Spannendes Ereignis

«Solidarität schafft Sicherheit: für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst» und «Sicherheit statt Verteidigung: für eine Schweiz ohne Armee» ñ am 23. November 1997 beschloss die GSoA-Vollversammlung in Solothurn die Lancierung der neuen Initiativen - Von Marcel Hänggi

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Vor rund zweieinhalb Jahren begann die Arbeit an den neuen GSoA-Initiativen. Am 17. März ist es nun definitiv soweit: Die GSoA lanciert ihre beiden neuen Initiativen. Nach der langen und intensiven Vorbereitungszeit fielen die Entscheide an der Vollversammlung vom 23. November in Solothurn deutlich: 69 Ja zu 1 Nein für die ZFD-, 68 Ja zu 2 Nein bei einer Enthaltung für die Armeeabschaffungsinitiative lauten die offiziellen Resultate.

Tabu nicht zweimal brechen

Wiederholt die GSoA also ihre Initiative von 1989? Verschiedene Votanten erläuterten, dass dem nicht so ist: «Man kann ein Tabu nicht zweimal brechen» betonte Nico Lutz von der GSoA Bern. Die Schweiz habe keine Armee, sie sei eine: Das hiess es noch vor der 89er-Abstimmung. Solche Sprüche klopft heute keiner mehr. Das Tabu der Armee ist gefallen, nun müssen wir, so Paolo Gilardi von der GSoA Genf, «verhindern, dass aus der Asche der heiligen Kuh ein noch viel schlimmeres Monster entsteht».

Die Armee von 1989 existiert heute so nicht mehr. Die Armeen geben sich weltweit ein neues Image und eine neue Rhetorik. Roland Brunner (GSoA Zürich) zitierte den deutschen Verteidigungsminister Rühe, welcher sagt, zur «hauptsächlichen Aufgabe der Sicherheitspolitik» gehöre heute die «Implementierung von Demokratie und Menschenrechten, von wirtschaftlicher Prosperität und von sozialer Gerechtigkeit»; Nico Lutz berief sich auf Ogi mit seinem Slogan, die Schweiz müsse «Frieden produzieren, nicht nur konsumieren».

Soweit sind sich die GSoA und die neuen Militärrhetoriker einig. Nur: Diese «Friedensproduktion» verstehen die Verteidigungsminister nach wie vor militärisch. Tobia Schnebli (GSoA Genf) nannte dies eine «massive Marketingoperation, welche versucht, die Armeeals humanitäre Hilfsorganisation zu verkaufen». Diese «Kontroll- und Herrschaftsvision» will die GSoA mit ihren neuen Initiativen durch ein neues Friedens- und Sicherheitsverständnis ersetzen.

Die beiden Initiativen

Der zweite Teil der Initiative von 1989, welche eine Schweiz ohne Armee und eine «umfassende Friedenspolitik» forderte, ist nun Gegenstand einer eigenen Initiative. Roland Brunner sprach von den Erfahrungen, welche die GSoA und befreundete Organisationen in der Antikriegsarbeit im ehemaligen Jugoslawien gesammelt haben. Diese Erfahrungen flossen ein in die ZFD-Initiative, mit welcher wir die Sicherheitspolitik «aus der militärischen Ecke befreien» wollen. Ein Ziviler Friedensdienst, welcher vom Staat angeboten und in Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen durchgeführt würde, gäbe der Schweiz die Chance, «ein zukunftsfähiges Projekt einer solidarischen Schweiz» aufzubauen.

Dass in einer solidarischen Schweiz eine Armee nicht nur überflüssig, sondern ein Hindernis wäre, war für die Votanten (Frauen sprachen kaum ñ vgl. zu diesem Thema den Artikel auf Seite 8) selbstverständlich. Deshalb fordert die Initiative «Sicherheit statt Verteidigung»: «Die Schweiz hat keine Armee». Über eine allfällige Beteiligung der Schweiz an bewaffneten internationalen Friedensbemühungen müsste die Bevölkerung erneut abstimmen.

Hobbes und Kant

Den Versuch, die Armee durch neue Aufgaben zu legitimieren und mit einem humanitären Image zu versehen, verglich Josef Lang (Zug) mit des Kaisers neuen Kleidern in Andersens Märchen. Die GSoA habe die Aufgabe zu rufen: «Der Kaiser ist nackt» ñ Schaffen wir die Armee ab!

Josef Lang charakterisierte die beiden Auffassungen von Friede und Sicherheit, die sich gegenüberstehen, mit den Namen zweier Philosophen: Thomas Hobbes steht für die Kontroll- und Stabilitätsphantasien des militaristischen Denkens. Hobbes vertrat ein pessimistisches Menschenbild und erachtete einen obrigkeitlichen «Leviathan» als nötig für das Funktionieren der Gesellschaft. Der heutige Leviathan ist für Jo Lang die Nato. Auf der anderen Seite steht Immanuel Kant, Autor des «Traktats zum ewigen Frieden», der das obrigkeitlich-militaristische Prinzip Hobbesí durch ein republikanisch-demokratisches, den Soldat durch den Citoyen ersetzen wollte. Kants Ideen sieht Jo Lang in der 1848er-Revolution verwirklicht, welche in der Schweiz erfolgreich war und deren Jubiläum wir heuer feiern. 1998 ist damit ein gutes Datum, die Diskussion mit den beiden Initiativen neu anzuregen.

Gut vertreten waren an der VV jene jüngeren GSoA-Mitglieder, welche 1989 noch nicht stimmberechtigt waren. Oliver Rey als einer der «neuen Generation» fühlte sich offenbar willkommen: «Meine erste VV in der GSoA erlebte ich als ein sehr spannendes Ereignis», bilanzierte er. Sein Fazit gilt für uns alle: «Es gibt viel zu tun.»

Abschied von der GSoA

Nach Solothurn gekommen war auch Adrian Schmid (Luzern), ein GSoA-Aktivist der ersten Stunde. Er begründete vor der VV, warum er die Lancierung der Initiativen ablehnt. Adrian Schmid sowie Andi Gross, Martin Bühler und Jürgen Schulz ñ welche in Solothurn nicht anwesend waren ñ hatten in der Woche vor der VV in einem offenen Brief ihren Austritt aus der GSoA angekündigt für den Fall, dass die Lancierung der Initiativen beschlossen werde. Nach wie vor seien sie überzeugt, dass eine Schweiz ohne Armee einen besseren Beitrag für den Frieden leisten könne, doch wollten sie mit den neuen Initiativen nichts zu tun haben. «Der Zug, den die GSoA mit ihrer ersten Initiative auf die Schienen gesetzt hat» sei immer noch in Bewegung, eine neue GSoA-Initiative vermöge in den nächsten fünf Jahren «nicht mehr Reformen auszulösen, als bereits im Gange sind.»

Ihre Meinung, schreiben die vier in ihrem Brief, wollten sie der GSoA «ganz offen sagen». Ein Schönheitsfehler bei der Sache: Die GSoA erfuhr aus der Presse von der Existenz des an sie gerichteten offenen Briefs. Der offene Brief wie auch eine offene Antwort, welche an der VV verabschiedet wurde, ist im letzten GSoA-Info vom 2. Dezember 97 veröffentlicht. Das Info kann auf dem Sekretariat bezogen werden (Tel. 01/273 01 00).

Mit einer massiven Marketingoffensive versuchen sich Armeen weltweit als Garanten des Friedens zu profilieren. Die GSoA will mit ihren neuen Initiativen dieses zynische Kalkül durchkreuzen.