Frieden, mit dem Staat?

Gewaltfreiheit sei, so wird behauptet, eine Idee für Ewiggestrige. Die Diskussion um den ZFD soll zeigen helfen, dass sie eine Idee fürs 21. Jahrhundert ist – und dass die wirklichen Fundamentalisten unter den Armeebefürwortern zu finden sind. Ob zivile Instanzen des Staates dieses Anliegen eher fördern oder blockieren, ist umstritten • Von Hans Hartmann

In ihrem Entwurf für ein neues Wahlprogramm fordern die deutschen Grünen die langfristige Auflösung von Bundeswehr und Nato. Eine Möchtegern-Regierungspartei gegen die Armee? Das Renommierblatt der politischen Mitte in Deutschland, die Zeit, wittert «Budenzauber», «moralische Zeigefinger» und «ranzigen Anti-Nato-Ballast». Weil die Grünen Basismitglieder - trotz einer Nato, die «das Schlachten in Bosnien beendet» und einer Bundeswehr, die «Dämme gegen Hochwasserfluten errichtet» - ihren «unbeugsamen Antimilitarismus» von gestern nicht aufgeben wollen, sind sie für die Zeit «Traumtänzer», die «die Augen vor der Wirklichkeit verschliessen». Schlimmer noch: Der Programmentwurf sei nichts anderes als eine «Vergewisserung im Gestern» (Die Zeit, 24.10.97).

Auch in der NZZ bekommen die Grünen ihr Fett ab: Zwar habe «das Abschlachten in Bosnien» auch bei den Grünen «zu einer gewissen Läuterung geführt» und den Realo-Flügel zu einer Verabschiedung von der Gewaltfreiheit gezwungen. Doch die grünen «Fundamentalisten» seien mit solchen «pubertären Postulaten» immer noch präsent (NZZ, 27.10.97). Auch bei den österreichischen Grünen bemängelt die NZZ solch ewiggestrige Elemente, die «pazifistische Dogmatik höher bewerten als den Schutz von Unbeteiligten, wenn militärische Mittel notwendig wären».

Neoliberale Moral

Und die Moral solcher Geschichten? Wer heute die Notwendigkeit militärischer Gewalt bezweifelt, ist nicht mehr, wie noch vor zehn Jahren, von Moskau ferngesteuert, sondern schlicht: von gestern. Frieden ist ‹out›, Kontrolle ist «in» - oder in Anlehnung an ein Bonmot von Frank Zappa: Peace is not dead, it just smells funny.

Modern sein heisst in diesem Sinn: Nicht nach Ursachen, Interessen und Zusammenhängen fragen, sondern dafür sorgen, dass alles effizient funktioniert. Das ist die Moral des Neoliberalismus, die zwar gerne die «Menschenrechte» im Munde führt, bei der aber eigenständig denkende und handelnde Menschen nur stören. Wenn sich diese Ideologie durchsetzt, bedeutet das nicht nur eine Militarisierung der Vorstellungen von Sicherheit. Es geht um mehr: darum, ob gewöhnliche Menschen wie wir immer weniger zu unseren eigenen Angelegenheiten zu sagen haben oder ob wir im Stande sind, unsere lokale Beschränktheit zu überwinden und eine globale Alternative von unten zu entwickeln.

Zwei Optionen

Gewalttätige Konflikte bilden den Hintergrund, vor dem diese Ideologie durchgesetzt werden soll. Das ist kein Zufall, denn Gewalt - und in besonderem Mass kriegerische Gewalt - ist ein Massenphänomen, das die Phantasien fast aller Menschen beschäftigt, Ängste auslöst und dem Denken Grenzen setzt. Die Eindämmung unbeschränkter Macht und Gewalt ist für jede Politik eine zentrale Herausforderung.

Im Zeitalter des globalen Neoliberalismus gibt es angesichts von Gewalt zwei prinzipielle Optionen: weltweiter Militarismus mit seinen Interventions- und Kontrollphantasien auf der einen - gegenseitige, zivile Solidarität von unten über staatliche und gesellschaftliche Grenzen hinweg auf der anderen Seite.

Der militaristische Internationalismus ist eine Begleiterscheinung der Auflösung politischer Räume durch «höhere Gewalten»: durch Finanzmärkte, Multis und ihre internationalen Agenturen. Sie zerstören die gesellschaftlichen Institutionen, welche soziale Probleme steuern können. Militärische Kontrolle von Konflikten ist vor diesem Hintergrund wirklich die vielzitierte «ultima ratio»: der letzte, verzerrte Rest von politischer Rationalität. Staaten und politische Organisationen wie die Uno taugen gerade noch dafür, diese Schmutzarbeit zu erledigen.

Die Rückeroberung politischer Räume muss von der zivilen Gesellschaft selbst ausgehen. Dieser Gedanke steht hinter der Idee eines freiwilligen Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Der ZFD will eine Plattform sein für die verschiedenartigsten Ansätze, die die Logik der zivilen Solidarität unterstützen. Sicher ist der ZFD nicht der einzige Knotenpunkt, der solche Basisprojekte zusammenführen kann. Aber er ist einer - je mehr Menschen in verschiedenen Ländern sich daran beteiligen desto eher.

Wohin geht der Staat

Und der Staat? Er hat das Gesicht der Gewalt in den letzten Jahrhunderten entscheidend geprägt, sowohl als Bezwinger von Willkür und Faustrecht als auch als Organisator kollektiver Gewaltorgien. Heute wird dieses staatliche Gewaltmonopol erschüttert und der Charakter der Staaten selbst ändert sich.

Die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage lautet: Wer verhindert, dass die Staaten zu Instrumenten internationaler Kontrollapparate - von der Nato bis zum IWF - verkommen? Wie machen wir staatliche Institutionen zu Verbündeten des zivilgesellschaftlichen Kampfes von unten – eines Kampfes, des sich für die Überwindung von Unrecht und andere Gewaltursachen mit den Mitteln demokratischer Politik einsetzt?

Diskussion in der GSoA-Zitig

Brisant ist diese Frage, wenn es um die konkrete Realisierung eines ZFD geht. Das Forum Ziviler Friedensdienst in Deutschland fordert die Anerkennung ziviler Solidarität durch den Staat offensiv ein (vgl. S.20). Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, selbst Mitgliedorganisation des Forums, warnt dagegen vor der Gefahr einer Vereinnahmung und Militarisierung der ZFD-Idee durch die Obrigkeit (vgl. S.18).

In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die übrigen, in diesem Bund abgedruckten Texte. Sie beschäftigen sich mit der - vermeidbaren - Gefahr eines zivilen Friedensinterventionismus, mit dem Verhältnis der offiziellen Schweizer Aussenpolitik zu Nichtregierungsorganisationen sowie mit spezifischen Chancen, die sich der ZFD-Diskussion in der Schweiz vor dem Hintergrund des helvetischen Sonderfall- und Humanitätsdiskurses bieten. Eingeleitet wird der Bund von einem Beitrag über die Geschichte des ZFD in Deutschland.