulassungskommission für Zivildienstleistende werden an Schulungsseminaren darin unterrichtet, wie ‹Gewissen› überprüft werden kann. Ein Gewissensprüfer, der seine Militäruniform an den Nagel hängen will, fällt beim amtlichen EEG allerdings selbst durch: «Vielleicht habe ich wirklich nicht ganz begriffen, worin diese ‹Gewissensnot› besteht, welche die Zulassung zum Zivildienst legitimieren soll.»

Herr Wyder, wie sind Sie ‹Gewissensprüfer› in der Zulassungskommission für den Zivildienst geworden?

Ich habe die politische Diskussion um den Zivildienst bereits seit langem verfolgt. Ein Inserat in einer lokalen Tageszeitung brachte mich im vergangenen Jahr auf die Idee, mich als Mitglied der Zulassungskommission beim Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) zu bewerben. Dort hatte ich zwei Bewerbungsgespräche zu bestehen, bei denen es um meine Einstellung zum Zivildienst, die Fähigkeit ein Gespräch zu führen und im Team zu arbeiten, eigenes Engagement sowie um den Umgang mit Jugendlichen ging.

War auch Ihre Einstellung zum Militär ein Thema?

Ja, ich habe offen gesagt, dass ich das Militär und die Gewissenprüfung beim Zivildienst nicht für nötig halte. Das war aber offenbar kein Hinderungsgrund.

Wie wurden Sie auf Ihre Aufgabe vorbereitet?

Wir Kommissionmitglieder wurden an einem Schulungsseminar über die gesetzlichen Grundlagen informiert. Wir wurden in Gesprächsführung unterrichtet, und wir diskutierten über die grundsätzliche Frage, wie ‹Gewissen› überhaupt überprüft werden kann.

Nämlich …?

Die Idee ist, dass es Erkennungsmerkmale für Gewissenskonflikte gibt. Einerseits sollte man sehen, worauf ein Gewissen abgestützt ist. Was für einen familiären Hintergrund hat der Befragte, welche Rolle spielte Religiosität in seiner Erziehung, hat er spezifische Erfahrungen in der Schule oder in einer Jugendgruppe gemacht? Bei einem Antragssteller, der in einem mir unvertrauten Art über Leben und Tod geredet hatte, stellte sich schliesslich heraus, dass sein Vater in einem Krematorium arbeitet. Bei älteren Personen ab 25 Jahren schaut man vermehrt auf den Bildungsweg. Hat jemand z.B. aus bestimmten Gründen ein Lehre abgebrochen oder den Beruf gewechselt?

Zudem geht man davon aus, dass sich der Gewissenskonflikt auch in anderen Lebensbereichen zeigen sollte, z.B. durch ein spezifisches Engagement oder in einer bewussten Art, mit Konflikten umzugehen. Wichtig für die Anhörungen ist noch ein weiterer Aspekt: Ist ein Bewerber ‹glaubwürdig›?

Wie sehen die Kriterien dafür aus?

Die dreiköpfige Zulassungskommission ist verpflichtet, ihren Entscheid auf der Basis einer Anhörung zu fällen. An schriftlichen Dokumenten liegt ihr nur das vor, was der Bewerber eingereicht hat. Zusätzliche Informationen – z.B. das Dienstbüchlein oder militärische Gerichtsakten – hat nur das BIGA, das den Entscheid der Kommissionen allenfalls auch wieder umstossen kann.

Die Kommission kann daher die Aussagen der Antragssteller nicht wie ein Gericht überprüfen. Sie kann etwa nicht selbständig Zeugenaussagen einholen. Entscheidend ist daher, ob die Antragsteller im Grossen und Ganzen als ‹glaubwürdig› erscheinen. Am Ausbildungsseminar wurde daher auch das Erkennen von Körpersprache geübt – das ist allerdings ein heikles Mittel. Praktisch immer stellt die Kommission auch Fragen der Art: «Wie würden Sie reagieren, wenn das Gesuch abgelehnt wird?»

Was ist dabei der Hintergedanke?

Es geht darum herauszufinden, ob der Antragsteller emotional betroffen ist. Wenn die Reaktion distanziert ausfällt, wenn jemand einfach emotionslos sagt, er würde halt den Militärdienst verweigern, dann wird die Interpretation schon schwieriger. Dass es dabei Fehlentscheide geben muss, ist allen bewusst, die diese Arbeit machen. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als ‹aus dem Bauch heraus› zu entscheiden.

Zivildienstwillige sind ja schon bereit, den anderthalbfach längeren Dienst zu leisten. Ist das nicht schon Tatbeweis genug?

Folgt man dem Buchstaben des Gesetztes – und das tun die Zulassungskommissionen – leider nicht. Aber es spielt schon eine Rolle: Die anderthalbfache Dauer und darüber hinaus das komplizierte Bewerbungsverfahren sind an sich schon eine hohe Schranke. Man muss nicht nur ein formal korrektes Gesuch stellen und einen Strafregisterauszug beilegen, man muss den Antrag auch begründen und einen ausführlichen, mehrseitigen Lebenslauf liefern. Mit anderen Worten: Vor der Zulassungskommission erscheinen meistens hochmotivierte Leute, die sich die Sache gut überlegt und ihren Auftritt intensiv vorbereitet haben. Das ist ein Grund für die relativ hohe Anerkennungsquote der Bewerber …

… die allerdings am sinken ist!

Dafür gibt es mehrere Gründe: Da man beim BIGA die Anfangsphase nicht unnötig erschweren wollte, wurden zu Beginn auf der Basis der schriftlichen Dokumente eher die ‹klaren› Fälle ausgewählt. Darunter waren zudem relativ viele, die sich schon vor längerer Zeit für ein Zivildienstgesuch entschieden hatten und entweder schon den Militärdienst verweigert hatten oder die Zwischenzeit mit Dienstverschiebungsgesuchen überbrückten. Inzwischen kommen häufiger ganz junge Leute, die sich kurzfristiger zu diesem Schritt entscheiden, und deren Argumentation daher noch unreifer ist.

Im wesentlichen kommen also Leute vor die Kommission, die früher vielleicht verweigert hätten?

Ja, oder solche, die den Dienst nur sehr halbherzig durchgezogen hätten.Ich selber bin so ein Fall. Ohne vom Militärdienst überzeugt zu sein, habe ich früher auf eine Verweigerung verzichtet. In einem Spitalsoldaten-WK vom vergangenen Winter habe ich mir aber ausgehend von einem konkreten Erlebnis wieder einmal grundsätzlich überlegt, auf was genau ich da eigentlich vorbereitet wurde: auf einen Krieg, der unzählige Tote und Verwundete mit sich bringen würde. Das löste bei mir eine tiefe Krise aus, und ich spürte, dass ich da nicht mehr mitmachen konnte. Für mich kam das selbst überraschend. Ich brach den WK ab und stellte ein Zivildienstgesuch …

… und so sind Sie plötzlich auf der anderen Seite des Tisches gelandet, an dem sie vorher das Gewissen anderer Antragsteller geprüft haben?

Das war schon seltsam. Die Anhörung fand tatsächlich im gleichen Raum statt, in dem ich jeweils die Antragsteller begutachtete, und die protokollierende BIGA-Mitarbeiterin war mir auch wohlbekannt.

Wenigstens war die Zulassung mit Ihrem Vorwissen ein Kinderspiel, nehme ich an.

Das könnte man meinen. Aber die Anhörung verlief sehr hektisch. Ich war nervös, hatte das Gefühl nicht richtig verstanden zu werden, und ich hatte mich, so paradox das tönt, nicht richtig vorbereitet. Natürlich kannte ich die Kriterien genau, nach denen die Kommissionen die Gesuche beurteilen. Aber ich wollte meinen Antrag bewusst nicht nach diesen Kriterien ausrichten, sondern möglichst authentisch vermitteln, was dazu geführt hatte, dass ich den Militärdienst nun doch verweigerte. Am Schluss der Anhörung fragte mich eine der Prüferinnen, wie ich als Kommissionsmitglied nach den mir bekannten Kriterien entscheiden würde. Da wurde mir klar, dass mein Gesuch wahrscheinlich abgelehnt werden würde.

Also ist es bei einer Anhörung nicht unbedingt von Vorteil, möglichst ehrlich zu sein. Ist es wichtiger, sich die richtigen Überlegungen gemacht zu haben und diese glaubwürdig vertreten zu können?

Ja. Es macht die Sache zwar nicht unbedingt einfacher, wenn man lügen muss, aber sicher ist es von Vorteil, wenn man den eigenen Fall so zurechtrücken kann, dass er möglichst den Idealkriterien der Zulassungskommission entspricht. Wer sich in diesem Sinn gut ‹verkaufen› kann, hat eindeutig bessere Chancen.

Tatsächlich wurde mir mitgeteilt, mein Antrag werde von der Kommission mit drei zu Null Stimmen abgelehnt, weil meine Beweggründe nicht emotional spürbar seien und es sich nur um einen rationalen Entscheid handle. Ich musste einen Rekurs schreiben und stand vor der seltsamen Frage, ob ich nun meine Emotionen auf schriftlichem Weg nachliefern sollte.

Was passierte mit Ihrem Rekurs?

Neben der Rekurskommission begutachten in der Regel die gleichen Leute, die einen schon angehört haben, den Rekurs. Zu Handen des BIGA schlagen sie vor, das Zivildienst-Gesuch nachträglich doch noch gutzuheissen, die Anhörung zu wiederholen oder den Rekurs ganz abzuweisen. Der eigentliche Entscheid liegt dann aber beim BIGA.

Nach längerer Zeit wurde ich endlich zu einer zweiten Anhörung eingeladen. Diesesmal bereitete ich mich besser vor. Zudem wurde die Person, welche die Anhörung leitete, ausgewechselt – und diesmal wurde mein Gesuch mit zwei gegen eine Stimmen angenommen.

Welche Konsequenzen hatte dies alles für Ihre Mitarbeit in der Zulassungskommission.

Offiziell passierte vorerst nichts. Als ich einige Zeit lang nicht mehr zu Anhörungen aufgeboten worden war, wollte ich vom BIGA wissen, was denn eigentlich los sei. Der Präsident der Zulassungskommission, Anton Keller, teilte mir schliesslich schriftlich mit, dass sich einzelne Mitarbeiter eine weitere Zusammenarbeit mit mir nicht mehr vorstellen könnten. Indirekt gab er mir zu verstehen, dass man von mir einen freiwilligen Rücktritt als Kommissionsmitglied erwartete.

Auch weitere, persönliche Gespräche brachten keine Veränderung. Im BIGA beharrte man auf meinem ‹freiwilligen› Rücktritt; andernfalls würde man mich einfach nicht mehr für Anhörungen aufbieten. Offenbar gab es sogar Leute im BIGA, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen mich anstrebten, doch Samuel Werenfels, der Chef der Zentralstelle Zivildienst beim BIGA, hat das offenbar verhindert.Da ich keine Lust hatte, meinen Fall übermässig zu politisieren und da eine weitere Mitarbeit in der Zulassungskommission unter diesen Umständen sinnlos war, blieb mir schliesslich nichts anderes übrig, als doch zurückzutreten.

Und möglicherweise haben die Leute, die mich raushaben wollten, ja recht: Vielleicht habe ich wirklich nicht ganz begriffen, worin diese ‹Gewissensnot› besteht, welche die Zulassung zum Zivildienst legitimieren soll. Wenn das stimmt, sollte man für die Zulassungkommission allerdings nur noch Leute nehmen, die ihre Fähigkeit, Gewissensnöte glaubwürdig darzustellen, selber schon unter Beweis gestellt haben.

 

Daniel Wyder, 30, ist dipl. Maschinen-Ingenieur HTL und Präsident der SP Sektion Utzwil. Er hat am 23. Oktober 97 seinen Rücktritt aus der Zivildienst-Zulassungskommission eingereicht.