Unparteilich Partei ergreifen

Unparteiliche Einmischung – eine unmögliche Verbindung von Gegensätzen? Oder parteiliche Bearbeitung von Konflikten – eine unzulässige Einmischung von Aussen? Über diese Fragen diskutierten Dorothee Wilhelm und Sibylle Mathis von der Frauenstelle für Friedensarbeit des cfd, Ueli Wildberger von Peace Brigades International (PBI), Hans Hartmann und Nico Lutz von der GSoA.

Hans Hartmann: Einen Zivilen Friedensdienst als Instrument gewaltfreier Konfliktbearbeitung – dies fordert die Initiative ‹Solidarität schafft Sicherheit›. Jede Einmischung in Konflikte, auch wenn es sich um ziviles und gewaltfreies Eingreifen handelt, wirft Fragen auf: Muss der Eingreifende unparteilich handeln, um erfolgreich vermitteln zu können? Ist unparteiliche Intervention überhaupt möglich? Und wie wäre eine parteiliche Einmischung zugunsten einer Konfliktpartei zu legitimieren? In der Arbeit von Peace Brigades International (PBI) spielt das Prinzip der Nicht-Parteinahme eine grosse Rolle. Meine Frage: Inwiefern unterscheidet sich PBI vom traditionellen schweizerischen Neutralitätsansatz, der zwar ‹gute Dienste› zulässt, sich aber nicht in ‹fremde Händel› einmischen will?

Ueli Wildberger: Zuerst möchte ich betonen, dass sich Parteilichkeit und Gewaltfreiheit in vielen Situationen keineswegs ausschliessen. Als Beispiel mag der gewaltfreie Widerstand gegen AKWs dienen, bei dem ich mich selbst stark engagiert habe.

Die unparteiliche Arbeit, wie PBI sie leistet, ist daher als Ergänzung zum parteilichen Engagement zu sehen. Dafür gibt es sowohl taktische als auch prinzipielle Argumente. Taktisch ist Unparteilichkeit oft eine Voraussetzung, um in einem Konfliktgebiet Fuss fassen zu können. Wir sind auf die Akzeptanz der Behörden angewiesen und pflegen bewusst den Kontakt zu ihnen. Wir betonen jeweils, dass wir nicht dazu da sind, Urteile zu fällen oder Schuld zuzuweisen. Ganz generell wollen wir keiner Konfliktpartei Vorwände dafür liefern, uns auszuweisen bzw. aus einem Konflikt auszuschliessen. Denn selbstverständlich nehmen Regierungen rasch wahr, dass unsere Arbeitsweise sehr wohl auch ein Parteinahme für Unterdrückte und Rechtlose beinhaltet. Wir befinden uns also immer auf einer Gratwanderung.

Dorothee Wilhelm: Wenn ich das recht verstehe: Ihr verwendet das Etikett der Unparteilichkeit sozusagen als Codewort, damit die Regierungen euch reinlassen?

Ueli Wildberger: Was den taktischen Aspekt betrifft, ja. Aber darüber hinaus gibt es prinzipielle Gründe. Erstens stärkt gerade unparteiliche Einmischung die schwächere Partei, indem eine internationale Präsenz vor allem ihr den Rücken stärkt. So gleichen wir Machtgefälle aus. Denn eine demokratische Konfliktbewältigung ist nur zwischen gleichberechtigten Partnern möglich. Zweitens geht es darum, sämtliche Konfliktparteien auf eine gerechte gemeinsame Lösung zu behaften, sowohl Unterdrückte als auch Unterdrücker.

Sibylle Mathis: Ich sehe immer noch nicht, was das mit Unparteilichkeit zu tun hat. Wenn PBI beispielsweise in Zentralamerika MenschenrechtlerInnen und oppositionelle Personen begleitet und beschützt, ist das doch sehr wohl eine Parteinahme.

Ueli Wildberger: Das hängt davon ab, wie man unparteilich definiert. Wir setzen uns für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Unsere Unterstützung können alle in Anspruch nehmen, die ebenfalls dieses Ziel haben.

Hans Hartmann: Das entkräftet Sibylles Einwand nicht. Menschenrechte können ja nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden, sondern sie sind selber Gegenstand des Konfliktes. Das Beharren auf Unparteilichkeit kann zudem die Notwendigkeit der ständigen Selbstreflexion ausblenden: Als Unparteilicher scheint man in einem gewissen Sinn über dem Konflikt zu stehen. Tatsache ist aber: Wer sich für Menschenrechte einsetzt, stellt sich meist auf eine Seite und ergreift Partei.

Nico Lutz: Einverstanden, ‹Unparteilichkeit› ist immer ein Konstrukt. Als solches kann sie aber hilfreich sein, besonders in Konflikten, in denen sich nicht einfach ein ‹böser staatlicher› Repressionsapparat und eine ‹gute gesellschaftliche› Opposition gegenüberstehen. Bei der Friedensarbeit in einem serbisch-kroatischen Grenzgebiet beispielsweise ist es zentral, sich nicht als Partei zu definieren.

Dorothee Wilhelm: So stimmt es nun auch wieder nicht. Wir können nicht so tun, als seien wir in der Lage, Parteilichkeit und Unparteilichkeit kontextbezogen und taktisch einzusetzen - je nach dem, welches gerade das geeignete Mittel zur Gewaltverminderung ist. Reale Konflikte gehorchen selten unseren einfachen Konzepten. Oft ist nicht hier Friede und dort Krieg, schon gar nicht, wenn es um Gewalt im privaten Bereich geht. Und in solchen Situationen müssen wir zwingend Partei ergreifen, Taktik hin oder her.

Hans Hartmann: Im Unterschied zu PBI bezeichnet die cfd-Frauenstelle ihre Arbeit explizit als parteilich. So wollt ihr mit eurem Engagement bewusst in die Zusammenhänge fremder Gesellschaften eingreifen und – ich interpretiere das mal so – traditionelles einheimisches Rollenverhalten durch westlich feministische Genderkritik unterminieren. Wer gibt euch das Recht dazu, so parteilich einzugreifen? Was unterscheidet euren feministisch-emanzipatorischen von einem christlich-missionarischen Ansatz?

Dorothee Wilhelm: Die feministische Bewegung stellt erstens – mehr als alle anderen – Selbstkritik und Selbstreflexion, Fragen nach der Definitionsmacht und nach Ausblendungen ins Zentrum ihres Handeln. Zweitens respektiert die feministische Bewegung sehr wohl einen universellen Gehalt der Menschenrechte. Dazu gehört vor allem die physische Integrität der Menschen. Für das Christentum war viel wichtiger, dass die Menschen bekehrt wurden, als dass sie diese Bekehrung auch überlebten. Es ging darum, die absolute Wahrheit unabhängig von den Bedürfnissen der Menschen durchzusetzen. Das ist Fundamentalismus. Diese Macht hat feministische Einmischung gar nicht. Mit ihrer Einmischung versucht feministische Entwicklungszusammenarbeit die physische Integrität einzufordern.

Sibylle Mathis: Eine wichtiger Grundsatz unsere Arbeit ist die Unterstützung von lokalen Organisationen. Wir setzen nicht unserer Vorstellungen um, sondern reagieren auf lokale Bedürfnisse. Selbstverständlich gibt es immer verschiedene Kräfte vor Ort, und wir arbeiten mit jenen zusammen, die uns inhaltlich am nächsten stehen. Wenn wir Projekte unterstützen, die z.B. die Diskriminierung von Frauen und Mädchen in der jeweilgen Gesellschaft zum Thema machen, nehmen wir in Kauf, dass dies unter Umständen im Widerspruch zu der vorherrschenden Meinungen über die gesellschaftliche Rolle der Frau steht.

Dorothee Wilhelm: Wichtig ist dabei die Reflexion über unsere eigene Rolle im Konflikt. Die SchweizerInnen haben das Gefühl, selbstverständlich überall willkommen zu sein. Hingegen wäre für sie einleuchtend, dass jemand aus dem Irak beispielsweise in den USA nicht willkommen wäre, um bei rassistischen Unruhen Politmonitoring zu machen.

Ueli Wildberger: Aus diesem Grund scheint mir wichtig, dass Friedensdienstleistende aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen zusammenarbeiten. Die einzelnen Teams müssen international zusammengesetzt sein. Friedensarbeit ist ein gegenseitiger Prozess. Mit der Einstellung «Wir im Westen und Norden können unsere Probleme selber lösen und helfen dem Süden auch noch» funktioniert es nicht. Im Nordamerika-Projekt von PBI, in dem es um Konflikte zwischen IndianerInnen und ZuwandererInnen geht, versuchen wir diese Gegeseitigkeit umzusetzen, indem auch Menschen aus südlichen Ländern am Projekt teilnehmen.

Nico Lutz: Um einen weiteren Aspekt anzusprechen: Es fällt uns leichter, Einsatzmöglichkeiten für Zivile Friedensdienste im Ausland auszumachen, als uns entsprechende Einsätze im Inland vorzustellen. Das ist sicher nicht Ausdruck davon, dass wir im Inland keine Unfriedens- und Gewaltverhältnisse vorfinden. Es ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass wir in den Konflikten hier Partei sind. Den Streit um die Atomenergie beispielsweise wollen wir nicht unbedingt unter Einbezug von Zivilen Friedensdiensten lösen. Uns ist die Lösung klar: Der Staat soll Atomkraftwerke abschalten. Als Konfliktpartei suchen wir eher die Zuspitzung des Konflikts und nicht den Interessenausgleich. Für einen Konflikt weiter weg können wir uns sehr wohl die Rolle einer ‹dritten Partei› vorstellen.

Sibylle Mathis: Das sehe ich ein wenig anders. Es stimmt zwar, dass wir hier Teil einer sozialen Bewegung sind, die ihrerseits Konfliktpartei ist. Wir versuchen einen Konflikt organisiert eskalieren zu lassen, um ihn sichtbar zu machen und um öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Das ist im Ausland aber nicht grundlegend anders. Auch dort geht es uns doch darum, den Aufbau von demokratischen Kräfte zu fördern. Wir leisten klassische Unterstützungsarbeit, die auch parteilich ist. Und dabei nehme ich unter Umständen auch eine Zuspitzung in Kauf, wenn die lokalen PartnerInnenorganisationen eine solche befürworten.

Ueli Wildberger: Wir sind uns darin einig, dass Deeskalation nicht generell das Ziel ziviler Einmischung sein kann. Es geht vielmehr um gerechte Lösungen und um die Änderung von Gewaltverhältnissen. Dies kann durchaus auch das Moment der Eskalation beinhalten. Die Begleitung von Menschenrechtsgruppen beispielsweise erhöht deren Spielräume, sich gesellschaftliches Gehör zu verschaffen, und dies wiederum kann sehr wohl zu einer Eskalation führen. Sicher wollen wir Gewalt verhindern. Aber nicht zum Preis, dass Konflikte zugedeckt werden. Der grosse Unterschied zwischen Einsätzen im Ausland und in der Schweiz besteht für mich darin, dass wir in der Schweiz viel weniger in der Lage sind, die Rolle einer «dritten Partei» einzunehmen. Wir sind fast immer Partei.

Dorothee Wilhelm: Wenn nicht Deeskalation das Ziel ziviler Einmischung ist, sondern ‹gute und gerechte Lösungen›, dann stehen wir wieder vor der Frage: Wer definiert was ‹gute und gerechte Lösungen› sind? Das unterstreicht noch einmal, wie wichtig es ist, dass Friedenseinsätze nicht nur von einem Staat bzw. von Menschen mit dem gleichen kulturellen Hintergrund ausgehen. Bereits die Definition eines Konfliktes ist eine Machtfrage. Als beispielsweise nach dem zweiten Golfkrieg der Irak im Zusammenhang mit den Rassenunruhen in Los Angeles im Uno-Sicherheitsrat den Antrag stellt, die USA zu verurteilen, war das in der internationalen Presse höchstens in der Witzspalte zu lesen. Das zeigt, dass der Westen selbstverständlich davon ausgeht, die Menschenrechte würden im eigenen Land respektiert und das Problem liege irgendwo im Ausland.

Hans Hartmann: Um so wichtiger ist es, dass wir mit der ZFD nicht unbewusst die Trennlinie zwischen ‹uns›, den Aktiv-Helfenden, und ‹den anderen›, den Passiv-Hilfsbedürftigen, vertiefen. Wir müssen uns fragen, warum wir gewisse Konflikte als unsere eigenen verstehen, andere aber nicht. Und wie verändert sich unsere Wahrnehmung, wenn wir ‹von aussen› in eine Konfliktsituation hineinzugehen meinen? Obwohl ich gegenüber der Idee einer unparteilichen Einmischung skeptisch bin, glaube ich, dass die Position des ‹engagierten Dritten› Chancen eröffnet. Andererseits: kann ein Staat diese dritte Position unterstützen, ohne sie einzunehmen?

Dorothee Wilhelm: Die Chance einer dritten Position hat damit zu tun, dass Zivile Friedensdienste eine zusätzliche Dimension der Öffentlichkeit einbringen: Die Welt schaut zu. Wenn der Friedensdienst bei einem einzelnen Staat angesiedelt wird, dann kommen damit – zumindest potentiell – wieder partikulare Machtinteressen ins Spiel. Langfristig müsste ein Friedensdienst daher auf einer übergeordneten Ebene, bei der Generalversammlung einer demokratischeren Uno etwa, angesiedelt werden.

Nico Lutz: Zivile Friedensdienste müssen sich aber nicht damit begnügen, Öffentlichkeit zu schaffen. ‹Von aussen› zu kommen kann auch weitere Vorteile haben. Je tiefer ich in einen Konflikt verwickelt bin, desto mehr Argumente kenne ich, warum dieser oder jener Lösungsansatz nicht funktionieren kann. Das Beispiel, das ich im Hinterkopf habe, ist die Arbeit in Pakrac, damals eine Stadt im serbisch-kroatischen Grenzgebiet. Für die Menschen vor Ort war der Grad der Traumatisierung und der Verzweiflung derart hoch und die Zugehörigkeit zu einer Konfliktpartei so klar, dass nur schon das Nachdenken über gemeinsame Lösungen bereits Verrat bedeutete. Als Aussenstehender hat man mehr Handlungsspielraum.

Sibylle Mathis: Diese Arbeit kann aber nur funktionieren, wenn das Einverständnis beider Konfliktparteien vorliegt. Wenn die MediatorInnen nicht als solche anerkannt werden, dann können sie kaum vermitteln. Und ich bin mir nicht sicher, ob eine “dritte Partei” es einfacher hat, anerkannt zu werden. In Südafrika wurde die Erfahrung gemacht, dass nicht aussenstehende Dritte, sondern fest in den lokalen Strukturen verankerte MediatorInnen viel erfolgreicher waren.

Ueli Wildberger: In einem Konflikt vermitteln zu wollen, ist ein sehr hoher Anspruch. Dafür braucht es Vertrauen von beiden Seiten, das sich nur langfristig aufbauen lässt. Vermittlung wird noch schwieriger, wenn zwischen den verschiedenen Parteien ein Machtgefälle vorhanden ist. Unsere Hauptfunktion sehe ich darin, die Spielräume für die Menschen vor Ort zu erhöhen, ihnen Mut zu machen und sie in ihrer Menschenrechtsarbeit zu unterstützen. So können wir überhaupt erst ein Klima für eine Vermittlungslösung schaffen.

Nico Lutz: Ziel unserer Diskussion war, Kriterien einer – sagen wir mal ‹akzeptablen› – Einmischung zu definieren. Halten wir fest: Die Prinzipien der Gewaltfreiheit und die bedingungslose Respektierung der Menschenrechte sowie der körperlichen Integrität aller Beteiligten waren für uns unbestritten. Ebenfalls mehrmals sind die Begriffe Gegenseitigkeit und Gemeinsamkeit genannt worden. Friedensdienste dürfen nicht nur von einem Staat aus organisiert sein, Friedensarbeit ist ein gegenseitiger Prozess und keine Einbahnstrassee. Drittens ist uns eine gewisse Zurückhaltung – ein zurückgestelltes Eigeninteresse – wichtig. Friedensdienste sollen daher nicht von sich aus eingreifen, sondern nur auf Anfrage.

Hans Hartmann: Das Postulat der ‹Gewaltfreiheit› und das der ‹Zurückhaltung› haben wir in unserer Initiative ebenso berücksichtigt, wie die Skepsis gegenüber staatlich-bürokratischen Apparaten. Für andere Anforderungen an einen zivilen Friedensdienst, welche als Kriterien einer ‹akzeptablen Einmischung› dienen könnten, haben wir noch keine befriedigenden Formulierungen gefunden. Lässt sich das Gebot der ständigen Selbstreflexion überhaupt in einem Gesetzestext verankern? Wie können wir die Idee der transnationalen Gegenseitigkeit mit Inhalt füllen? Diese Kriterien sind nicht einfach zu formalisieren und noch schwieriger zu institutionalisieren. Dennoch werden wir nicht darum herumkommen, diesbezüglich konkretere Vorstellungen zu entwicklen.