Kosov@/Nato

10. Mai 1999

Was soll dieser Krieg?

Seit dem 24. März bombardiert die Nato. Das Kriegsziel wird fast täglich neu definiert und mit verschärfter Brutalität setzt das serbische Regime seine mörderische Politik der ethnischen Säuberungen in Kosov@ fort. Und bei diverse Linken in der Schweiz tanzt der politische Kompass Ringel Ringel Reihe.

Von Nico Lutz, GSoA Bern

In einem Punkt sind sich alle einig: Der menschenverachtenden Politik, welche das serbische Regime heute in Kosov@, gestern in Bosnien und morgen vielleicht im Sandzak betreibt, muss endlich ein Ende gesetzt werden. Es gibt sehr wohl eine internationale Verantwortung für die Einhaltung von elementaren Menschenrechten.

Nur: wer meint, man könne oben Bomben abwerfen und unten komme Frieden und Respekt vor Menschenrechten raus, ist mehr als naiv. Und wer heute die politische Diskussion so führt, dass es entweder die Nato-Intervention oder das Akzeptieren des Völkermordes in Kosov@ gutzuheissen gilt, greift zu kurz. Auch in der Schweizer Linken gab es eine Reihe von Kurzschlüssen:

"Wir befinden uns in einer Situation, in der wir leider den Krieg als das letzte Instrument der Politik akzeptieren müssen. Wenn das Resultat der Politik nur noch Massaker, Tod und verbrannte Erde ist, dann nützten alle Verhandlungen nichts mehr." begründete SPS-Präsidentin Ursula Koch ihre Forderung nach Nato-Bodentruppen. "Die Intervention der Nato, das ist für einen Pazifisten eine so grausame wie wahre Erkenntnis, ist nötig" schob Andreas Gross in der Weltwoche vom 15. April nach. "Es wäre unmoralisch, keine Gewalt anzuwenden, wenn die Menschenrechte eklatant verletzt werden" liess SP-Nationalrat Rudolf Strahm im Tagesanzeiger vom 14. April verlauten. Wer die Nato-Bomben befürwortet, hat also die Moral und das Gute auf seiner Seite?

Krieg mit welchem Ziel?

Lassen wir vorerst mal die Frage, inwieweit diese Intervention illegal und illegitim ist bei Seite und beschränken uns auf die Resultate: Am 24. und 25. März, den ersten beiden Kriegstagen, war das erklärte Ziel, Milosevic zu einer Unterschrift unter den Vertrag von Rambouillet zu bomben. Das hat offensichtlich nicht geklappt. Als nächstes Ziel wurde die Verhinderung einer «humanitären Katastrophe» formuliert. Diese ist dann - beschleunigt durch die Nato-Angriffe - eingetroffen. Über ein halbe Million Menschen sind auf der Flucht, Milosevic hat jegliche Skrupel abgelegt und kommt seinem Ziel, der Vertreibung der Kosov@-AlbanerInnen täglich näher. Heute geht es nur noch um die «Schwächung des militärischen Potential Serbiens» oder - wie Clinton in seiner Standortbestimmung am 15. April erklärte - darum, in Kosov@ eine multiethnische Zukunft zu ermöglichen. Die Nato hat bis heute keines ihrer Ziele erreicht und trotzdem bereits angekündigt, mit ihren Angriffen bis im Sommer weiterzufahren. Ginge es beim Krieg gegen Serbien um die Menschenrechte der kosovarischen Bevölkerung, dann müsste die Bombardierung sofort eingestellt werden und eine wirksamere Politik entwickelt werden, um die Menschen in Kosov@ zu schützen. Niemand wird behaupten wollen, dass der Stop der Bombardierung das serbische Regime unmittelbar zur Vernunft bringt. Nur: Die Nato-Angriffe tun es noch viel weniger. Es gibt keine Alternative dazu, mit dem Krieg aufzuhören und die Politik wieder aufzunehmen. Einverstanden, dafür ist es reichlich spät. Viel zu lange hat die internationale Politik der nationalistischen Politik Milosevics tatenlos zugesehen und ihn immer wieder durch Verhandlungen gestützt. Seit Jahren gibt es von nichtnationalistischen

Nichtregierungsorganisationen in Kosov@ und Serbien konkrete Vorschläge für eine politische Lösung des Konfliktes. Bis die UCK sich mit Gewalt gegen die serbische Repression zur Wehr setzte, fand aber keine dieser Vorschläge Beachtung auf internationaler Ebene. Selbst die Umsetzung des letztjährigen Friedensabkommen erfolgte nur sehr halbherzig. Anstatt der vereinbarten 2500 Osze-Beobachter, welche die Einhaltung der Menschenrechte garantieren sollten, kam nur halb so viele und erst noch mit erheblicher Verspätung. Unmittelbare Konsequenz des NATO-Angriffs ist, dass diejenigen Kräfte, die am meisten zu einer politischen Lösung des Konfliktes hätten beitragen können - demokratische Opposition und unabhängige Medien - kriminalisiert, marginalisiert oder gar umgebracht werden. Innenpolitisch wird Milosevic mit jeder Bombe stärker. Ist all dies aus einer linken Perspektive moralisch und gut? Die Nato hat sich vielmehr in eine völlige Sackgasse manöveriert. Sie bombardiert die serbische Zivilgesellschaft um mit dem Despoten Milosevic zu verhandeln. Seit Jahren fordern wir erfolglos genau das Gegenteil: Mit der serbischen Zivilgesellschaft verhandeln und Milosevic marginalisieren.

Krieg als Normalität?

Wenn von linker Seite heute zur Durchsetzung menschenrechtlicher Grundwerte in Kosov@ das Ende der Politik und die Notwendigkeit militärischer Intervention gefordert wird, dann wäre die logische Schlussfolgerung daraus: Krieg ist wieder normal. Es kann keineswegs darum gehen, die Gräueltaten in Kosov@ zu relativieren. Doch Kosov@s gibt es noch sehr zahlreiche auf der Welt. Mit der gleichen Legitimation könnte die Nato - oder auch Russland - Bomben über Ankara abwerfen oder das verbrecherische Regime in Peking unter Beschuss nehmen. Und wir alle wissen: das wird nicht der Fall sein. Menschenrechte überall auf der Welt militärisch durchsetzen zu wollen, ist weder militärisch noch politisch möglich. Es sind zwingend intelligentere Lösungen gefragt. In der GSoA haben wir vor einigen Jahren angefangen von der Schweizer Regierung andere Lösungsbeiträge einzufordern. Die Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und für eine freiwilligen Zivilen Friedensdienst, der auf zivilgesellschaftlicher Solidarität statt auf militärische Kontrollphantasien basiert, sind konkrete Vorschläge.

Und die Flüchtlinge?

Bis vor kurzem blieb die offizielle Schweiz trotz Kritik von einer Vielzahl von Asyl-, Menschenrechts-, oder Friedensorganisationen hart: Menschen aus Kosov@ sind nicht politisch verfolgt und erfüllen die Bedingung zur Erlangung des Asylstatus nicht. Seit die Nato bombardiert ist alles ganz anders: Zur Legitimierung der Intervention verweisen die westlichen Regierungen darauf, dass in den vergangenen Jahren bereits hunderttausende von Menschen Opfer der serbischen Vertreibungspolitik geworden sind. Bis heute waren die westlichen Regierungen zwar in der Lage - dies verkündet die Nato zumindest an ihren täglichen Briefings präzis militärisch zu intervenieren. Nicht in der Lage war sie hingegen eine präzise Zahl von Flüchtlingen zu benennen, denen in westlichen Ländern Schutz vor serbischer Repression gewährt wird. Nach anfänglichen Dementis hat auch Wesly Clark, der Nato-Kommandierende, öffentlich zugegeben, dass die Allianz mit der ausgelösten Flüchtlingsbewegung rechnete. Und warum bitte basteln in Mazedonien und Albanien erst heute Tausende von Soldaten Notunterkünfte für Flüchtlinge?

Recht oder Macht?

Der Nato-Intervention im Kosov@ liegt viel weniger eine Rechtsidee als eine Machtidee zugrunde. Mindestens ebenso wichtig wie das Ziel die Menschenrechtssituation für die BewohnerInnen Kosov@s zu erhöhen war das genuine Interesse der Nato sich nach dem Wegfallen des militärischen Feindes im Osten neue Legitimation zu erarbeiten. Die Nato will sich als einzige Organisation präsentieren, die in der Lage ist, Werte und Interessen durchzusetzen. Es geht um Handlungsfähigkeit. Massiv hat die nordatlantische Allianz in den vergangen Jahren daran gearbeitet, als einziges Kraft wahrgenommen zu werden, das jederzeit in der Lage ist, rasch, sauber und zielsicher das Böse auszuschalten.

Zielsicher war die Nato jedoch seit vergangenem Sommer vor allem darin, dass sie die Uno und damit auch Russland systematisch bei der Bearbeitung des Konfliktes in Kosov@ ausgegrenzt haben. Nicht die Bestrebung Menschenrechte auf eine völkerrechtlich abgesicherte und demokratisch legitimierte Weise zur Allgemeingültigkeit zu verhelfen stand im Vordergrund, sondern die Absicht, in eigener Kompetenz - als Bündnis von wenigen westlichen Industriemächten - zu entscheiden, wann, wo und warum militärisch interveniert wird, war zentral. Einverstanden, auch die Uno ist far away to be perfect. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen Uno und Nato: Die Uno ist dem Grundsatz der Inklusivität verpflichtet Staaten geben bewusst nationale Souveränität ab, um sich gemeinsam Normen dem Völkerrecht unterzuordnen. Die Nato basiert hingegen auf Exklusivität: Einige wenige Staaten sagen wo es lang geht und bestimmen über die interessengeleitete Umsetzung ihrer Politik. Die Nato setzt seit Jahren alles daran, die Uno zu marginalisieren und sich selber als weltweite Sicherheits- und Friedensagentur fürs 21. Jahrhundert auszurufen. Die Unterstützung einer machtpolitisch motivierten Nato-Intervention und somit das Inkaufnehmen einer Schwächung der auf internationalem Recht basierenden Uno verbaut die Perspektive für eine demokratisch legitimierte und völkerrechtlich abgesicherte Einforderung von Menschenrechten. Wer heute die Nato-Intervention im Namen der Menschenrechte unterstützt, der/die erodiert gleichzeitig die Idee der Allgemeingültigkeit von Menschenrechten. Und da sind wir uns wieder einig: das ist weder moralisch noch gut.

13. Mai 1999/uh,
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