GSoA-Initiativprojekte auf der Höhe der Zeit:

Vernunft, zweiter Akt

In einer intensiven Diskussion hat die GSoA zwei Initiativprojekte entworfen. Die Armeeabschaffung wurde vor dem Hintergrund der internationalen Umwälzungen neu durchdacht. Das Projekt für einen freiwilligen zivilen Friedensdienst will einen solidarischen Schritt in Richtung einer weltverträglichen Konfliktpolitik machen.

Hans Hartmann

Atomarer Overkill, nuklearer Winter, Abschrekkungsgleichgewicht, sinkende Vorwarnzeiten, Präventivschlag, Star Wars, hoher Eintrittspreis… wer erinnert sich eigentlich noch an diese unheilverkündenden Debatten aus dem vergangenen Jahrzehnt? Niemand. Die alten Konzepte der Militärstrategen, mit denen die Schweiz die proportional grösste Armee Europas rechtfertigte, sind Geschichte.

Armee steht nur im Weg

Mit dem Gegensatz der Blöcke ist in Westeuropa das Gespenst vom heldenhaften Verteidigungskrieg verschwunden. Auch die Schweiz kann nicht mehr so tun, als befände sie sich in einem Waffenstillstand. Heute muss sie ihr Geld und ihre Energie zur Bewältigung der wirklichen Probleme einsetzen: Steigende Arbeitslosigkeit und wachsende Einkommensunterschiede, Umweltzerstörung, alltägliche Gewalt von Männern gegen Frauen, Kinder und Schwache, Elend und Flucht in den Hinterhöfen der industrialisierten Länder – hier sind intelligente Antworten gefragt. Dabei steht das Militär nur im Weg.

Die Armee sieht das natürlich anders. Voller Tatendrang machen sich ihre Vordenker auf die Suche nach immer neuen Einsatzgebieten und Bedrohungsbildern – von der Katastrophenhilfe über die Bewachung von Konferenzen bis zur Bekämpfung von aufsässigen Bauern. Das ist rechtsstaatlich bedenklich und absurd: Überall, wo sich die Armee unentbehrlich machen will, können zivile Organe oder nichtstaatliche Organisationen bessere Arbeit leisten. Hier wollen wir die Weichen für die Zukunft mit unserer ersten Initiative richtig stellen. Unsere Argumente für die Abschaffung der Schweizer Armee sind überzeugend. Nutzen wir sie, bevor wir uns an teure Pseudolösungen aus der EMD-Küche gewöhnen müssen.

Ziviler Friedensdienst hingegen…

Aus dem Kalten Krieg ist warme Luft geworden. Die heissen Kriege sind geblieben – für die arbeitslosen Militärapparate des entwickelten Nordens ein dankbares Betätigungs- und Experimentierfeld.

Ein neuer Mythos entsteht: die Vorstellung nämlich, Unfrieden und Unsicherheit könnte mit militärischer Repression kontrolliert werden. Das Zauberwort heisst ‹kollektive Sicherheit›. Die Ausgestaltung dieser ‹kollektiven Sicherheit› wird das Gesicht unseres Planeten im nächsten Jahrhundert prägen. Überlassen wir diese Frage der Nato, dann wird die gewohnte Grenze zwischen Zivilem und Militärischem verblassen und bewaffnete Intervention zum globalen Alltagsgeschäft werden.

Repression – und mag sie auch noch so ‹kollektiv› sein – vermag die Ursachen von Kriegen und Gewalt nicht zu beseitigen. Mit unserer zweiten Initiative für einen freiwilligen zivilen Friedensdienst wollen wir daher eine andere Vision kollektiver Sicherheit entwikkeln. Konflikte sollen Gegenstand politischer Lösungsversuche sein, bevor sie in offene Gewalt oder gar Krieg umschlagen. Die betroffenen Menschen müssen die Chance haben, einen gewaltfreien Ausweg aus Unrecht und Streit zu finden. Solidarität bedeutet auch, sich gegenseitig aktiv beim Versuch zu unterstützen, diese Chancen zu verbessern – hier in der Schweiz und überall.

… zeigt einen Weg

Die Initiative für einen freiwilligen zivilen Friedensdienst will die Schweiz dazu verpflichten, einen solchen solidarischen Schritt zu machen. Wir knüpfen dabei an die reichhaltigen Erfahrungen an, welche nichtstaatliche Organisationen in den vergangenen Jahren mit gewaltfreier Konfliktbearbeitung gemacht haben. Diese Anstrengungen sollen gefördert und ausgebaut werden.

Es geht uns dabei keineswegs um ein Patentrezept für den ‹ewigen Frieden›. Aber nicht von ungefähr nimmt die Idee eines zivilen Friedensdienstes in immer mehr europäischen Ländern und auch auf internationaler Ebene Gestalt an – denn sie birgt die Hoffnung, dass wir gemeinsam auf eine der grossen Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts befriedigende Antworten finden.

Friedrich Dürrenmatt hat die Abschaffung der Armee einmal einen «ungeheuren Akt der Vernunft» genannt. Das stimmt nach wie vor. Der zivile Friedensdienst ist nicht weniger vernünftig. Vorhang hoch für den zweiten Akt!