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Come and be afraid with me

Daniel Schwartz, 44, ist Lookat-Fotograf und redaktioneller Mitarbeiter der Kulturzeitschrift Du. Er hat in verschiedenen Konflikt- und Kriegsgebieten fotografiert, zuletzt im Mai 1999 in Osttimor. Die GSoA-Zitig wollte von ihm wissen, wie er als Kriegsfotograf mit dem Schrecken umgeht

von Marcel Hänggi*

GSoA-Zitig: Daniel Schwartz, du warst als Fotograf immer wieder in Konfliktgebieten unterwegs.
Daniel Schwartz: Ja, erstmals 1991 in Burma. Danach war ich in Kambodscha, in Tadschikistan; 1998 in Afghanistan und zuletzt im Mai 1999 in Osttimor.

Die Taliban in Afghanistan verbieten das Fotografieren. Fotografierst du heimlich?
D.S.: Nein. Als Fotograf kannst du dich nicht verstecken. Du hoffst, dass sie dich nicht entdecken ñ dann entdecken sie dich doch, kommen mit ihren Pick-Ups und tun dumm... Es ist manchmal sehr primitiv. Sie sitzen zum Beispiel auf einem eroberten Masud-Panzer, einer sagt ´if you take my picture I will kill youª, der nächste sagt ´if you don't take my picture I will kill youª... Du bist mit grosser Dummheit konfrontiert.

Wie gehst du mit solchen Situationen um?
D.S.: Indem ich nicht auf die Waffen sehe.

Das klingt cool ñ wenn einer sagt, er bringe dich um!
D.S.:
Ich muss versuchen, die Situation zu entschärfen. Ich ´macheª die Foto, bevor ich die Kamera vor dem Kopf habe. Ich sehe die Situation und weiss, die Elemente für ein Bild sind vorhanden. Ich versuche, die Aufmerksamkeit zu zerstreuen, aber das Bild habe ich im Kopf und das Gerät parat. In diesem Fall in Afghanistan markierten Bänder aus konfiszierten Kassetten die Frontlinie: Das ist natürlich das Bild, nicht der Panzer. Ein T54 mit den bärtigen Kämpfern mit Kalaschnikow und Turban sagt nichts aus über den spezifischen Konflikt, über die Tradition des Landes, über die politische Situation. Hingegen die Bänder: Die talibanische Auslegung des Koran verbietet die ´Abbildungª von Musik auf Kassetten ñ vor allem wenn es sich um britische oder amerikanische Popmusik handelt.

Erleben die Leute dich als Eindringling, als Voyeur?
D.S.:
Du bist immer ein Eindringling. Die Frage ist: Wie gehst du mit einer solchen Situation um? Ich versuche immer, in die Mitte einer Situation zu gelangen, von der ich mir verspreche, ein relevantes Bild machen zu können. Auf dem Weg hinein gibt es körperliche Kontakte, du merkst, ob die Leute dir Platz machen, ob sich eine Spannung aufbaut. Du musst eine Kommunikation herstellen, bevor es zur Eskalation kommt, musst signalisieren, dass du auch bereit bist umzukehren. Man merkt, wenn jemand nicht fotografiert werden will. Ich fotografiere nie gegen den Willen der Betroffenen.

Du teilst ab und zu Hotelzimmer mit Fotografen, die sehr anders arbeiten. Wie nimmst du diese Art von Kriegsfotografie wahr?
D.S.:
Die Nachrichtenagentur-Fotografen sind sehr harte Arbeiter, die mit grossen Frustrationen fertig werden müssen. Ich habe grossen Respekt vor ihnen. In Osttimor habe ich im Mai, zur Zeit der ersten Schlächtereien, das Zimmer mit einem Fotografen geteilt, der für Time unterwegs war. Er war schon vor mir da und sagte mir am Telefon: ´Please come and be afraid with meª. Ich traf am Montag darauf ein, wir teilten zehn Tage lang das Zimmer, gingen zusammen fotografieren. Wir hatten in der selben Situation sehr verschiedene Aufträge zu lösen; ich finde, dass sich das gut ergänzt.

Deckt sich dein Anspruch jeweils mit deinem Auftrag, oder hast du darüber hinaus einen Anspruch, eine persönliche ´Missionª?
D.S.:
Es geht, krude gesagt, darum zu schauen, was mit dieser Welt passiert. Ein Auftrag ist jeweils klar definiert, du musst die Elemente deiner Geschichte erarbeiten. Aber natürlich verfolgst du auf anderer Ebene eine Thematik ñ etwa Regierungen, die gegen ihr eigenes Volk vorgehen: Das war so in Burma, in Kambodscha, in Afghanistan, da ging es immer um die selben Geschichten. Es ist nie der Konflikt an sich, der mich interessiert, sondern es ist ein Leitmotiv, das ich längerfristig verfolge und von dem ich annehme, dass es sich in einem Konflikt zuspitzt und verschärft ausbildet. So wollte ich in Afghanistan nicht einfach eine weitere Kriegsreportage machen, sondern ich arbeitete in mehreren Ländern zum Thema Geld. Da gehörte für mich die Frage nach der Ökonomie des Überlebens dazu: Wie überleben die Menschen nach 25 Jahren Krieg wirtschaftlich?

In der Medienwelt wird der Krieg mehrheitlich recht uniform abgehandelt. Willst mit deiner Arbeit andere Informatonen liefern?
D.S.:
Ja. Ich versuche, das Bild der Gewalt in einen Kontext einzubetten ñ ein Kontext, der das Bild nicht abschwächt, sondern Hintergrundinformationen liefert, die bei der Lektüre des Gewaltbildes helfen. Eine blosse Aneinanderreihung guter Bilder interessiert mich nicht.

Wenn du in eine Konfliktsituation kommst, die du als Fremder nur teilweise verstehen kannst: Woher nimmst du deine Berechtigung zu fotografieren?
D.S.:
Man versteht nie alles. Wer in einem Konflikt alles versteht, hat nichts verstanden. Man muss seine Grenzen erkennen und versuchen, innerhalb dieser Grenzen das Bestmögliche zu machen ñ handwerklich wie inhaltlich. Die Leute fragen manchmal: ´Was haben wir davon, dass du hier bist?ª Das verständlich zu machen ist die erste Hürde, die du nehmen musst.

Wie nimmst du diese Hürde?
D.S.:
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Aber immer gilt: Du musst Respekt haben vor den Menschen, vor der Situation. Auch ñ oder gerade ñ vor dem osttimoresichen Milizionär, der die Machete aus dem Hemd zieht, musst du Respekt haben. Ich würde nie einen Auftrag annehmen, wenn die Redaktion vom Pult aus weiss, wie es vor Ort aussieht, und von mir den Beleg dafür will. Wenn ich zu einer Reportage abreise, muss ich mir immer bewusst sein, dass ich kein Recht habe, mit den gewünschten Bildern nach Hause zu kommen. Manchmal bin ich froh, wenn ich ein Bild verpasse.

Warum?
D.S.:
Es beruhigt mich, zu wissen: Das wär's jetzt gewesen, aber aus irgend einem Grund ging es nicht. Ich habe kein Recht darauf, alle Seiten des Konflikts zu sehen. Ich fotografiere oft Menschen in Rückenansicht, um zu zeigen, dass jede Situation noch ein anderes Gesicht hat, das verborgen bleibt.

Die Kriegsfotografie hat immer noch den Nimbus aus den Anfangszeiten der grossen Fotoagentur Magnum.
D.S.:
Diese Kriegsfotografie gab es einmal. Bilder vom Zweiten Weltkrieg oder von Vietnam ñ von Fotografen wie Robert Capa oder Philip Jones-Griffiths ñ sind Teil des öffentlichen Gedächtnisses. Aber solche Bilder kann es heute nicht mehr geben. Heute hat sich die Informationspolitik der Kriegsparteien geändert, aber auch die Kriege selbst. Die Waffen sind anders und schneller. Es gibt keine klare Front mehr wie noch im Zweiten Weltkrieg, und Standpunkte, die die Fotografen in Vietnam einnahmen, wären heute tödlich. Im Balkan kamen viele junge Fotografen um, weil sie diese Bilder im Kopf hatten, die man heute nicht mehr machen kann.

Wie weit lässt du sich auf Gefahren ein?
D.S.:
Das musst du von Fall zu Fall abschätzen. In Kambodscha kann das heissen, dass du wegen Minengefahr zum Pissen nicht in den Busch gehst. Als ich in Osttimor war, wünschte die New York Times von mir ´pictures of clashesª. Ich sagte ab. In diesem Konflikt kann ein simples Bild eines Zusammenstosses nichts zeigen ñ da musst du schon wissen, willst du dein Leben aufs Spiel setzen für ein Bild, das nichts sagt.

Nachdem Magnum-Mitbegründer G. Rodger mit den ersten alliierten Truppen im KZ Bergen-Belsen eingetroffen war, war er schockiert und fotografierte danach nie mehr Kriege.
D.S.:
Er stellte damals fest, dass er begann, in Kompositionen zu denken, ästhetisch zu denken. Ja, natürlich gibt es Situationen, da denkst du: Eigentlich muss ich das nicht haben. Dann bin ich froh, nicht unter dem Druck zu stehen, täglich Bilder liefern zu müssen.

Was war die schlimmste Situation, die du erlebt hast?
D.S.:
Das war kein Krieg, sondern der Zyklon, der 1991 in einer einzigen Nacht in Bangladesh 140'000 Tote forderte. Ich war sehr beeindruckt, wie die Bangladeshi mit dem Tod umgingen. Der Schrecken war dann gewissermassen gar nicht mehr schrecklich.

Also eine Abstumpfung?
D.S.:
Nein, ich sehe das nicht als Abstumpfung. Aber in Bangladesh sah ich, wie die Menschen neben den Leichen und Tierkadavern, die im Wasser schwammen, wieder daran gingen, ihr Leben aufzubauen. Der Tod ist für sie eine natürliche Sache. Bei uns wird er verdrängt, damit erhält er auch seine pornografische Komponente.

Auch du musst in Kompositionen denken, den Schrecken ästhetisch bearbeiten. Ist das nicht zynisch?
D.S.:
Es kann zynisch sein, wenn es zu einem Formalismus führt. Wenn du mit dem Schrecken arbeitest, musst du auch dem Schrecken das Beste geben, was dein Medium hergibt. Man kann auch den Schrecken ´anständigª fotografieren. Eines der schrecklichsten Bilder, das ich je gemacht habe, zeigt eine ertrunkene Frau in Bangladesh, die mit dem Gesicht nach unten im Reisfeld liegt. Als ich das Bild machte, dachte ich: jetzt blickt sie dann gleich auf und sagt ´geht's noch?ª. Ich versuchte, eine würdevolle Distanz einzuhalten und doch präzis zu sein. Hier ist es die Hand mit dem Armreif und dem Haar über den Fingern im Reisfeld, auf die ich fokussiert habe. Der tote Körper ist im Hintergrund, das Gesicht ist nicht sichtbar ñ das Bild ist deutlicher als Bilder von Wasserleichen mit herausgesprungenen Augen.

Bleibst du in einem Konflikt neutral?
D.S.:
In den Konflikten, in denen ich arbeitete, nahm ich eine Seite ein - zum Beispiel die Seite des burmesischen Volkes, das unter der Militärdiktatur leidet: Ich versuchte zu zeigen, wie dieses Regime mit den Bajonetten in den Pagoden präsent ist; ich unternahm alles, um die Bilder dieses Unterdrückungsapparates zu machen. In Osttimor sind die Milizen, die ich fotografierte, der sichtbare Aspekt des indonesischen Regimes. Da ist es klar, auf welcher Seite du stehst. Auch die Milizionäre wussten, dass jeder Journalist gegen sie war.


* Das Interview wurde im Rahmen einer Reportage für die Weltwoche geführt, welche am 30. September 1999 unter dem Titel ´Vier Schweizer, die es in den Krieg zogª erschienen ist.
Mit diesem Interview verabschiedet sich Marcel Hänggi aus der Redaktion der GSoA-Zitig.

 
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10. Nov 1999/uh
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