Chiapas 1: Divide et impera

Im Süden Mexikos führt die Armee einen schmutzigen Krieg gegen die eigenen Bevölkerung. Mit einer zynischen Spaltungstrategie will die mexikanische Regierung die demokratische Forderung der indigenen Gemeinden nach Autonomie ersticken • Von Kathrin Hugentobler*

Seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen Ende 1996 ist der bewaffnete Konflikt in Chiapas zwischen der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) und der Regierungsarmee weit von einer Lösung entfernt. Während es um die EZLN in den Medien still geworden ist, rückt der Konflikt in der von Ch'ol-IndianerInnen bewohnten Zona Norte und seit einigen Monaten auch in dem von Tzotzil-IndianerInnen besiedelten chiapanekischen Hochland immer mehr in den Mittelpunkt.

Die indianische Gesellschaft in jener Zone ist tief gespalten. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen AnhängerInnen der staatlichen Regierungspartei PRI (‹Priisten›) und Sympathisanten der linken Oppositionspartei PRD (‹Perredisten›), die sich mit den

Forderungen der Zapatisten identifizieren, haben seit Anfang 1995 in alarmierendem Masse zugenommen. Es herrscht seit Monaten ein Bürgerkrieg, der bereits mehr Todesopfer gefordert hat als der bewaffnete Aufstand 1994. Das Massaker von Acteal in der Gemeinde Chenalhó am 22. Dezember 1997 ist ein vorläufiger Höhepunkt dieser Gewalteskalation.

Ein Krieg ‹niedriger› Intensität

Die Ch'ol-Region und das Hochland von Chiapas zählen zu den ärmsten Gebieten Mexikos. Bereits in den 70er Jahren, nach dem Scheitern verschiedener regionaler Entwicklungsprogramme, verlor die PRI an Glaubwürdigkeit, während die PRD ihre Basis in der Bevölkerung kontinuierlich verstärkte. Viele Ch'ol sympathisieren mit dem Aufstand der ZapatistInnen seit 1994 und unterstützen deren Forderungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene.

Die starke Militarisierung der Ch'ol-Region deutet auf ihre strategische Bedeutung hin. Sie ist für die ZapatistInnen eine wichtige Verbindungszone zwischen dem Lacandonenurwald und dem Hochland, wo sie stark verankert sind. Die Regierung möchte diese Verbindung kappen, scheut aber angesichts der grossen Sympathie für die ZapatistInnen in der Zivilbevölkerung ganz Mexikos eine offene bewaffnete Konfrontation mit den AnhängerInnen der Opposition. Sie inszeniert daher einen ‹Krieg niedriger Intensität› - eine Aufstandsbekämpfungs-Strategie also, die darauf abzielt, die Bevölkerung zu spalten und in kriegerische Auseinandersetzungen zu verwickeln, ohne dass Regierung und Armee als direkte Gewaltakteure auftreten.

Der Konflikt im Norden von Chiapas weist alle Merkmale dieser Kriegsführung auf: Manipulierung der öffentlichen Meinung durch Desinformation und Verleumdungskampagnen; Förderung potentieller WählerInnen durch ökonomische Hilfe und Marginalisierung der SympathisantInnen der Opposition; Schüren bereits bestehender Divergenzen in der Bevölkerung; Bagatellisieren des Konflikts als interne Familienfehden, Landstreitigkeiten oder religiöse Auseinandersetzungen; Straffreiheit für militante PRI-Angehörige und Kriminalisierung oppositioneller Gruppen.

Die Good Guys ...

Die Armee übernimmt in dieser Strategie eine zentrale Funktion: Sie hat sich in fast allen Gemeinden der Zona Norte installiert. Die unzähligen Militärcamps und Posten der Sicherheitspolizei verfügen über kleine, aber sehr mobile Einheiten, die das Gebiet kontrollieren und als ständige Drohung präsent sind.

Allerdings konzentriert sich die Armee auf Einsätze im humanitären oder sozialen Bereich. Soldaten bauen Strassen, verlegen Elektrizität, verteilen Hilfsgüter an vertriebene PRI-Anhänger etc. Auf diese Weise verbessert die Armee nicht nur die Infrastruktur für ihre Operationen, sie versucht auch das Vertrauen der Bevölkerung für sich und die Regierung zu gewinnen.

... die Bad Guys ...

Seit Anfang 1995 agiert in der Region die paramilitärische Gruppe Paz y Justicia (Friede und Gerechtigkeit). Paz y Justicia und ähnliche seither gegründete Organisationen rekrutieren ihre Mitglieder unter PRI-treuen Bauern der Zona Norte, die ihre Hoffnung auch weiterhin in die ökonomische Entwicklung durch staatliche Institutionen setzen. Gemäss eigenen Aussagen möchten die Gruppen die soziale und politische Einheit wiederherstellen, die durch die Subversion der Perredisten zerstört worden sei. Mit Überfällen, Verschleppungen und Morden an PerredistInnen verbreiten sie unter den AnhängerInnen der Opposition ein Klima von Terror und Unsicherheit. Die

Aggressionen der paramilitärischen Trupps lösen auch auf der Gegenseite zunehmend gewaltsame Reaktionen aus.

Mehr als zwanzigtausend interne Flüchtlinge sind das Ergebnis dieser Gewalttaten und einer gezielten Vertreibungspolitik. Ihre Häuser wurden zerstört, ihre Viehbestände gestohlen oder abgeschlachtet, und für eine sichere Rückkehr in ihre Heimatdörfer gibt es keine Garantien. Die Vertriebenen verschanzen sich in den Bergen oder leben unter äusserst prekären Bedingungen in improvisierten Camps oder in Dörfern, in denen ihre GesinnungsgenossInnen die Mehrheit stellen. Die Vertreibungen haben eine scharfe örtliche Trennung der zwei verfeindeten Parteien zur Folge. Durch die Kontrolle der Verbindungswege zwischen den weit verstreuten Dörfern versuchen die Paramilitärs die Bewegungsfreiheit und die Kommunikation zwischen den einzelnen perredistischen Gruppen zu unterbinden.

... ein Herz und eine Seele

Nach einem Bericht der mexikanischen Wochenzeitschrift Proceso plante die Regierung die gezielte Förderung der Paramilitärs bereits im Oktober 1994.

Die Kollaboration von Regierungspartei und Sicherheitskräften ist in vielen Bereichen evident. So werden paramilitärische Einheiten von Angehörigen der Sicherheitskräfte trainiert und mit Waffen aus Armeebeständen versorgt. Angriffe der Priisten werden in Gegenwart von Sicherheitskräften geduldet. Besonders deutlich zeigte sich dies beim Massaker von Acteal, als Einheiten der Sicherheitspolizei das Morden stundenlang aus einer Entfernung von wenigen hundert Metern verfolgten, ohne einzugreifen.

Regierungstreue GewalttäterInnen müssen nicht mit einer Strafverfolgung rechnen. Nicht nur die täglichen Ausschreitungen gegen die PerredistInnen, sogar der bewaffnete Überfall auf Bischof Samuel Ruiz und seine Begleiter im Herbst des letzten Jahres werden von den Justizbehörden gedeckt. Anders auf der Gegenseite: Im staatlichen Gefängnis von Chiapas sitzen - zumeist aufgrund falscher Anschuldigungen und manipulierter Zeugenaussagen - fast ausschliesslich Anhänger der Opposition.

Öffentlicher Druck notwendig

Präsident Ernesto Zedillo versucht mit Lippenbekenntnissen zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes und systematischer Bagatellisierung der Gewalt in der Ch'ol- und Tzotzil-Region die mexikanische Regierung aus dem Schussfeld nationaler und internationaler Kritik zu nehmen. Die Tragweite des Massakers von Acteal hat nun aber scharfe Proteste ausgelöst und die Regierung zu gewissen Eingeständnissen gezwungen. Mit der gegen Felipe Vázquez, Kommandant der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit in Chiapas, eingeleiteten Untersuchung gibt sie die Zusammenarbeit von Sicherheitskräften mit Paramilitärs beim Massaker öffentlich zu. Vázquez wird beschuldigt, den Transport der Waffen veranlasst zu haben, die beim Massaker in Acteal eingesetzt wurden. Erstmals scheint die Regierung mit den Rücktritten des Gouverneurs von Chiapas, des mexikanischen Innenministers und des Verhandlungsführers für die Friedensgespräche auch eine Mitverantwortung hoher PRI-Funktionäre eingestehen zu müssen.

Das Köpferollen ist allerdings keine Garantie dafür, dass eine Lösung im Konflikt im Norden Chiapas' ernsthaft anstrebt wird: Der chiapanekische Kongress hat Ende des letzten Jahres eine Kommission zur Entspannung des Konfliktes in der Zona Norte eingesetzt. Vorsteher der Kommission ist der PRI-Abgeordnete Samuel Sánchez Sánchez, Gründer und Anführer der paramilitärischen Gruppe Paz y Justicia.

*Kathrin Hugentobler arbeitet für die Schweizer Sektion von Peace Brigades International.

 

Der Krieg in Chiapas macht deutlich, warum Mächtige oft ein Interesse an der Zuspitzung gewalttätiger Konflikte haben. Wie internationale Solidarität die mexikanische Bevölkerung in ihrem Kampf um ein Leben in Würde unterstützen kann, zeigen die Berichte auf den folgenden Seiten.