Gratwanderungen

Der Zivile Friedensdienst als rein pazifistisches Projekt wird marginal bleiben. In der Praxis gilt es, Ambivalenzen auszuhalten. Die SprecherInnen des ‹Forums ZFD› antworten dem ‹Komitee für Grundrechte und Demokratie› in einem offenen Brief.

«Wir beobachten, wie nationalstaatliche Kompetenzen sich nach ‹oben› und ‹unten› auffächern und nationale Grenzen ihre Bedeutung verlieren. Bei vielen Auseinandersetzungen lassen sich Innen und Aussen kaum noch trennen. Die heutigen Initiativen für Friedensdienste antworten auf eine sich entgrenzende Welt.»

Eure Frage nach dem Verhältnis eines Friedensdienstes1 zum Staat und insbesondere zu dessen Aussen- und Militärpolitik ist eine der Grundfragen unseres gemeinsamen Projekts. Aus eurer Anfrage spricht die Sorge, der Zivile Friedensdienst könne eingepasst werden in einen Gesamtrahmen staatlicher Aussenpolitik und damit deren Machtlogik unterfallen. Aus einem Gegensatz zur militärischen Gewalt würde dann eine zivile Ergänzung.

In der Zielsetzung stimmen wir völlig mit euch überein: Der Zivile Friedensdienst muss Ausdruck und Instrument einer grundsätzlichen Entscheidung für eine Politik der Verständigung und der gewaltfreien Konfliktaustragung abseits jeder militärischen Macht und Gewalt sein. Das kann er nur, wenn er in der alleinigen Trägerschaft und Verantwortung von zivilgesellschaftlichen Kräften bleibt.

Gestaltungsmöglichkeiten nutzen

In einzelnen Punkten eurer Stellungnahmen kommen wir zu einer etwas abweichenden Sicht. Es geht dabei nicht um das Grundsätzliche, sondern um Akzente und Beleuchtungen, vielleicht auch nur darum, ob wir das Augenmerk mehr auf die Gefahren oder auch auf die Chancen der politischen Situation richten wollen.

Eure Stellungnahme könnte so gelesen werden, als solle der Zivile Friedensdienst möglichst fern von der gefährlichen Schwelle staatlicher Indienstnahme und daher nahe bei den friedensengagierten Basisinitiativen bleiben. Wir meinen, dass damit politische Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten dieser Umbruchszeit nach 1989 ungenutzt blieben. Mit einem Stück Erfahrung, Wachsamkeit und Selbstbewusstsein wollen wir uns näher an diese Schwelle herantrauen, ohne sie zu überschreiten. Wir wollen nicht darauf verzichten, als zivilgesellschaftliche Kraft staatliche Politik zu beeinflussen. Gewaltvermeidung ist eine Frage des öffentlichen Gemeinwohls. Warum sollten wir denn nicht die politische Forderung nach gesellschaftlicher Mitgestaltung sowie nach öffentlicher Finanzierung stellen? Und nur indem der Zivile Friedensdienst sich etwas weiter in die Öffentlichkeit begibt, kann er auch seinem zweiten Ziel näher kommen: Gedanke und Praxis der gewaltfreien Konfliktaustragung über den Kreis der Friedensgruppen hinaus in die Gesellschaft zu tragen und dadurch Kritikfähigkeit und Konfliktbereitschaft auch in der eigenen Gesellschaft zu stärken. Dass diese ‹Arbeit an den Köpfen›, an der durch militärisches Denken okkupierten Phantasie eine mindestens gleich wichtige Aufgabe wie die konkrete Konfliktarbeit ist, darin stimmen wir euch ausdrücklich zu. Dass wir das Gespräch mit denen, die Zugang zu Macht und Entscheidung haben, nicht von vornherein ablehnen dürfen, sondern sogar suchen müssen, und dass parallele Interessen zu Ausgangspunkten partieller Kooperation werden können, ist zwischen euch und uns nicht strittig. Es entspricht dem Handlungsprinzip gewaltfreier Konfliktbearbeitung, dem wir natürlich auch in unserer eigenen politischen Praxis folgen wollen. Wo dann die Grenze zu einer «verwechselbaren Nähe zu militärisch gerichteten Herrschaftswirklichkeiten» liegt, das ist jeweils konkret zu klären und zu diskutieren.

Was heisst ‹Globalisierung›?

Eure Warnung geht einher mit einer Deutung des Staates, die diesen als Vollstrecker einer weltumspannenden Machtpolitik sieht und für den daher zivile Mittel das blosse Vorfeld von militärischer Gewalt als ‹hartem Kern› staatlicher Aussenpolitik darstellen. Wir verkennen nicht, dass es für diese Sicht gute Anhaltspunkte auch in der heutigen ‹neuen Weltherrschaftsunordnung› und erst recht in der Geschichte des deutschen Staates gibt. Auch wir sehen die gegenwärtigen Prozesse einer weltweiten Umrüstung und beobachten, wie die Bundesregierung den gegenwärtigen Bundeswehreinsatz in Jugoslawien zur Relegitimierung der ‹militärischen Option› nutzt.

Dennoch haben wir Zweifel, ob die heutige Weltpolitik sich in Begriffen einer militarisierten Machtpolitik unter US-Hegemonie hinreichend deuten lässt. Wesentliche wirtschaftliche Interessen gerade des Exportlands Deutschland gehen darin nicht auf. Die von fast allen politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes getragene Politik der europäischen Integration ist damit auch nicht zu fassen. Was immer wir an der Aussenpolitik der Bundesrepublik der letzten Jahrzehnte kritisieren: Wir sehen sie mehrdeutiger, somit auch ‹ziviler›, als eure Deutung es nahelegt.

Als zentrale Herausforderung der Friedenspolitik erleben wir heute nicht mehr den militaristischen Nationalstaat, wie er sich im ersten und zweiten Weltkrieg austobte. Vielmehr beobachten wir, wie nationalstaatliche Kompetenzen sich nach ‹oben› und ‹unten› auffächern und nationale Grenzen ihre Bedeutung verlieren. Bei vielen Auseinandersetzungen lassen sich Innen und Aussen kaum noch trennen. Die heutigen Initiativen für Friedensdienste antworten auf eine sich entgrenzende Welt und darin insbesondere auf ein Europa, das nach dem Ende der Blockspaltung in all seiner Vielfalt, aber auch mit all seinen Konflikten zutage tritt.

Weltinnenpolitik stärken

Auch der Prozess der Globalisierung erscheint mehrdeutig und voller Gegensätze. Während Lokalherrscher versuchen, alte Grenzen neu zu ziehen, denken und handeln die grossen Militärmächte zunehmend global. Aber auch die nichtmilitärische Welt globalisiert sich. Das Geflecht internationaler Abkommen wird dichter. Den Multis folgen nun die Nichtregierungsorganisationen in die transnationale Arena. Auch das Engagement für Menschenrechte und Demokratie, für Frieden und Mitwelt ist dabei, sich grenzüberschreitend zu organisieren. Ein Ziviler Friedensdienst setzt darauf, diese noch schwachen Ansätze einer menschengerechten Weltinnenpolitik zu stärken.

Auch innergesellschaftlich sind die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft diffuser geworden. Dass hier grosse Ambivalenzen entstehen, die jeweils neu austariert werden müssen, ist uns bewusst. Sich freihalten zu wollen von solchen Ambivalenzen hiesse aber, auf Chancen politischer Einflussnahme zu verzichten. Ein Beispiel für dieses ambivalente Verhältnis von Nähe und Distanz zum Staat sind die Entwicklungsdienste. Ihr Wirken in den Gastländern, ihr Verhältnis zur staatlichen Aussenpolitik war nie unproblematisch. Aber haben deswegen die Stimmen recht behalten, die sie als verlängerten Arm des Imperialismus sahen?

Friedensdienste werden ihr Verhältnis zum Staat kritischer bedenken müssen als Entwicklungsdienste. Aber ohne Berührungen mit dem Staat können sie im heute gebotenen Umfang weder entstehen noch tätig werden.

ZFD: plural oder pazifistisch?

Gemeinsam gehen wir davon aus, dass es eine Pluralität von Trägern des Zivilen Friedensdienstes geben wird. Diese Trägerorganisationen werden eigene Profile und Orientierungen haben; ihr gemeinsamer Nenner soll ein Friedensdienst sein, dessen Fachkräfte durch eine besondere Zusatzausbildung dazu befähigt sind, auf professionelle Weise in Konfliktsituationen gewaltvermeidend oder -mindernd tätig zu werden.

Dabei muss und wird es Friedensdienste mit einer strikt pazifistischen Orientierung geben. Aber wollt ihr verhindern, dass auch Friedensdienste mit einer ‹realpolitischen› Orientierung, beispielsweise im Umfeld von Bündnis 90/Die Grünen, entstehen? Was ist mit den Projekten praktischer Konfliktbearbeitung, die heute unter dem Dach der anerkannten Entwicklungsdienste stattfinden? Wollt ihr eine Beteiligung der beiden Grosskirchen abweisen?

Das schliesst den produktiven Streit der unterschiedlichen Orientierungen untereinander ein. Ein Verbund dieser unterschiedlichen pluralen Friedensdienste kann und soll diese Diskussion anregen. Gerade weil der Zivile Friedensdienst kein Vorfeld einer ‹ultima ratio› ist, braucht er seine Kraft auch nicht vorrangig auf deren Widerlegung zu verwenden. Das Verbindende der im Forum ZFD zusammengeschlossenen Gruppen ist für uns nicht das ‹Anti› gegen staatliche Militärpolitik, sondern das ‹Pro› für zivilgesellschaftliche Instrumente gewaltfreier Konfliktaustragung.

Wie wird der ZFD mehrheitsfähig?

Wenn wir neue Instrumente der zivilgesellschaftlichen Konfliktbearbeitung schaffen wollen, benötigen wir dazu gesellschaftliche Verbündete. Wenn wir eine zivilisierte(re) Weltinnenpolitik anstreben, müssen wir darauf setzen, bis in die Mitte der Gesellschaft etwas zu verändern. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien haben vielen Menschen die Augen geöffnet für die Notwendigkeit neuer Instrumente aktiver Zivilität. Das drückt sich aus in einer erstaunlich breiten Unterstützung für den Gedanken eines Zivilen Friedensdienstes. Uns ist bewusst, dass dabei auch sehr Unterschiedliches auf diese neue Vokabel projiziert wird und dass wir keineswegs alle Erwartungen erfüllen können und wollen. Das gilt insbesondere auch für die von euch zitierten Vorstellungen, der Zivile Friedensdienst sei gewissermassen die Ergänzung zu einem ‹militärischen Friedensdienst›.

Zwischen einer solchen Position und der des Pazifismus bleibt aber ein breiter Raum an bewährt demokratischen Positionen, die wir nicht zurückweisen wollen und können, wenn wir tatsächlich etwas Neues schaffen wollen. Es ist richtig: Durch die Einrichtung von Friedensdiensten auf einer solchen gesellschaftlichen Konsensbreite würde das Milltär nicht abgeschafft, aber - so hoffen wir - unwichtiger. Kriege werden nicht unmöglich, aber - das wollen wir – seltener. Kann eine pazifistische Position in der Wirklichkeit dieser Welt viel mehr und anderes bewirken?

Was heisst ‹Autonomie› des ZFD?

Auch unter dem Aspekt der Finanzierung geht es darum, Ambivalenzen auszuhalten. Ihr verlangt absolute Autonomie der Friedensdienste, was konsequent nur durch wirtschaftliche Autarkie zu erreichen ist. Ihr lehnt staatliche Gelder nicht grundsätzlich ab - aber diese sind immer damit verbunden, dass die Ziele ihrer Verwendung vorab bewilligt und deren Beachtung nachträglich kontrolliert werden. Die entscheidende Frage ist daher, welcher Umfang staatlicher Finanzierung welches Mass an Abhängigkeit bedeutet; aber auch, was auf Spendenbasis erreichbar ist und was nicht. Wenn wir Friedensdienst sagen, dann meinen wir damit ein Stück Professionalität in der Ausbildung und in der Projektarbeit. Das ist auf Spendenbasis allein nicht zu schaffen. Solange Unsummen in militärische Strukturen fliessen, ist die Forderung nach öffentlichen Mitteln für zivile Konfliktbearbeitung nur zu berechtigt.

Wir sind politisch erfahren genug, um die Ambivalenzen einer solchen Position zu sehen. Wie wir uns in diesen Zwiespältigkeiten bewegen und jeweils konkret verhalten wollen, das allerdings muss von Situation zu Situation ausdiskutiert werden.

Es gibt übrigens noch mehr solcher Gratwanderungen. Wir nennen zwei weitere, die ebenfalls der Diskussion bedürfen: Wie verbindet man die Mediation in Konflikten mit der manchmal gebotenen Parteilichkeit? Und wie stellen wir sicher, dass ein Ziviler Friedensdienst nicht zur Anpassung an eine herrschende gesellschaftliche ‹Normalität› missbraucht werden kann?

1) Die in Deutschland zur Zeit vorherrschende Sprachregelung ‹Friedensfachdienst› haben wir für die GSoA-Zitig nicht übernommen.

Der vorliegende Text ist in ungekürzter Version nachzulesen in: Friedensforum September/Oktober 1997. Die Zwischentitel und Kürzungen stammen von der GSoA-Zitigs-Redaktion.