Friedensheldentum? Nein, Internationalismus!

Schon mehrmals hat die GSoA-Zitig am Beispiel von Freiwilligen-Teams der Peace Brigades International über mögliche Formen von Friedensdiensteinsätzen berichtet. Ein Überblick über das Organisationsmodell dieser Friedensorganisation soll zeigen, dass es mit dem Entsenden von freiwilligen zivilen FriedensdienstlerInnen noch keineswegs getan ist. Von Jürgen Störk

Friedensdiensteinsätze folgen nicht einem fixen Schema, je nach Situation müssen andere Mittel der gewaltfreien Konfliktbearbeitung eingesetzt oder gar neu entwickelt werden. Alle Einsätze von Peace Brigades International (PBI) beruhen auf den gleichen Grundsätzen: Gewaltfreiheit, Nichtparteinahme und Nichteinmischung. Zudem wird PBI immer nur auf Anfrage der vom Konflikt direkt Betroffenen aktiv. Dies verhindert paternalistischen Friedensinterventionismus und trägt dazu bei, dass nur von den Einheimischen wirklich gewünschte Handlungen ausgeführt werden.Wie aber werden diese recht allgemeinen Prinzipien im Alltag der Teams umgesetzt – von Freiwilligen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und mit einer eher knappen Vorbereitung notabene? Wer garantiert, dass die Prinzipien vor Ort auch wirklich zur Anwendung kommen? Um diesen Fragen nachzugehen, werfe ich hier für einmal einen Blick auf die internationale Struktur, welche die unsichtbaren, aber weltumspannenden Brücken zwischen den Freiwilligenteams und den Landesgruppen von PBI bilden.

Vielschichtige Struktur

Ein Team allein in einem Konfliktherd könnte nur wenig ausrichten. Erst die internationale Verknüpfung – ein sorgfältig organisiertes Zusammenwirken von hier und dort – macht es möglich im Rahmen von zivilen Friedendiensten, drohenden Gewaltakten vorzubeugen. Im Verlauf der letzten anderthalb Jahrzehnte hat PBI dafür eine weltweite Struktur entwickelt, welche danach strebt, das Ziel Frieden bereits in der eigenen Organisation zu ermöglichen. So wuchs eine dezentrale Basisorganisation, welche im Grossen wie im Kleinen auf der Basis des Konsenses arbeitet. Es gibt nirgends über- oder untergeordnete Instanzen, sondern ein fein abgestimmtes System von Kommunikation und Koordination, von Konsultation und Repräsentation. Ein PBI-Projekt besteht daher aus mehreren Elementen: Neben dem Freiwilligenteam im Konfliktgebiet sind dies das Koordinationsbüro, ein international zusammengesetztes Projektkomitee und die projektspezifischen Kontaktpersonen in den einzelnen Ländergruppen. Jedem PBI-Team im Einsatz steht eine ständige Koordination zur Seite, deren Büro sich ausserhalb des Konfliktlandes befindet. Diese Koordinationsbüros, meist besetzt durch eine Vollzeitstelle und unterstützt durch lokale Freiwillige, sind die Bindeglieder zwischen den Teams und dem Rest der internationalen Friedensorganisation mit ihren 16 unabhängigen Ländergruppen. Sie organisieren den Informationsfluss und kümmern sich zumeist um die Freiwilligentrainings, die Suche nach zusätzlichen Finanzquellen, um Public Relations auf internationaler Ebene und das Archiv des jeweiligen Projektes. Das internationale Projektkomitee versammelt Freiwillige, welche sich speziell für das betreffende Land und das PBI-Projekt interessieren und dort vielleicht selbst während einiger Zeit im Einsatz standen. Ihm obliegen die Supervision des Projektes, die wichtigsten Entscheide über die Politik des Projektes, zum Beispiel die Ausarbeitung des Mandates, dessen Interpretation oder die Einstellung von Freiwilligen. Da seine Mitglieder weit verstreut wohnen, kommunizieren sie vor allem über E-mail miteinander.

Innen- und Aussensicht

Wenn das Projektkomitee – etwa halbjährlich – zusammentritt (nach Möglichkeit im Projektland selbst), gesellen sich auch mindestens einE RepräsentantIn des Teams, sowie der Koordination dazu. An diesen Sitzungen werden Probleme und Perspektiven des Projektes durchdiskutiert und die grossen Linien für die nächste Periode gemeinsam entschieden. Dieses auf langjähriger Erfahrung gewachsene System von Auswertung und Planung stellt so der Konflikt-Innensicht des Teams immer wieder eine distanziertere Aussensicht gegenüber. Dies verringert die Gefahr, dass ein Team von der Eigendynamik eines Konfliktes überwältig wird und die Prinzipien von PBI vernachlässigt.

Die vierte Ebene eines Projektes sind die Kontaktpersonen in den 16 Basisländern von PBI. Sie betreiben Öffentlichkeitsarbeit, dienen als Anlaufstelle für die am Projekt oder dem Krisengebiet interessierten Menschen, organisieren Unterstützungsgruppen und betreuen Projekt-Freiwillige vor und nach ihrem Einsatz.

Offenes Netz

Bestimmte, für den Unterhalt einzelner Projekte notwendige Elemente werden von allen Projekten zusammen geteilt: Dazu gehören neben dem PBI-eigenen Alarmnetz für Notfälle und einem internationalen Projektbulletin insbesondere das internationale Sekretariat, welches die Verknüpfung der verschiedenen Projekte, Landesgruppen und weiteren internationalen themenspezifischen Komitees organisiert. Ein nach dem Repräsentationssystem zusammengesetzter internationaler Rat sorgt für die politische Leitung der Friedensorganisation. Ähnlich den Projektkomitees ist dies ebenfalls ein ‹virtuelles› Komitee, welches nur einmal jährlich tagt und die übrige Zeit über E-mail kommuniziert.

Oberste Instanz von PBI ist schliesslich die Generalversammlung, welche alle drei Jahre zusammentritt. Ihr obliegen die wichtigen politischen Entscheide über die generelle Ausrichtung von PBI und über Beginn und Ende von Projekten.

Insgesamt gleicht die internationale Struktur eines Projektes also einem an den Rändern offenen Netz, welches hüben und drüben miteinander verbindet und so den Freiwilligen vor Ort Schutz durch internationalen Druck gewährt. Soll sich Konfliktbearbeitung nicht in nutzlosem Märtyrertum erschöpfen, braucht es ein feinmaschiges Netzwerk aus Kommunikation, Koordination und Unterstützung.

Kommentar

PBI im Umbruch

PBI ist nichts anderes als ein weltumspannendes Netz von Hunderten von Freiwilligen. Alle Interessierten können sich entsprechend ihrer persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten da engagieren, wo es möglich ist.

Selbstverständlich gibt es auch in der PBI-Struktur immer wieder Knoten oder Löcher im Netz. So kämpfen alle mit der ungeheuren Informationsflut. Und es wird derzeit viel über die Leistungsfähigkeit des Konsensmodells oder über die Struktur von PBI und die Repräsentationmechanismen diskutiert. Auch grundsätzliche Themen stehen zur Diskussion, etwa welche Arbeit ein PBI-Team ausführen soll (oder nicht).

Es gäbe noch weitere Krisen-Symptome zu erwähnen, aber letztlich leidet PBI an einer handfesten Wachstumsstörung: Seit Beginn der 90er Jahre eröffnet PBI fast jährlich ein neues Projekt. Dass sich gewaltfreie Konfliktbegleitung eines wachsenden Interesses erfreut, zeigt, dass zivile Friedensdienste einem echten Bedürfnis entsprechen und wir mit diesem Anliegen auf dem richtigen Weg sind.

Andererseits verzeichnen jedoch weder die Basis in den PBI-Landesgruppen noch die internationale Freiwilligenstruktur denselben Wachstumsboom. Gleichzeitig wird der Zugang zu finanziellen Ressourcen schwieriger. In diesem Umfeld sind Krisen unvermeidlich, Stress und Ängste nagen an der Substanz.

All diese Probleme werden zur Zeit PBI-intern diskutiert. An der diesjährigen Generalversammlung in Schweden (in der ersten Juliwoche) werden die Delegierten die Vision und die Mission von Peace Brigades International festlegen. So will PBI mit einer Langzeit-Strategie ins nächste Jahrtausend gehen.

Jürgen Störk