Von Nico Lutz und Marco Tackenberg
Damit wir uns nicht missverstehen: Wir beklagen keineswegs, dass wir für den Vorschlag innerhalb der GSoA nicht nur Applaus ernten. Wäre
dies anders in einer Organisation, die im Pazifismus und in der Friedensbewegung der 80er Jahre wurzelt es müsste gar beunruhigen. Aber
wir wenden uns entschieden gegen die Stimmen, welche allein schon die Diskussion über friedenssichernde Einsätze von Soldaten im Ausland
kategorisch zurückweisen. Beharrliches Nachdenken reicht auch hier gewiss nicht aus, aber ohne geht es noch viel weniger.
Worüber diskutieren wir eigentlich? Der Initiativentwurf sieht vor, dass auch nach einer allfälligen Armeeabschaffung die Möglichkeit bliebe,
ein Gesetz zu erlassen, das den Einsatz von 800 bewaffneten Freiwilligen vorsieht. Damit wollen wir für die Zukunft eine Diskussion darüber
zulassen, unter welchen Bedingungen bewaffnete Einsätze zur Konflikteindämmung Sinn machen können. Mit keinem Wort fordern wir
Soldaten für militärische Interventionen.
Das Druckmittel des Wirtschaftsboykotts ist nur wirksam, wenn dieser nicht nur beschlossen, sondern auch durchgesetzt wird. Bewaffnete
Einheiten in irgendeiner Form ZöllnerInnen, PolizistInnen oder Soldat(inn?)en müssen die Überwachung eines Embargos sicherstellen. Ein
unbewaffnetes Vorgehen gegen Waffenschieber ist wenig erfolgversprechend. Humanitäre Hilfslieferungen können nicht immer unbewaffnet
durch Konfliktgebiete geschickt werden. Auch da ist eine Bewaffnung für den Selbstschutz unserer Meinung nach vertretbar. Bei den
Arbeiten mit Freiwilligen für das Wiederaufbauprojekt in Pakrac musste auch die GSoA zur Kenntnis nehmen, dass die Präsenz von
Blauhelmen in der UNO-Schutzzone «UNPA West» die Arbeit erleichterte. Was ist dagegen einzuwenden, wenn das Flugverbot der UNO
im Norden Iraks zum Schutz der KurdInnen auch militärisch durchgesetzt wird? Und wer wird heute gar die militärische Intervention der USA
vor 50 Jahren in Europa pauschal verurteilen.
Wir sagen damit keineswegs, dass militärische Mittel als ultima ratio in jedem Fall richtig sind. Wir sind uns auch bewusst über all die
Unzulänglichkeiten und Widersprüchlichkeiten bei der Entscheidungsfindung wann, wo, mit welchem politischen Konzept und in welchem
politischen Interesse militärische Mittel eingesetzt werden sollen. Selbstverständlich müssen zivile Mittel bei der Vorbeugung und dem Abbau
von Konfliktsituationen absoluten Vorrang haben. Ebenso teilen wir die Kritik, dass in viel zu vielen Fällen die militärischen Einsätze als
vermeintlicher Ersatz für politische Lösungen herbeigezogen werden.
Darum aber gleich den Sonderfall Schweiz aufs neue zelebrieren und für immer in jeder Situation einen Beitrag bei bewaffneten Einsätzen
ausschliessen zu wollen, ist wohl eher Ausdruck einer Verweigerungsstrategie gegenüber unliebsamen Diskussionen, denn sachlich vertretbar.
Seit die GSoA vor zehn Jahren die erste Armeeabschaffungsinitiative eingereicht hat, haben wir immer wieder betont, dass die Schweiz
aufgrund ihrer geopolitischen Lage das Privileg hat, ihre Nationalarmee abzuschaffen. Wir haben nie unterschlagen, dass es Länder gibt, für
die sich die Frage am Ende des 20. Jahrunderts leider so noch nicht stellt. Dieses Privileg hat für uns schon 1989 die Verpflichtung ergeben,
mit einer umfassenden Friedenspolitik dort solidarisch zu wirken, wo die Bedingungen für einen positiven Frieden noch nicht gegeben sind.
Damit verbunden ist die Einsicht, dass wirklicher Friede als ein Ziel verstanden werden muss, als eine Aufgabe, der man in einem
institutionellen Rahmen und mit kleinen, beharrlichen Schritten immer näher kommen will.
1795 entwarf Kant in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden» solch einen institutionellen Rahmen für die Überwindung des Krieges. Friede
verstand er in seinem Entwurf nicht als paradiesischen Zustand, sondern als Rechtsgut, auf das alle, begründet durch die uneingeschränkte
Gültigkeit der Menschenrechte, Anspruch haben. Ein Staatenbundes als Institution der Friedenssicherung sollte nach Kants vorstellung dieses
Recht garantieren. Die Durchsetzungsfähigkeit einer Föderation freier Staaten sollte jedoch nicht auf der militärischen Stärke der Mitglieder
beruhen, sondern auf der beharrlichen Entwicklung friedenserhaltender rechtlicher Garantien.
Wer nun soll sich dieser Aufgabe annehmen? Nicht ohne gute Gründe wurden in jüngster Vergangenheit auf das Versagen der Uno oder der
OSZE in Bosnien, im Irak oder in Somalia hingewiesen. Aber: its no good crying over spilt milk! Man kann das Projekt einer
Weltinnenpolitik belächeln, «realistische» Machtpolitiker tuns auch gerne, aber bleibt uns etwas anderes übrig, als die Realisierung einer
Kantischen Version eines zivilen Friedens weiterzuverfolgen?
Eine solche Weltfriedensordnung macht aber nur Sinn, wenn die Nationalstaaten verpflichtet werden können, schrittweise auf ihre
Gewaltinstrumente zu verzichten, und wenn sich die Völker je länger desto weniger für Kriege mobilisieren lassen. Dennoch kann niemand
ernsthaft bezweifeln, dass auch in Zukunft Völkerrecht verletzt werden wird und Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Was bleibt
also zu tun? Jürgen Habermas antwortete im April 1991 in einem Interview auf diese und ähnliche Fragen: «Deshalb wäre es vernünftig, die
Autorität der Vereinten Nationen zu stärken, dass den Resolutionen der Völkergemeinschaft erforderlichenfalls auch mit militärischen Mitteln
Nachachtung verschafft werden kann. (...) Eine Weltfriedensordnung funktioniert nur unter der Prämisse, dass die mächtigen Industrienationen
aus inneren Gründen immer weniger in der Lage sein werden, nach aussen als bellizistische Staaten zu agieren.»1)
Damit sei auf drei Eckpunkte hingewiesen, welche wir mit den neuen Initiativvorschlägen verwirklichen möchten. Erstens: Die Schweiz soll
ihre Armee abschaffen. Sie braucht sie nicht. Zweitens: Die Welt soll zu einem Raum kollektiver Sicherheit werden. Dazu kann die Schweiz
mit einer glaubwürdigen, kohärenten Wirtschaft- und Menschenrechtspolitik am meisten beitragen. Im Zentrum soll ein verstärktes
Engagement im Bereich ziviler Friedensbemühungen stehen. Drittens: Die Schweiz beteiligt sich an einer kollektiven Wahrung des
Völkerrechts und zur Diskussion stehen auch bewaffnete Massnahmen.
Wer heute als Antwort auf den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien bewaffnete Interventionen als Zaubermittel betrachtet, dem geht es
wahrscheinlich weniger um die Suche nach einer politischen Antwort auf den Krieg, als um einen moralischen Befreiungsschlag angesichts der
kollektiven Ohnmacht. Es ist zu hoffen, dass wir in der GSoA diese Diskussion differenziert führen können.
1989 ist vorbei, verschiedene Argumente, die darauf basierten, dass in Europa Kriege nicht mehr führbar sind, haben erheblich an Gültigkeit
eingebüsst. Gerade wenn wir uns gegen militärische Patentrezepte zur Lösung von Konflikten wehren wollen, muss uns diese Diskussion
wichtig sein. Und weil uns auch klar ist, dass eine Instanz zum Beispiel in Form einer Uno-Polizeimacht bis heute fehlt, die demokratisch
legitimiert die Wahrung des Völkerrechts übernehmen könnte, haben wir offen formuliert: «Das Gesetz kann im Rahmen internationaler
Friedensbemühungen das Aufstellen und den Einsatz bewaffneter Einheiten bis maximal 800 Freiwilligen für friedenserhaltende Einsätze
vorsehen.» Diese Diskussion nicht zu führen, heisst, sie den Regierungen, den Militärs und der politischen Rechten zu überlassen.
1) Jürgen Habermas, Vergangenheit als Zukunft, pendo-profile, Zürich 1991, S. 16
InitiativentwurfDie Schweiz ersetzt die bewaffnete Landesverteidigung durch einen Beitrag zur internationalen Sicherheitspolitik. |
GSoA-Zitig, September 1996, Nr. 66