Chiapas 3: Aktive Beobachtung

Feiwillige internationale Beobachter leisten in Chiapas einen Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Übergriffen der Armee ï Von Martin W.*

Kurz nach dem Aufstand der Zapatisten im Frühjahr 1994 besuchte ich Mexiko das erste Mal. Es war eine sehr eindrückliche Reise, welche mich von Grund auf veränderte. Die Menschen im Hochland von Chiapas gaben mir neue Ideen und Impulse auf meinen Lebensweg. Seither habe ich diese Region in mein Herz geschlossen.

Als ich im August 1997 vom CORSAM-Projekt erfuhr, war ich von der Idee begeistert: Durch neutrale Präsenz und aktive Beobachtung verhindern Freiwillige in zivilen Friedenscamps gewalttätige Übergriffe des Militärs respektive zwischen den gegnerischen Bevölkerungsgruppen und leisten damit einen Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung. Nach zwei Vorbereitungsweekends reiste ich bereits Mitte Oktober nach Mexiko ab, in der Hoffnung einen kleinen Beitrag zum Friedensprozess - beziehungsweise zur Stabilisierung der Lage - leisten zu können.

Druck auf Zivilbevölkerung

In Mexiko merkte ich schon bald, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen inzwischen unter starken Druck geraten waren. Auch das Menschenrechtszentrum ‹Fray Bartolomé de las Casas› in San Cristobal, das für die Organisation der Friedenscamps vor Ort verantwortlich ist, geriet im Zuge einer Verleumdungskampagne gegen Bischof Samuel Ruiz in ein schlechtes Licht.

Mein Einsatz als ‹Campamentista› im Friedenscamp des Dorfes Ibarra zeigte mir dann die drastischen Folgen des Konfliktes für die Zivilbevölkerung. Um nach Ibarra zu gelangen, musste man eine anstrengende Immigrationskontrolle bei Ocosingo passieren. Das entlegene, nur nach einem langen Fussmarsch erreichbare Dorf im Dschungel von

Chiapas zählte bis zum 1. Januar 1994 etwa 300 Einwohner. Nach dem Aufstand verliessen die mit der Regierungspartei PRI sympathisierenden Familien nach und nach die Gemeinde. Im Rahmen der grossen Armeeoperation vom Februar 1995 setzten 18 Helikopter innerhalb einer Stunde einige Hundert Soldaten in Ibarra ab, welche Häuser abbrannten und Leute misshandelten. Während die Soldaten das Dorf gut zwei Wochen lang besetzten, flüchteten die Einwohner ohne Hab und Gut in die nahen Berge. Erst nach 40 Tagen getrauten sie sich unter dem Schutz der ersten Friedens-Campamentistas in ihr Dorf zurück. Währenddessen baute die Armee in nur zwei Kilometern Entfernung ein grosses Militärlager mit Landepiste auf. In dessen Nähe errichteten in der Folge die zurückkehrenden PRI-AnhängerInnen ein neues Dorf namens Nuevo-Ibarra.

Ständige Militärpräsenz

Heute ist Ibarra in zwei beinahe gleich grosse, geographisch getrennte und politisch verfeindete Lager geteilt. Gemäss Angaben von José, dem lokalen Verantwortlichen des Friedenscamps, halten sich zur Zeit rund 70 Soldaten im Militärcamp von Nuevo-Ibarra auf. Die Armee ist seit November 1996 nicht mehr direkt in das Dorf eingedrungen. Während unseres Aufenthaltes im November 1997 überflogen aber mehrere Armee-Helikopter Ibarra, entweder um die Truppen in Nuevo-Ibarra zu versorgen oder um die Bewegungen im Dorf zu beobachten.

Das zapatistenfreundliche Ibarra ist sehr gut organisiert. Es existieren verschiedene Komitees, welche die Gemeindeaufgaben unter sich aufteilen. So kümmern sie sich beispielsweise um die Ausbildung, Kirchenangelegenheiten, den Erste-Hilfe-Posten und nicht zuletzt

um das Friedenscamp. Es werden viele Zusammenkünfte abgehalten, an denen sich - je nach den behandelten Themen - nur die Männer, nur die Frauen oder alle zusammen beteiligen. Wir Friedensaktivisten wurden über alle Geschehnisse im Dorf ebenfalls informiert und zu Versammlungen und Festen eingeladen. Die Dorfbevölkerung wusste unsere Präsenz sehr zu schätzen.

Zur Zeit meines Aufenthaltes herrschte im südlichen Teil von Chiapas eine angespannte Ruhe. Zwar kam es zu keinen bewaffneten Auseinandersetzungen, doch führt die Armee ihre Politik der Kontrolle und Einschüchterung weiter durch. Viele Dörfer sind gespalten und das Militär ist allgegenwärtig. Trotz der schwierigen Verhältnisse braucht Chiapas Freiwillige, welche die humanitäre und friedenspolitische Arbeit in den zivilen Friedenscamps weiterführen.

*Martin W., 27, ist Betriebsökonom und SP-Aktivist. Er war zwischen Oktober und Dezember 1997 in verschiedenen chiapanekischen Friedenscamps im Einsatz. Aus diplomatischen Erwägungen haben wir die Namen der aus Chiapas berichtenden FriedensaktivistInnen in dieser GSoA-Zitig anonymisiert.

Das chiapanekische Dorf Ibarra ist heute in zwei verfeindete Teile getrennt. Das zivile Friedenscamp bildet ein Gegengewicht zum nahegelegenen Militärposten.