Keine Blanco-Checks
«Halb so teuer, doppelt so effizient» sei nicht
ihre Argumentation. Über das neue friedens- und
sicherheitspolitische Konzept der SPS sowie einen notwendigen
Beitrag der Schweiz zu einer internationalen Friedenspolitik
diskutierten mit Ursula Koch, Präsidentin der SP Schweiz, Hans
Hartmann und Nico Lutz.
GSoA: Seit Jahren übertreffen sich VBS und bürgerliche
Politiker mit immer neuen Vorschläge, wofür die Armee
eingesetzt werden soll. Aber auch auf der Linken ist einiges in
Bewegung gekommen. Die SP etwa kritisierte die offizielle
Sicherheitspolitik jahrzehntelang vor allem mit dem Kostenargument.
Am geschlossensten wehrte sie sich jeweils gegen einzelne
Rüstungsprojekte oder für die Reduktion der
Militärbudgets. Jetzt, im Juni dieses Jahres, hat der
Parteivorstand der SP Schweiz ein neues Grundlagenpapier «für
eine wirksame Friedens- und Sicherheitspolitik als Teil einer
solidarischen Aussenpolitik» verabschiedet. Steht darin
grundsätzlich Neues?
Wir sind von Freunden umgeben. Und Landesverteidigung macht
keinen Sinn mehr. | Ursula Koch: Das neue friedens- und sicherheitspolitische
Konzept der SP setzt auf zwei Seiten an. Einerseits sind wir in der
Tat der Meinung, dass die Armee zu viel kostet. Die Schweiz ist
eines der bestgerüsteten Länder Europas und gibt Unsummen
für den unwahrscheinlichen militärischen Konfliktfall aus.
Auf der anderen Seite wollen wir die Prioritäten anders
setzen. Eben nicht mehr beim Militär: Wir haben sowohl in der
Schweiz wie auf der ganzen Welt andere Probleme, die wir dringend
angehen müssen. Sicherheitspolitik hat im
Inland heute auch mit Sozialversicherungen zu tun. In der
Aussenpolitik verlangen wir eine Verlagerung hin zur präventiven
Friedensarbeit und aktiven Solidarität.
GSoA: Für ihre Armeehalbierungs-Initiative argumentiert die
SP auch auf einer anderen Schiene: «Halb so teuer, doppelt so
effizient». Wie passt das mit der Forderung nach einem
grundsätzlichen Umdenken zusammen?
Ursula Koch: Es gibt in der SP Leute, die
das vertreten. Meine Argumentation ist das aber nicht. Für mich steht
die Forderung nach einer anderen Sicherheitspolitik, nach einer zivilen
Friedenspolitik im Vordergrund. Das alte Konzept der Landesverteidigung
macht keinen Sinn mehr. Wir sind von Freunden umgeben. Sicherheitspolitik
ist nur noch international diskutierbar.
GSoA: Das neue SP-Grundlagenpapier legt den Schwerpunkt
tatsächlich in diese Richtung. Die militärische Bedrohung
tendiere «auf lange Frist gegen Null», so heisst es
darin. Und dennoch will sogar dieses neue Papier immer noch «jene
zufriedenstellen, die weiterhin von militärischen Massnahmen
Schutz und Sicherheit erwarten möchten». Und immer noch
soll die Armee gemäss SP-Parteivorstand «die Fähigkeit
zur Landesverteidgung» und «zur Kontrolle der eigenen
Grenzen» beibehalten. Wie geht das zusammen?
Ursula Koch: Es stimmt, es gibt Fragen, auf die wir heute keine
umfassende Antwort geben. Wir sagen: Der nächste Schritt ist
ein massives Zurückfahren der Militärkosten und eine
Umgewichtung in Richtung zivile Konfliktbearbeitung. Diesbezüglich
gibt es einen breiten Konsens in der Partei.
GSoA: Trotzdem : Wenn etwas billiger wird, dann wird es damit
nicht automatisch sinnvoller. Wofür oder wogegen also eine
halbe Armee?
Ursula Koch: Die SP stellt die Fragen etwas anders. Wir
überlegen uns, was in nächster Zeit realisierbar ist. Die
SP ist eine Reformpartei, und Reformen sind nur Schritt für
Schritt möglich. Auf die grundsätzliche Armeefrage geben
wir heute keine Antwort. Das ist die nächste Frage, die wir uns
stellen müssen. Und da wird es innerhalb der SP sicher auch
unterschiedliche Meinungen geben.
GSoA: Wie lange kann sich die Linke diese abwartende Haltung
noch leisten? Nach dem Ende des Kalten Krieges haben kriegerische
Konflikte wie im ehemaligen Jugoslawien in breiten
Bevölkerungskreisen eine grosse Verunsicherung ausgelöst.
Weder die Überbleibsel der Friedensbewegung noch die linken
Parteien haben bisher eine zusammenhängende politische Debatte
um gemeinsame Antworten auf die neuen Fragestellungen zustande
gebracht. So wird die Haltung vieler Leute heute von
widersprüchlichen Reflexen bestimmt: Von einer traditionellen
Anti-Interventions-Haltung etwa auf der einen Seite, von einem
neuen, allgegenwärtigen Ohnmachtsgefühl auf der anderen
Seite: Man muss doch «etwas» tun, «notfalls»
auch mit Gewalt.
Ursula Koch: Wenn ich heute ein vermehrtes Engagement der
Schweiz fordere, dann in erster Linie ein ziviles Engagement und
humanitäre Unterstützung. Aber ich sage auch: Wir können
uns der Diskussion nicht entziehen, wie solche zivilen und
humanitären Einsätze geschützt werden können.
Und das impliziert unter Umständen auch einen militärischen
Schutz.
GSoA: Das Grundlagenpapier der SP definiert eine ganze Reihe von
Voraussetzungen, unter denen der Einsatz von militärischen
Zwangsmitteln diskutierbar ist: Einsätze nur mit OSZE oder
Uno-Mandatierung, nur defensiver Schutz von humanitären
Hilfeleistungen oder keine Kampfeinsätze. Im aktuellen Fall
«Kosovo» waren all diese Bedingungen nicht gegeben. Und
dennoch hast du gesagt, du könntest dir den Einsatz im Kosovo
vorstellen.
Ursula Koch: Es ist immer so, dass abstrakte Fragen an einem
konkreten Fall diskutiert werden. Dieser Fall ist im Moment
«Kosovo». Die Diskussion wird aber sehr seltsam geführt.
Meine Forderung war immer ein massiver Ausbau der zivilen Hilfe. Ich
habe dann nebenbei
einmal gesagt, man müsse auch darüber diskutieren, wie
die humanitäre Hilfe geschützt werden kann. Die
bürgerliche Seite wollte anschliessend nur noch über einen
möglichen Armeeeinsatz im Kosovo sprechen.
Ich forderte zivile Hilfe und sprach von deren Schutz. Die
Bürgerlichen wollten dann nur noch über Armeeeinsätze
im Kosovo diskutieren. |
Das zeigt: Die Schweizer Armee braucht Kosovo offensichtlich
stärker als Kosovo die Schweizer Armee. Für mich ist das
auf der Ebene von Bubenspielen. Die Bürgerlichen brauchen für
die Armee ein neues Tummelfeld. Darum geht es mir sicher nicht. Mir
geht es um zivile und humanitäre Hilfe im Kosovo und nicht um
eine neue Legitimation für die Armee. Es ist völlig
absurd, wie das in den Medien dann dargestellt wurde: ich hätte
die Initiative ergriffen, um eine gesetzliche Basis für
Ausland-Einsätze der Schweizer Armee zu schaffen. Das
entspricht ganz und gar nicht den Tatsachen.
GSoA: Aber Realität ist doch, dass wir uns sehr bald mit
der Frage von Auslandeinsätzen der Schweizer Armee
auseinandersetzen müssen. Sie wird zwischen den Polen
«Öffnung» und «Isolationismus»
ablaufen, und es ist zu befürchen, dass unsere hehren
Vorstellungen - beispielsweise von politisch lupenreinen
OSZE-Mandaten dabei unter den Tisch fallen.
Ursula Koch: Ich habe mich ausdrücklich dagegen gewehrt,
dass wir diese Diskussion ruck-zuck führen und etwa wie
Keine Armeeeinsätze ohne OSZE- oder Uno-Mandat. Wenn diese
Bedingung nicht erfüllt ist müssen wir den Mut haben, zu
einem Gesetz Nein zu sagen. |
von bürgerlicher Seite gefordert bewaffnete Einsätze
im Ausland über Dringlichkeitsrecht beschliessen. Wir müssen
diese Dinge seriös diskutieren. Und zweitens haben wir ganz
klare Vorstellungen, unter welchen Bedingungen diese Einsätze
denkbar sind. Ich halte es für eine sehr gefährliche
Entwicklung, wenn sich die Nato heute selber das Recht geben will, auch ohne Uno-Mandat zu intervenieren.
Wenn der Zug wirklich in diese Richtung fährt und es uns nicht
gelingt, unsere Vorstellungen einzubringen, dann müssen wir
auch den Mut haben zu sagen: «Nein, so nicht». Ich bin
klar gegen Blanko-Checks für Militäreinsätze.
GSoA: Wir sind uns einig: Viel dringender als die militärischen
Interventionsplanspiele ist die Diskussion, wie wir einen aktiveren
zivilen Beitrag erbringen können. Defizite bestehen
international nicht im militärischen Bereich. Es wäre doch
viel leichter gewesen, eine zigtausend Mann starke
Interventionstruppe für den Kosovo zussammenzustellen, als
jetzt 2000 zivile OSZE-Beobachter zu finden. Auch aus diesem Grund
ist ein ziviler Beitrag der Schweiz viel notwendiger.
Ursula Koch: Da bin ich sehr einverstanden. Zudem müsste
man neu diskutieren, welche Rolle die Neutralität noch spielen
kann. Ich habe innerhalb der Partei den Vorschlag gemacht, dass die
neutralen Länder in der Friedens- und Sicherheitspolitik mehr
zusammenarbeiten müssten. Das stiess parteiintern nicht nur auf
offene Ohren, weil viele der Meinung sind: Die Schweiz war nie
neutral, und Neutralität ist auch in Zukunft keine taugliches
Konzept. Ich habe dort eine andere Position. Ein engeres
Zusammenarbeiten mit neutralen Ländern ist im Gegensatz
zu einem Nato Beitritt eine gute Perspektive für
verstärkte internationale Kooperation
GSoA: Das SP-Grundlagenpapier äussert sich kaum dazu,
welche Aufgaben zivilgesellschaftliche Akteure in der
Sicherheitspolitik übernehmen können. Die GSoA
andererseits hat mit ihrer Initiative für einen freiwilligen
Zivilen Friedensdienst ein klares Konzept für ein neuartiges
ziviles Engagement formuliert. Wir wehren uns damit gegen die
Vorstellung, dass Solidarität nur noch mit dem Sturmgewehr
möglich sein soll, wie uns das das Departement Ogi und die
bürgerlichen Parteien so gerne glaubhaft machen möchten.
Ursula Koch: Wir haben diesbezüglich noch nicht sehr viel
diskutiert. Es ist nützlich, wenn uns Gruppen wie die GSoA
immer wieder darauf hinweisen, welche Fragen wir nicht beantwortet
haben. Und es wäre auch spannend, vermehrt gemeinsame
Diskussionen zu führen. So kommen wir alle weiter. Klar ist
aber auch: Die SP ist nicht die GSoA und hat eine andere Stellung in
diesem politischen System. Mit unterschiedlicher Geschwindigkeit
werden wir uns aber an die gleichen Diskussionen heranmachen.
Der letzte Parteitag der SP vom Oktober 1998 hat beispielsweise
klar festgehalten: Bis heute hat die Partei den Antrag der
JungsozialistInnen von 1995 noch nicht erfüllt, eine Studie zum
Thema «Schweiz ohne Armee» zu machen. Diese Diskussion
steht uns noch bevor.
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