Siegen mit dem ZFD?

Der zivile Friedensdienst darf nicht zum Helfershelfer der neuen Weltpolizisten werden. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fragt nach der pazifistischen Orientierung der ZFD-Debatte • Von Wolf-Dieter Narr, Roland Roth und Martin Singe

«Die Blockade der Phantasie gehört mit zum schlimmsten Erbe einer sich in diversen Kriegsstadien befindenden Welt. Gerade darum ist es notwendig, dass Konzept und Ansätze friedlicher Konfliktbearbeitung nach ihrer eigenen pazifistischen Logik entwickelt werden.»

Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und die dadurch ausgelöste Beendigung des Ost-West-Konfliktes ist nicht nur für die internationale Konstellation eine wichtige Zäsur, sondern auch für die Friedensbewegung. Die bipolare Welt der sich gegenseitig mit Weltuntergang bedrohenden Grossmächte hat sich zu einer globalen, unipolaren militärischen Machtstruktur unter Führung der USA gewandelt, die – gemeinsam mit den reichen Industrieländern (G7) – die ‹Neue Weltordnung› durchsetzen und absichern wollen. Statt weltweiter Abrüstung wird eine Umrüstung organisiert, die dieser neuen Zielsetzung im militärischen Bereich entsprechen soll.

Demgegenüber forderte die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in vielen anderen Ländern Europas, konsequent abzurüsten: «Bundesrepublik ohne Armee» oder «Europa ohne Armee» – so lauteten die Forderungen. Die Forderung nach Abrüstung allein blieb jedoch unbefriedigend, solange die Friedensbewegung nicht sagen und demonstieren konnte, wie sie den Konflikten begegnen wollte, die bis zu Kriegen eskalieren konnten. Für die Friedensbewegung hat sich so im Laufe weniger Jahre zur Kritik an Rüstung und militärischer Formierung der Aussenpolitik sowie an der kapitalistisch bedingten Produktion von Ungleichheit und darin enthaltener Aggression die Entfaltung von Konzept und Ansätzen ziviler Konfliktbearbeitung als zweite grosse Aufgabe hinzugesellt. Der Anspruch ist, die Form der Konfliktbearbeitung zu transformieren, die militärische Konfliktaustragung als eine zutiefst barbarische Form zugunsten ziviler Formen zu überwinden.

Blockade der Phantasie

Wir wissen selbstverständlich, dass die Orientierung auf und die Praxis der kriegerischen Konfliktzerschlagung, die neue kriegerische Konflikte verursacht, auf nicht absehbare Zeit dominieren wird. Die damit und mit der dafür notwendigen dauernden Auf- und Umrüstung verbundenen Herrschafts- und Profitinteressen stecken gesellschaftlich viel zu tief. Ihnen ist es gelungen, die Kraft der meisten BürgerInnen zu blockieren, sich eine Welt voller Konflikte jedoch mit Formen strikt friedlicher Konfliktentspannung und Konfliktlösung auch nur vorzustellen.

Diese Blockade der Phantasie gehört mit zum schlimmsten Erbe einer sich in diversen Kriegsstadien befindenden Welt. Gerade darum ist es notwendig, dass Konzept und Ansätze friedlicher Konfliktbearbeitung nach ihrer eigenen pazifistischen Logik entwickelt werden. Ihre Vertreterinnen und Vertreter dürfen sich um der Friedenssache und der dafür nötigen neuen Denk- und Handlungsformen willen keinesfalls in die verwechselbare Nähe zu militärisch gerichteten Herrschaftswirklichkeiten begeben. Wird anders verfahren, besteht die Gefahr der Selbstüberschätzung und der Vereinnahmung im Erfolgsdenken.

Mythos ‹humanitäre Intervention›

Wer zivile Konfliktbearbeitung propagiert, trifft auf den staatlich-militärisch-kapitalistischen Komplex in seinem ganzen Umfang. Die nicht zuletzt militärisch oder polizeilich armierten Interessen, die diesen Komplex ausmachen, versuchen sich fortwährend neu zu legitimieren: indem sie das Bewusstsein der Menschen so beeinflussen, dass nach Staats- oder ‹Völkergemeinschafts›-Sicherheitsinteresse Mord zur legalen und hochmoralischen Aufgabe der Bürger wird und dass massenmörderische Kriege und kostspielige Aufrüstung zur Sache von Gerechtigkeit, Frieden und Wohlfahrt stilisiert werden. Seitdem der Kalte Krieg keine andere Welt von Feinden mehr frei Haus serviert, werden ‹Neue Weltordnungen› zu politisch wirksamen Fiktionen, vor allem in westlich-kapitalistischen Ländern, werden Bombenabwürfe als ‹humanitäre Interventionen› geadelt, dienen solche Interventionen im Namen der Umwelt oder der Menschenrechte zur Rechtfertigung künftiger Kriege. Es entsteht der Mythos der ‹humanitären Intervention› oder des ‹gerechten Krieges›, und dies in einer Welt, in der die reichsten Länder sich weiter rüsten, damit die Ungleichheit unter den Menschen und zwischen den Ländern wachse und gedeihe.

Kleiner Bruder des Militärs?

Die Diskussion über Gestaltung und Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes als Instrument ziviler Konfliktbearbeitung ist für uns also unabdingbar mit der Orientierung auf die zivile Alternative verbunden. Diese Sichtweise wird jedoch keineswegs von allen denjenigen geteilt, die sich für die Schaffung eines solchen Dienstes gegenwärtig einsetzen. Der Ministerpräsident von Nordrheinwestfahlen beispielsweise, Johannes Rau (SPD), sagte am 15. April 1997 anlässlich der Eröffnung des von NRW geförderten ersten Ausbildungskurses für zivile Konfliktbearbeitung, zivile Friedensdienste seien eine wichtige Ergänzung zum Einsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien. Auch der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, plädierte für ein friedenspolitisches Konzept, das auf den Säulen militärische Friedenssicherung und menschenrechtsorientierte Friedensarbeit aufbaue. Der katholische Bischof Hermann Josef Spital (Trier) äusserte sich in ähnlichem Sinn: Der Zivile Friedensdienst sei als Ergänzung der militärischen Friedenssicherung ein plausibles Konzept.

Selbst von militärischer Seite wird in diesem Sinne argumentiert. Die Zeitschrift Publik-Forum aktuell zitiert den Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr, Hans Christian Beck: «Beim Bemühen um Frieden muß die präventive und friedliche Lösung von Konflikten im Mittelpunkt stehen. Hier kommt dem Zusammenwirken von nicht-militärischen staatlichen und Nicht-Regierungsorganisationen eine hohe Bedeutung zu. Ohne professionelle zivile Experten ist diese Arbeit nicht zu leisten. Militärische Einsätze lösen keine Konflikte und schaffen keinen dauerhaften Frieden. Aber ich denke, sie können nötig werden, wenn andere friedliche Mittel der Streitbeilegung erschöpft sind.»

Diese Zitate zeigen, daß manche Befürworter eines Zivilen Friedensdienstes eine ganz andere Sichtweise von dessen Einordnung und Aufgabe haben. Der Dienst wird nur als ein neues Instrument für den Umgang mit Konflikten verstanden, so als handle es sich nur um Funktionsäquivalente zu den bisherigen diplomatischen und militärischen.

Gegen die Gewaltoption

Sieg oder Niederlage mit ziviler Konfliktbearbeitung!? Damit ginge die neue Qualität dieser Konfliktbearbeitung verloren, die ja auf Aussöhnung und Wiederherstellung von Kooperation gerichtet ist. Zivile Konfliktbearbeitung würde nur als eine Ergänzung zu traditionellen Mitteln verstanden. Dieses Bild lässt sich verkürzt so beschreiben: Am Anfang der Eskalationsleiter von Konflikten sind zivile Mittel einzusetzen, während an ihrem Ende das ‹letzte Mittel›, nämlich die militärische Gewalt, zur Durchsetzung der angestrebten Ziele zu stehen hätte. Bei der Kriegsschadensbeseitigung wären dann wieder die Zivilen dran.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie wendet sich strikt gegen eine solche Integration der zivilen Konfliktbearbeitung und damit auch des Zivilen Friedensdienstes. Im Hintergrund jedes Dialogs und aller Versöhnungsarbeit stünde die Gewaltoption, das Ziel auch ohne Rücksicht auf den Dialogpartner durchsetzen zu wollen. Zivile Konfliktbearbeitung würde bestenfalls zu einer modernisierten, aber doch traditionellen Diplomatie, die zumindest von der Seite der überlegenen Mächte aus stets eine militärgestützte Politik betrieben hat.

Wir wollen dieses Argument noch verschärfen: Trifft unsere oben dargelegte These von der Umrüstung der reichen Industriestaaten auf ein weltweites militärisches Eingreifsystem zur Durchsetzung der Globalisierungsinteressen in der ‹Neuen Weltordnung› zu, läuft ein Ziviler Friedensdienst Gefahr, zur Hilfskraft solcher Bestrebungen zu werden. Ein weiteres Argument schliesst sich an: Ist der Zivile Friedensdienst in das bestehende Arsenal der Instrumente integriert, wird er seine Fähigkeit verlieren, die militärische Konfliktaustragung grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Kampf um eine Entmilitarisierung der Welt wäre schon verloren.

Pazifistische Leitplanken

Vor dem Hintergrund der riesigen Aufgaben und der ebenso riesigen Gefahren sind u.E. folgende Grenzmarkierungen der Orientierung und des Verhaltens aller, die sich für Zivile Friedensdienste im pazifistischen Sinn engagieren, unabdingbar:

  1. Zivile Friedensdienste, die ihren Namen verdienen, sind Ausdruck einer strikt pazifistischen Orientierung. Zivile Friedensdienste entsprechen nur dann konsequent ihrer friedenspolitischen Aufgabe, wenn sie autonom-pazifistisch organisiert und kontrolliert werden.
  2. Die Autonomie von Organisation und Praxis Ziviler Friedensdienste ist nur dann gewährleistet, wenn alle Organisationen, die sich in der Bundesrepublik oder am Ort der Dienstleistung darum kümmern, weitgehend autark sind. Staatliche Gelder dürfen allenfalls einen Teil der Finanzierung der Friedensdienste ausmachen. Sie dürfen nur akzeptiert werden, wenn sie ohne jede Auflage gegeben werden, sodass die jeweiligen friedensdienstlichen Aktionen in jeder Hinsicht von den zuständigen Gruppen bestimmt werden können.
  3. Die pazifistische Logik der Zivilen Friedensdienste verlangt eine strikte Absage an militärische Logik, Institutionen und Aktivitäten. Die Zivilen Friedensdienste dürfen nicht im Rahmen von Programmen erfolgen, die auch militärischen Zwecken dienen.
  4. Zivile Friedensdienste dürfen nur in enger Absprache mit den Menschen vor Ort konzipiert und eingesetzt werden, für die sie geleistet werden sollen. Kooperation mit und Unterstützung von dort vorhandenen Arbeitsansätzen sind unabdingbar. Der Einsatz ziviler Friedensdienste muss von der örtlichen Zustimmung – bis hin zu Einzelheiten des Konzepts – abhängig gemacht werden. Und auch wenn eine solche Zustimmung vorliegt, muss sorgfältig darauf geachtet werden – dass zivile Friedensdienstleistende nicht eigenständige Prozesse vor Ort durch Stellvertreterpolitik stören, imitieren oder verhindern.

Der vorliegende Text basiert auf Diskussionen des Vorstandes und des Arbeitsauschusses des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Er kann beim Kölner Büro des Komitees in ungekürzter Fassung bezogen werden (Bismarckstr. 40., 50672 Köln; Tel. 0049221/523056). Zwischentitel und Kürzungen stammen von der GSoA-Zitigs-Redaktion.