Und wieder pennt Europa...

Im Kosov@ hat die albanische Mehrheit genug vom gewaltfreien Widerstand gegen die serbischen Machthaber. Die serbische Mehrheit in Jugoslawien hat genug vom Widerstand der AlbanerInnen. Und Europa scheint genug von beiden zu haben ï Von Roland Brunner

Jahrelang liess sich die albanische Mehrheit im Kosov@* mit Versprechungen hinhalten: Der gewaltfreie Widerstand unter Führung der Demokratischen Liga des Kosova LDK werde zu einem unabhängigen Staat führen, denn die Welt sei auf der Seite der unterdrückten AlbanerInnen gegen die serbische Herrschaft. Heute gibt der Widerstand seine Gewaltfreiheit auf. Was ist zu tun, damit im Balkan nicht das nächste Pulverfass explodiert?

Frustrierte Gewaltfreiheit

Die Machthaber in Belgrad weigern sich standhaft, den Konflikt im Kosov@ als internationale Angelegenheit zu behandeln. Sie halten daran fest, dass der Kosov@ integraler Bestandteil des jugoslawischen Territoriums sei. Die politische Führung der Kosov@-AlbanerInnen andererseits fordert die Anerkennung des Rechts auf Unabhängigkeit als Vorbedingung für Gespräche. So blockieren sich zwei Maximalpositionen gegenseitig.

Das Vertrauen in die politische Strategie der LDK und des gewaltfreien Widerstandes schwand während der letzten Jahre ständig. Die Diskriminierung und die politische Unterdrückung im Kosov@ verschärfte sich. Gleichzeitig behauptete die Führung des Kosov@, man komme mit internationaler Unterstützung der Lösung ständig näher. Aus den Frustrationen nährt sich die Gewaltbereitschaft in der albanischen Bevölkerung.

Die Strategie der albanischen Führung, mit gewaltfreiem Widerstand zur staatlichen Unabhängigkeit zu gelangen, hat offensichtlich versagt. Bei den angekündigten Wahlen vom 22. März werden Ibrahim Rugova und seine LDK zeigen müssen, ob sie ihren Kurs noch auf eine klare Mehrheit im Kosov@ abstützen können.

Von der politischen Niederlage der LDK profitiert vor allem die «Befreiungsarmee des Kosova» (Ushtria Çlimitare es Kosoves, UÇK). Mit Anschlägen gegen serbische Polizisten aber auch gegen albanische «Kollaborateure» scheint sie einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation und der Passivität der politischen Führung zu bieten. Obwohl die UÇK behauptet, Teilgebiete des Kosov@ zu kontrollieren und auch im benachbarten Mazedonien zu agieren, bestehen Zweifel, ob sie mehr ist als ein Instrument des serbischen Geheimdienstes oder von «serbischen Provokateuren», wie Rugova erklärte.

Beantwortet werden die Terroranschläge der UÇK von den radikalsten serbischen Nationalisten: Leute wie der Kriegskriminelle Vojislav Seselj drohen offen damit, den Krieg aufzunehmen und das «Kosovoproblem» militärisch zu lösen. Die Organisation der Kosovo-Serben «Bozur» ruft an Protestkundgebungen zum «Krieg gegen den albanischen Separatismus und Terrorismus» auf.

Den Krieg verhindern

Der deutsche Aussenminister Kinkel erklärte anlässlich einer Bosnien-Konferenz Ende 1997, die heisse Krise im Kosov@ müsse gelöst werden, bevor es zu spät sei. Nur scheint niemand auf dem internationalen Parkett der hohen Diplomatie zu wissen, wie dies geschehen soll, ohne den jugoslawischen Führer zu verärgern.

Die Uno-Generalversammlung hat Mitte Dezember 1997 eine Resolution verabschiedet, in der das Belgrader Regime aufgefordert wird, die Unterdrückung und Diskriminierung der AlbanerInnen im Kosov@ zu beenden. Doch die internationale Politik unternimmt keine konkreten Schritte. Auch Nato, OSZE und die Europäische Union befassen sich regelmässig mit dem Kosov@, ohne Konkretes zu beschliessen. Wie Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre scheint man die Krise solange aussitzen und verpennen zu wollen, bis man nach dem Krieg «Friedenstruppen» schicken kann, um uns weiszumachen, wieviel Frieden man da militärisch gestiftet habe.

Lösungsvorschläge

Unterdessen bleiben konkrete Lösungsvorschläge in den Schubladen liegen. In den letzten zwei Jahren haben bedeutende Treffen stattgefunden, an denen VertreterInnen von Nichtregierungs-Organisationen aus dem Kosov@, aus Jugoslawien und aus anderen Ländern Ansätze gesucht und umfassende Handlungsangebote entwickelt haben:

Sprechen statt schiessen

Wenn die internationale Politik glaubt, sie könne das Kosov@problem loswerden, indem man Kosov@albanerInnen ausschafft, wird sie sich bald vor einen neuen Krieg gestellt sehen. Ein klarer politischer Wille, der sich weder den wirtschaftlichen Interessen noch den diplomatischen Gepflogenheiten unterordnet, muss vorhanden sein, um den Konflikt zivil zu bearbeiten, bevor er in einen Bürgerkrieg umschlägt. Positive und negative Sanktionen gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Kräften beider Seiten sind notwendig, um die Machthaber von ihrem Maximalismus runterzuholen, respektive um die gesellschaftlichen Kräfte zu stärken, die eine Alternative zu den heutigen Machthabern darstellen könnten.

Es besteht eine reiche Vorarbeit, auf die sich konkrete Schritte abstützen könnten. Zu allen politischen Konzepten gibt es auf beiden Seiten Leute und Gruppierungen, die bereit sind, miteinander an einer politischen Lösung zu arbeiten und einen Krieg zu verhindern. Oppositionelle Parteien, unabhängige Gewerkschaften, Organisationen der StudentInnen, Bürgerrechts- und Jugendgruppen stehen in ständigem und engem Kontakt und bereiten den Boden, auf dem politische Lösungen gangbar werden. Internationale NGOs wie das Balkan

Peace Team (BPT) begleiten und unterstützen diese Kräfte nach Möglichkeit. Die AktivistInnen des BPT entwickelten eine «Grass-roots Shuttle-Diplomatie» zwischen Belgrad und Prishtina: Sie laden VertreterInnen serbischer Organisationen in den Kosov@ ein und organisieren Treffen mit albanischen Kontakten, um gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu fördern.

Vielleicht ist es heute schon wieder zu spät, um mit Reden endlich anzufangen. Eine gewaltfreie Bearbeitung des Konflikts im Kosov@ droht im Sog des doppelten Terrorismus von albanischer «Befreiungsarmee» und serbischer «Staatsmacht» unterzugehen. Zu lange haben die internationalen Machthaber auf ihre diplomatischen Gepflogenheiten des Händeschüttelns mit anderen Machthabern vertraut. Zu lange wurden die ScharfmacherInnen beider Konfliktseiten als PartnerInnen für den Frieden akzeptiert und verständigungswillige Kräfte marginalisiert, um einen unhaltbaren Status quo aufrechtzuerhalten. Zu lange lagen wichtige Konzepte regierungsunabhängiger Organisationen in den Schubladen, während die Regierungen weder Einheit noch Willen zum Handeln fanden.

Und die Schweiz?

Uns muss es darum gehen, die Schweizer Politik auf den Dialog zu verpflichten. Asyl- und Wirtschaftspolitik müssen strategischen friedenspolitischen Interessen untergeordnet werden, um mit klaren Massnahmen die zivile Option zu stärken. Wir können einen Beitrag leisten, damit die Schweiz über das Wissen und die Mittel verfügt, mit einem solidarischen Beitrag auf der «Baustelle des Friedens» mitzuarbeiten. «Frieden nicht nur konsumieren, sondern produzieren», lautet ein Bonmot des helvetischen Oberverteidigers. Mit unserer Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst schaffen wir qualifizierte Fachleute, um unseren kleinen Beitrag zu dieser grossen Aufgabe zu leisten.

* Der Kosovo (serbisch: Kosovo und Metohija, albanisch Kosova) ist eine Region in der Bundesrepublik Jugoslawien. Die Schreibweise Kosov@ stellt eine neutrale Form dar, um weder den serbischen noch den albanischen Namen verwenden zu müssen, da die Sprachregelung Teil des politischen Streites ist.

Weder Nato, noch OSZE und EU engagieren sich ernsthaft für eine Lösung des Konfliktes in Kosov@, obwohl Lösungsvorschläge auf dem Tisch liegen. Wartet man auf den nächsten Krieg, um wieder «Friedenstruppen» in Szene setzen zu können?

 

Die Schweiz schafft aus

Am 1. September 1997 ist ein Abkommen zwischen der Schweizer Regierung und den Machthabern in Belgrad in Kraft getreten, mit dem rund 15í000 AlbanerInnen «unter voller Achtung der Menschenrechte und der Würde der rückkehrenden Person» nach Jugoslawien zurückgeschafft werden sollen. Bis Anfang April will man die ersten 1300 Menschen losgeworden sein.

Vor Jahren liess die jugoslawische Führung hunderttausende von Kosov@albanerInnen ausreisen und hoffte, damit auch das Kosov@problem loszuwerden. Die Führung des Kosov@ wollte mit dieser Emigration den sozialen Druck verringern und sich über Emigrantensteuern Finanzquellen erschliessen. Der Schweiz waren die Kosov@albanerInnen als billige und willige Arbeitskräfte willkommen. Heute aber ist jedeR zurückkehrende AlbanerIn ein Problem für Jugoslawien und für den Kosov@.

Suzanne Auer, Medienverantwortliche und Kosov@-Spezialistin bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe kritisiert den Abschiebeentscheid. Es seien viele Fälle dokumentiert, in denen Zurückgeschaffte verhaftet, verhört und misshandelt wurden. Auch der Tages-Anzeiger findet am 4. Juli 1997 klare Worte: «Wenn Arnold Koller und Milosevicí Polizeiminister sich die Hände reichen, müssen sämtliche Alarmanlagen läuten. (...) Seit Jahren weiss der Bundesrat, wissen die Regierungen anderer Länder, weiss die OSZE, wie es um die Menschenrecht in Kosovo bestellt ist. Doch niemand macht ernsthaft Druck auf Belgrad. Niemand sorgt dafür, dass das serbische Regime endlich die Rechte der albanischen Bevölkerung respektiert. (...) Der Bundesrat belohnt die Täter und bestraft die Opfer.»