«Ganze Armeen von Psychopathen …»

Kriegstraumatisierungen überwindet man weder mit modernem psychologischem Drill, noch indem man die Schrecken des Krieges verschweigt. Sie sind nur vermeidbar, wenn man den Krieg verhindert. Ein Kongress von Kriegsveteranen aus allen Kontinenten versucht, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln. Von Jasna Bastic

Kriege bringen nicht nur Tod und Vernichtung, sie bewirken auch psychologische Zerstörungen. Alpträume, Depressionen und Angstzustände, Schuldgefühle, moralische Dilemmata, unkontrollierte Aggression, Selbstmordabsichten sind nur einige Symptome dieser psychischen Störungen, die unter dem medizinischen Begriff PTSD (post-traumatic stress disorder) zusammengefasst werden. Viele der davon betroffenen Kriegsveteranen bleiben für den Rest des Lebens psychisch invalid und unfähig, selbständig im zivilen Alltag zu überleben.

Kollektive Gleichgütligkeit

Bis heute hat die Öffentlichkeit davon kaum Notitz genommen. Selbst die Familien und engsten Freunde der Betroffenen verstehen in der Regel nicht, was die ehemaligen Soldaten im Krieg erlebt haben und warum sie unter dieser Last zusammenbrechen. Die Forschung über Kriegstraumata steckt noch in den Kinderschuhen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie eine Reihe höchst brisanter Fragen aufwirft: Fragen über die Natur des Krieges und der Menschen, über Aggression, Hass und Gewalt und über die kollektive Einübung solcher Gefühle, über den Akt des Tötens und die Bedeutung der Tötungs-Trainings, welche die Rekruten im modernen Militärdienst über sich ergehen lassen müssen. So erschreckend diese Probleme und insbesondere die Ausbildung junger Männer zum Töten erscheinen mögen – am beunruhigendsten ist die öffentliche Gleichgültigkeit ihnen gegenüber.

Möglicherweise ändert sich dies in den kommenden Jahren. Als ermutigendes Zeichen dafür mag der erste internationale Kongress über «die psychosozialen Folgen des Krieges» gelten, welche von der World Veterans Federation – der internationalen Vereinigung der Kriegsveteranen mit 28 Millionen Mitgliedern aus 77 Ländern – Ende April in Cavtat (Kroatien) durchgeführt wurde. Mehr als 350 TeilnehmerInnen diskutierten dort während fünf Tagen die eingangs angesprochenen Fragen. Veteranen aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Generationen, die reputiertesten, auf Kriegstraumata spezialisierten PsychiaterInnen und – eine Premiere in diesem Zusammenhang – VertreterInnen von NGOs, Frauenorganisationen sowie KinderpsychologInnen.

Der erste Schritt: Information

Erörtert wurden in Cavtat die verschiedenen psychologischen, militärischen und politischen Aspekte der Kriegstraumatisierungen, medizinische Behandlungsmöglichkeiten und die Gründe für das öffentliche Desinteresse diesen Fragen gegenüber. «Wir haben aus den vergangenen Kriegen nichts gelernt», beklagte der Schwedische Psychiater Tom Lundin an der Konferenz: «Es ist sehr schwierig, die Öffentlichekeit für das reale Gesicht des Krieges zu interessieren. Wenn die Soldaten nach Hause kommen, ist niemand bereit, ihre Horrorgeschichten zu hören. Das ist nicht fair, aber wie können wir das ändern?» Die Botschaft ist klar: Je mehr wir über die Realität des Krieges erfahren, über das Töten, totale Entmenschlichung und Traumatisierung , um so mehr Leute werden wahrscheinlich dagegen protestieren.

Und um so weniger junge Männer werden bereit sein, in den Krieg zu ziehen. In diesem Sinne appellierte auch der israelischen Psychiater Arieh Shalev an die KonferenzteilnehmerInnen: «Wir müssen den Politikern folgendes sagen: Wenn sie einen Krieg planen und junge Menschen darauf vorbereiten, Dinge zu tun, die in Friedenszeiten unvorstellbar wären, dann müssen sie diesen Leuten vorher sagen, dass sie im Krieg entweder sterben oder später psychisch zusammenbrechen werden, weil sie den Schrecken nicht aushalten können.» Verständlicherweise werden militärische und politische Autoritäten ihren Soldaten genau dies nie sagen, denn, wie es der holländische Psychiaters Wybrand Op den Velde formulierte: «Wenn Soldaten wüssten, was ihnen passieren kann, wären sie aus einer militärischen Optik viel schwächer und möglicherweise nicht bereit, allen Befehlen zu gehorchen.»

Gute Kriege gibt es nicht

Dies gilt auch für die Soldaten sogenannter «Friedensmissionen». Das Auftreten von PTSD bei UN-Blauhelmsoldaten wurde in Cavtat zum ersten Mal überhaupt diskutiert und stiess unter den KonferenzteilnehmerInnen auf grosses Interesse. UN-Soldaten, welche den Schrecken realer Kriege miterlebt haben, zeigen als Folge ihrer Einsätze ebenfalls häufig Symptome einer Traumatisierung. Tom Lundin hat dies in seiner Arbeit mit schwedischen UN-Blauhelmen nachgewiesen, welche in Zaire (Kongo), Libanon, Zypern oder Bosnien stationiert waren: «Auf der Basis unserer Forschungen haben wir der Armee empfohlen, keine jungen Männer unter 25 Jahren in diese Friedensmissionen zu entsenden», so Lundin. «Die schwedische Armee stellt sich allerdings bis heute taub.»

PTSD ist heute eine medizinisch anerkannte Krankheit. Sogar Politiker und Militärs geben zu, dass Soldaten im Krieg psychische Schäden erleiden. Sie interessieren sich allerdings hauptsächlich dafür, wie Soldaten mit neuartigen militärischen Trainingsmethoden und psychologischem Drill gegenüber dem Schrecken des Krieges «resistent» gemacht werden könnten. Doch auch das effizienteste militärische Training kann die psychische Traumatisierung im Krieg nicht verhindern. Hingegen wird man damit, so der US-Psychiater John Wilson am Kongress, «Armeen von Psychopaten heranzüchten». Für die meisten Menschen ist das moralische Dilemma nämlich nicht lösbar, dass im Krieg die Tötung von ‹Feinden› gefordert wird – von Feinden, die sich bei näherer Betrachtung auch nur als Menschen erweisen. Dr. Lars Weisaeth aus Norwegen griff zu folgendem Vergleich: «Jemanden auf ein Kriegstrauma vorzubereiten ist ungefähr dasselbe, wie eine Frau auf eine Vergewaltigung vorzubereiten.»

Die einzige Vorbeugung besteht in der Eliminierung der Trauma-Ursache, sagen Psychiater. Wenn es um Kriegstraumata geht, bedeutet Prävention die Vermeidung von Kriegen. Dies bestätige Mathew Friedman, der Direktor des US-amerikanischen National Center for PTSD: «Die beste Art, eine Traumatisierung zu verhindern, besteht darin, den Krieg und jede andere Art von Gewalt zu vermeiden. Das tönt vielleicht naiv, aber es ist einfach wahr. Psychiater und Psychologen müssen sich mehr dafür einsetzen, dass Traumatisierungen weniger wahrscheinlich werden. Aber wir können PolitikerInnen und Generäle nicht zwingen, uns zuzuhören.»

Am Tabu rütteln

Der Krieg ist in unserer Gesellschaft vielleicht von stärkeren Mythen und Tabus umgeben als jedes andere Thema. Eines dieser Tabus ist die Tatsache, dass Soldaten im Krieg den Tod anderer Menschen verursachen und dass ihnen dieser Akt unter Umständen schwere Gewissensbisse verursacht. Das Tabu ist gemäss Lars Weisaeth so stark, «dass das Wort ‹töten› in der offiziellen militärischen Terminologie nicht vorkommt. … Was man im Krieg vom Soldaten erwartet, würde im Frieden als Verbrechen bezeichnet.» Die Ausbildung von Soldaten ist darauf ausgerichtet, dass der Körper und das Hirn auf Befehl hin einem einzigen Zweck dienen: der Tötung anderer Menschen. Soldaten erleben nicht nur wie ihre Kameraden Verwundung und Tod, sie tun dies selbst anderen Menschen an. Dass diese Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt als ihre ‹Feinde› galten, ist kein Schutz gegen die Gefühle von Schuld, Schande und Trauer. Diese Gefühle sind der tiefste Grund für langandauernde Kriegstraumata, und sie bleiben zumeist verborgen – offenbar sogar für viele Psychiater, die mit solchen Patienten zu tun haben.

Am Kongress von Cavtat wurde an diesem Tabu gerüttelt, wenn auch eher in den Pausengesprächen als in den offiziellen Referaten. Neu und sehr ermutigend war auch die Art und Weise, mit der Kriegsveteranen aus der ganzen Welt die öffentliche Aufmerksamkeit (Kroatiens) auf das Problem der Kriegstraumatiserungen zu lenken versuchte.

Ein konkretes Ergebnis des Kongresses ist die Einrichtung eines «Rates für die psychosozialen Folgen des Krieges», in welchem PsychiaterInnen und Aktivisten der Kriegsveteranen-Organisationen das Thema vertiefen und einen Folgekongress vorbereiten wollen.

Edle SpenderInnen

Jasna Bastic ist Journalistin aus Bosnien. In der GSoA-Zitig Nr. 72 (Sept. 1997) stellten wir ihre Untersuchung der Kriegstraumatisierung eines hohen Offiziers der kroatischen Armee vor. Für das damit zusammenhängende Buchprojekt haben zwei Dutzend GSoA-Zitigs-LeserInnen inzwischen 1765.- Franken gespendet.Ein herzliches Dankeschön! Die GSoA-Zitig wird das Thema weiterverfolgen. Spenden aufs GSoA-Konto (Kennwort «PTSD») sind weiterhin erwünscht.

Am 24. Juni, 19.30 Uhr informiert Jasna Bastic im Rahmen einer Veranstaltung der GSoA-Zürich über den Kongress von Cavtat und über die politische Bedeutung der Debatte um Kriegstraumatisierungen, Filmvorführung inbegriffen (POLKA, Engelstrasse 64, Zürich 4).

Interview:

Ans Töten gewöhnen

Warum Kriegstraumatisierungen endlich zu einem öffentlichen Thema werden müssen. Jasna Bastic beantwortet die Fragen von Hans Hartmann.

«Die beste Art, eine Traumatisierung zu verhindern, besteht darin, den Krieg und jede andere Art von Gewalt zu vermeiden. Das tönt vielleicht naiv, aber es ist einfach wahr. Psychiater und Psychologen müssen sich mehr dafür einsetzen, dass Traumatisierungen weniger wahrscheinlich werden.»

Ans Töten gewöhnen

Warum Kriegstraumatisierungen endlich zu einem öffentlichen Thema werden müssen. Jasna Bastic beantwortet die Fragen von Hans Hartmann.

Weshalb macht ausgerechnet eine Vereinigung von Kriegsveteranen die Kriegstraumatisierungen zu einem öffentlichen Thema? Die hätten doch allen Grund, ihre eigene Geschichte zu glorifizieren.

Das Problem ist einfach zu gross. Jeder Krieg hinterlässt wieder abertausende von traumatisierten Ex-Soldaten – psychisch gebrochene Menschen, arbeitsunfähig, suizidgefährdet. Zerstören und Töten haben nichts Heroisches an sich, und genau darum geht es im Krieg. Es ist die Gesellschaft, welche die Bilder von Ehre und Ruhm hochhält. Und diejenigen, welche die Männer in die Schlacht schicken, wollen anschliessend keine Geschichten darüber hören, was es heisst zu töten. Und niemand will wissen, wie Soldaten in modernen Armeen zu Killern ausgebildet werden.

Ja wie denn?

Es werden systematisch Hassgefühle, Agressionen und Gewaltbereitschaft gefördert. Vor allem aber soll das Töten mit dieser Konditionierung zu einer automatischen Reflexhandlung werden. Moderne Armee-Trainings arbeiten beispielsweise mit Videosimulatoren, aufblasbaren Uniform-Puppen und falschem Blut, um möglichst realistisch Kampfsituationen nachzustellen und die Soldaten ans schnelle Töten zu gewöhnen. Das alles läuft auf eine totale Entmenschlichung der Soldaten hinaus, auf ihre Instrumentalisierung als eine Art Waffe – und das hat schwerwiegende psychologische Konsequenzen, die nicht kontrolliert werden können.

Ich denke, PsychiaterInnen und speziell Militärpsychiater tragen in diesem Zusammenhang eine grosse Verantwortung. Diese Leute müssten auf die verantwortlichen Instanzen in Politik und Militär mehr Druck ausüben und vor allem die Öffentlichkeit über die Zusammenhänge aufklären sowie die zukünftigen Soldaten. Der einzige Weg Kriegstraumatas zu verhindern – das sagen Psychiater selber – bestehe darin, den Krieg zu verhindern.

Das politische Problem besteht offensichtlich darin: Wer glaubt, dass es ‹noble› oder doch zumindest ‹gerechte› Kriege gibt, wird versuchen, diese für die Soldaten so erträglich wie möglich zu gestalten.

Die wirklichen oder vorgeschobenen Motive der Kriegsführung ändern nichts an den Folgen des Krieges für die Soldaten. Die US-Soldaten im zweiten Weltkrieg mögen gegen Nazi-Deutschland noch so im Recht gewesen sein - traumatisiert wurden sie trotzdem. Das gleiche gilt natürlich auch für Uno-Soldaten in aktuellen Kriegen.

Mit anderen Worten: Kriegstraumatisierungen sind nicht nur zerstörerisch, sondern auch unvermeidlich. Ein gutes Argument, radikal pazifistisch zu sein?

Ja, selbstverständlich. Gibt es denn eine andere Antwort?