PBI unterstützt den Demokratisierungsprozess in Haiti

Anstiftung zur Gewaltfreiheit

Die Peace Brigades International (PBI), eine internationale Grassroots-Organisation, macht seit Anfang der 80er Jahre mit ihren Interventionen für gewaltfreie Konfliktlösungen in unterschiedlichsten Krisensituationen wertvolle Erfahrungen. Jürgen Störk weilte bis Dezember 1996 während einem Jahr in Haiti. Für die GSoA-Zitig verfasste er diesen Bericht.

Von Jürgen Störk

Schon 1993 entsandte eine internationale Koalition von Friedensorganisationen unter dem Namen «Cry for Justice» 70 Freiwillige während dreier Monaten nach Haiti, um den durch Diplomaten ausgehandelten Rückzug des Militärregimes durch internationale Präsenz vor Ort gewaltfrei zu begleiten. Doch die Militärs hielten ihre Versprechen nicht, sondern verstärkten die Unterdrückung noch. Alle internationalen Organisationen inklusive Uno verliessen das Land. Auch die Friedenskoalition, die ein zeitlich eng befristetes Mandat hatte, musste sich zurückziehen. Unter den letzten Fluggästen aus Port-au-Prince befanden sich auch einige Leute der Peace Brigades International (PBI). Sie nahmen den Hilferuf von Bauern- und Menschenrechtsorganisationen nach internationalem Schutz mit.

Ein Projekt entsteht

Bis im Herbst 1995 konnte PBI die nötige Struktur - ein internationales Projektkomitee und Netzwerk - sowie einsatzbereite Freiwillige und das nötige Startkapital für ein neues Langzeitprojekt bereitstellen. Eine Erkundungsreise bei Kontakt-Organisationen in Haiti ergab, dass trotz der veränderten politischen Situation - Präsident Aristide war wieder in sein Amt eingesetzt worden - weiterhin Bedarf nach einer PBI-Präsenz bestand. Die Erfahrung von PBI in gewaltfreier Aktion sollte, so hofften viele, den Demokratisierungsprozess und den Aufbau eines Rechtsstaates unterstützen, das Bildungsangebot in gewaltfreier Konfliktlösung wichtige Impulse im Kampf gegen Gewaltstrukturen und Gewaltverhalten in Haiti vermitteln.
Am 10. Dezember 1995 flog ich als Mitglied eines Dreierteams nach Port-au-Prince. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen sorgten damals für ein Klima angstvoller Erwartungen. Kaum eine Woche im Land wurden wir schon um Schutzbegleitungen des Wahlprozesses und um eine Schutzpräsenz in einem Bildungsinstitut der Volksorganisationen angegangen. Erst nach diesem ersten Sturm konnten wir mit den verschiedensten Organisationen und Persönlichkeiten Kontakt aufnehmen. Wir wollten ihre Arbeit, ihre Sicht auf die drängenden Probleme des Landes und ihre Vorstellungen von den Aktionsmöglichkeiten für das PBI-Team kennenlernen. Damit hoben wir uns vorteilhaft vom üblichen Vorgehen internationaler Organisationen ab, die zumeist mit einem fertig vordefinierten Projekt ins Land kommen, wie unsere GesprächspartnerInnen immer wieder bemängelten.
Neben dem Studium des Kreolischen und der Vertiefung unserer Landeskenntnisse beanspruchte die Suche nach einem geeigneten Haus für unser inzwischen vierköpfiges Team viel Energie, da vor allem die Uno mit ihrem grosszügigen Portemonnaie die Preise in die Höhe getrieben hatte. Nach einem Vierteljahr stellten sich die ersten greifbaren Erfolge unserer Anstrengungen ein: Wir hatten die nötige minimale Infrastruktur samt Buchhaltung und Archiv auf die Beine gestellt. Wir wurden zum eingespielten Team, und unser Kontaktnetz brachte bereits Arbeitsaufträge für die Durchführung von Friedensseminaren.

Keine einfachen ‹Lösungen›

In Haiti stösst vor allem das PBI-Bildungsangebot in Gewaltfreiheit und Konfliktlösung auf grosses Interesse. Unsere Ateliers widmen sich einer breiten Themenpalette: vom Organisations- und Gemeindeaufbau über Gruppendynamik, Interkulturalität, Gewaltfreiheit, Vertrauen, Kommunikation, Entscheidungsprozesse, bis zur Konfliktlösung. Dabei gehört die intensive Diskussion um den Sinn unserer Workshops zum Angebot. Wir wollen und können keine ‹LehrerInnen› sein. Wir halten keine Vorträge und dozieren nicht über Theorien. Wir wollen vielmehr als AnimatorInnen einen pädagogisch durchdachten Prozess gestalten. Dies ist speziell in Haiti kein leichtes Unterfangen, wo viele von den Weissen einfach ‹Lösungen› erwarten.
Mit ‹Spielen›, Rollenspielen, Theaterarbeit und weiteren gruppendynamischen Techniken versuchen wir, allen Teilnehmenden ein direktes, persönliches Erleben zu den jeweiligen Problemen zu ermöglichen. Die dabei gemachten Erfahrungen werden dann zunächst auf der Ebene der erlebten Gefühle gemeinsam ausgewertet und dann inhaltlich analysiert. So werden auf spielerische Weise Alltagsprobleme auch non-verbal sichtbar. Die Teilnehmenden werden mit ihren eigenen Problemen konfrontiert, tauschen diese aus, analysieren sie gemeinsam und suchen eigene Lösungen. Zu unserer Rolle als PBI-AnimatorInnen gehört, sicherzustellen, dass diese Prozesse gewaltfrei ablaufen können, kritische Fragen zu stellen und allenfalls Anstösse zur Strukturierung oder Analyse der Probleme zu geben. Immer aber stehen die Teilnehmenden mit ihrem Anliegen im Zentrum des Interesses.

Breites Tätigkeitsfeld

In Haiti arbeiten wir so mit Menschen verschiedenster Herkunft, von Bäuerinnen und Bauern über Jugendliche bis zu MenschenrechtskämpferInnen, FriedensrichterInnen und Uno-BeobachterInnen. Die enge Kooperation von PBI mit der Peace Promotion Unit der zivilen Uno-Mission in Haiti führte zu einem gemeinsamen Projekt zu gewaltfreier Konfliktlösung und Mediation, an dem VertreterInnen der Zivilgesellschaft, der Volksorganisationen und staatlicher Institutionen (insbesondere aus dem Justizbereich) teilnahmen. Dabei übernahm die Uno die Projektfinanzierung und beauftragte PBI mit der Durchführung. Das Interesse am Projekt war überraschend gross und findet viele praktische Umsetzungen.
Diese Arbeit bedarf selbstverständlich einer entsprechenden Vorbereitung. Daher veranstalteten wir im Sommer 1996 ein Training für TrainerInnen in gewaltfreier Konfliktlösung - für uns selbst und für HaitianerInnen. Daraus formte sich eine erste Gruppe. Diese fing an, sich nach dem Schneeballprinzip für Gewaltfreiheit im Land einzusetzen.
PBI führt seither sein Bildungsangebot immer in Doppelanimation mit HaitianerInnen aus der Gruppe durch. Für die laufende Anpassung der Methoden an die Landeskultur ist dieser Austauschprozess von unschätzbarem Wert.
Gegen Ende des ersten Jahres erreichten uns Anfragen um neue Arten internationaler Begleitung. Seitdem schaffen wir mit unserer Präsenz Öffentlichkeit in Zonen, in denen es nicht zu viel, sondern überhaupt keinen Staat gibt und leicht die Faust zur Regel wird. Die Begleitung durch einen internationalen Freiwilligen kann auch dazu führen, dass ein Gericht das Anliegen eines mittellosen Opfers wenigstens anhört. Schliesslich unterstützen wir gewaltfreie Prozesse im Artibonite-Tal, der Reiskammer Haitis. Dort wollen Bauern Landkonflikte nicht mehr wie bisher per Machete oder über den korrupten Justizapparat angehen, sondern direkt zwischen den Streitparteien schlichten.

Friedensdienst als Zukunftschance

Bedingungen eines Friedensdienstes bleiben für mich Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Gewaltfreiheit und der Grundsatz, Einsätze nur auf Anfrage hin durchzuführen. Darüber hinaus geht es darum, den Weg mit dem Ziel in Einklang zu bringen. Deshalb funktioniert PBI in einer dezentralen Struktur auf der Basis des Konsenses. Der Anspruch, selbst eine eigene gewaltfreie Struktur zu schaffen, brachte im Laufe der Jahre ein komplexes internationales Gewebe mit weitgehend autonomen Einheiten hervor. Diese sind durch ein ständiges aktives Konsultations- und Repräsentationsverfahren an allen Entscheiden der Organisation voll beteiligt. Über die Hälfte der MitarbeiterInnen sind Frauen. Jeder Teil im PBI-Gewebe führt seine Arbeit für das Ganze an seinem Ort mit seinen Mitteln selbständig aus. Und stell Dir vor, das funktioniert!
Manchmal stell ich mir vor, es gibt statt bloss Soldaten Tausende von ausgebildeten FriedensdienstlerInnen im In- und Ausland, die sich für den Abbau bestehender Gewaltverhältnisse einsetzen. Dabei kann ein Friedensdienst nicht die Patentlösung für alle Probleme dieser Welt sein, aber meiner Erfahrung gemäss ein sinnvoller Ansatz. Vielleicht könnten wir dann der Zukunft von uns Menschen bereits etwas zuversichtlicher entgegensehen?

Jürgen Störk, 36, seit 1987 kritisch-aktiver GSoAt, ist seit drei Jahren PBI-Mitarbeiter. 1994/95 beteiligte er sich an einem PBI-Langzeitprojekt in Guatemala, im vergangenen Jahr weilte er in Haiti.

Für weitere Infos:
PBI Schweiz, Quellenstrasse 31, 8005 Zürich
Tel. 01 272 27 76

Koloniale Katastrophe

Haiti leidet seit Jahrhunderten unter den Folgen des Kolonialismus in seiner krassesten Gestalt. Die Arawaki, seine UreinwohnerInnen, starben schon wenige Jahrzehnte nach der Eroberung durch Kolumbus aus. In der Folge schafften Spanier und Franzosen Hunderttausende von Sklaven aus Afrika herbei. Schwarze galten lange Zeit als Tiere, deren Zucht teurer zu stehen komme als der ständige Neuimport.
Nach dem einzigen erfolgreichen Sklavenaufstand der Weltgeschichte errang Haiti 1804 die Unabhängigkeit. Die siegreichen Anführer der Sklaven und ihre Günstlinge übernahmen aber in vielem die koloniale Herrschaftsstruktur. Zwischen 1915 und 1934 besetzten die USA den Inselstaat, errichteten eine starke Armee und schufen damit die Grundlagen für die nachfolgenden Diktaturen.
Die Duvaliers (‹Papa und Baby Doc›) hielten sich mit Hilfe der Armee, der Polizei und der neu geschaffenen präsidialen Terrormiliz der ‹Tonton-Macoutes› von 1957 bis 1986 im Sattel, als sie durch eine von der Befreiungstheologie inspirierte Volksbewegung aus dem Land gejagt wurden. Nach etlichen Militärputschs bescherten die ersten freien Wahlen von 1990 dem Präsidentschaftskandidaten dieser Bewegung, dem Armenpriester Jean-Bertrand Aristide, einen ebenso überraschenden wie überwältigenden Sieg.
Doch die Hoffnungen, Haiti würde sich nun auf den Weg vom Elend in eine würdige Armut machen können, wurden schon zehn Monate später von einem erneuten Militärputsch zerstört. Die vom CIA unterstützte Junta, beziehungsweise ihre Schergen von den Tonton-Macoutes, verfolgten in den folgenden Jahren hunderttausende von BasisaktivistInnen der Volksorganisationen. Etwa 5000 Menschen wurden dabei ermordet. Erst ein volkswirtschaftlich desaströser Boykott, diplomatische Verhandlungen und weitgehende Zugeständnisse brachten Aristide - zusammen mit 20'000 GIs - im Oktober 1994 zurück in den Präsidentenpalast. Aristide löste die gesamte Armee auf vertraute auf den Schutz der multinationalen Uno-Mission. Der sukzessive Rückzug der internationalen Streitmacht wird seither vom Aufbau einer neuen Nationalpolizei begleitet.
Aktuelle Konfliktfelder sind: Die Frage der allfälligen Bestrafung der Putschisten von 1990, die Reform des Justizapparates, erstmalige Demokratisierungserfahrungen von Volksorganisationen und der Einfluss des Neoliberalismus.

PBI weltweit

Bei einem Jahresbudget von nicht einmal einer Million Franken stehen zur Zeit 35 PBI-Freiwillige in sieben Konfliktzonen im Einsatz (Guatemala, Sri Lanka, Kolumbien, Nordamerika, Haiti und die Joint-Projects mit Balkan Peace Team International in Exjugoslawien und SIPAZ in Chiapas). Unter dem Motto ‹Making space for peace› begleiten und beschützen internationale Freiwillige Personen, welche in Krisenländern mit gewaltfreien Methoden gegen soziale und geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit und für Menschenrechte einstehen. Zudem berichtet PBI unparteiisch über das Land, die Konflikte und laufende Aktionen.
Der Schlüssel zum effizienten und sinnvollen Umgang mit den beschränkten Ressourcen liegt in der doppelten Freiwilligkeit der PBI-Arbeit. Einerseits sind in den Teams nur motivierte und qualifizierte Freiwillige am Werk. Andererseits wird PBI grundsätzlich nur auf Anfrage hin aktiv. Dies gilt sowohl für den Aufbau ganzer Projekte als auch für Tätigkeiten im Rahmen konkreter Einsätze. Das allgemeine Mandat zur gewaltfreien Konfliktlösung gestaltet sich daher je nach den Verhältnissen vor Ort verschieden.
Im Unterschied zu den meisten Regierungs- und vielen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen will PBI nie anstelle der Einheimischen handeln. Vielmehr sollen die lokalen AkteurInnen unterstützt und so die von ihnen errungenen politischen Räume geschützt werden. Darüber hinaus soll im gegenseitigen Austausch die Suche nach gewaltfreien Ideen und Werkzeugen bereichert werden.