Jahrelange giftige und radioaktive Wirkung
Der Physiker Doug Rokke brachte den US-Soldaten bei, wie man mit Uranmunition
umgeht. Heute warnt er vor diesen Waffen. Das Pentagon hat den Einsatz der
Munition inzwischen bestätigt.
Doug Rokke ist Professor für Umweltwissenschaften an der Jacksonville State
University in Alabama. Während des Golfkriegs arbeitete er als Wissenschaftler
für die US-Armee und entwickelte später im Auftrag der Army
Sicherheitsstandards sowie Handbücher und einen Lehrfilm für den Umgang mit
Uranmunition.
taz: Wird im Kosovo Uranmunition verschossen?
Doug Rokke: Das Pentagon hat mir gegenüber bestätigt, dass die Luftwaffe im
Kosovo-Krieg begonnen hat, die Munition aus abgereichertem Uran einzusetzen.
Viele warnen vor dem Einsatz dieser Munition.
Zu Recht. Auch ich habe in meiner Eigenschaft als Fachmann für solche
Uranmunition an das Verteidigungsministerium geschrieben und vor dem Einsatz
gewarnt. Jetzt will ich versuchen, einen Termin mit dem Präsidenten zu
bekommen.
Was macht diese Munition so bedenklich?
Uran ist ein Schwermetall und ist wie alle Schwermetalle giftig - ausserdem ist
es schwach radioaktiv. Durch Aufprall und Verbrennung wird das Metall
pulverisiert und es entsteht Urandioxid. Die Partikel, die hundertmal kleiner
als ein Sandkorn sind, können eingeatmet oder durch Wunden in den Körper
gelangen. Je nach der Verbrennungstemparatur sind diese Staubpartikelchen in
Körperflüssigkeit löslich, dann wird ihre giftige Eigenschaft wirksam, oder sie
haben durch die Verbrennungshitze die Eigenschaft von Keramik angenommen und
sind unlöslich, dann sitzen sie im Körper fest und entfalten über Jahre ihre
radioaktive Wirkung.
Wer ist gefährdet?
Zunächst natürlich jene, die von dieser Munition getroffen werden. Das waren im
Golfkrieg auch unsere eigenen Soldaten. Es gab 120 Verletzte durch
"freundliches Feuer" - also Treffer durch die eigenen Leute. Denen sitzen zum
Teil Granatsplitter aus Uranmunition im Leib. Gefährdet waren auch jene, die
sich den feindlichen Panzern näherten, die mit Uranmunition abgeschossen
wurden. Und Brände trugen Uranpartikel auch weit ins Land hinein. Schliesslich
bleiben Uranstäube sowie Granatsplitter oder ganze Granaten, die danebengingen,
im Boden oder im Wasser liegen. Sie sind eigentlich heimtückischer als Minen,
denn die explodieren wenigstens, während die Uranmunition über Jahre ihre
giftige und radioaktive Wirkung entfalten kann. Wir haben das Schlachtfeld um
den berüchtigten "Highway of Death" untersucht, die Schnellstrasse von Basra
nach Bagdad, auf der Hunderte von Panzern mit Uranmunition abgeschossen wurden.
Die Gegend ist entsprechend kontaminiert.
Hat das bereits Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert?
Das Schlachtfeld ist eine radiologische Wüste. Es liegen Tausende von
abgefeuerten und nicht eingesammelten Geschossen verschiedenen Kalibers herum -
z. B. ca. 950.000 30-mm-Granaten, die fast ein halbes Kilo Uran (U 238)
enthalten. Wir haben für das Pentagon einen Bergungsplan ausgearbeitet, der das
Einsammeln aller explodierten und noch ungezündeten Granaten vorsah. Er ist nur
zum Teil umgesetzt worden.
Warum benutzen die Militärs dieses giftige Material?
Abgereichertes Uran ist sehr dicht und hat Eigenschaften, die es zum idealen
Stoff für panzerbrechende Munition macht: Beim Aufschlag spitzt es sich zu und
entwickelt ungeheure Temperaturen. Die amerikanische Energiebehörde hat rund
eine halbe Millionen Tonnen von diesem Zeug, weil es bei der Herstellung von
Uranbrennstäben und Atomwaffen übrigbleibt. Verschossen wurde das Material
erstmals im Golfkrieg von zwei Panzertypen. Inzwischen scheint auch Russland
solche Munition zu haben.
Die Probleme mit Uranmunition waren in der Öffentlichkeit lange unbekannt.
Sie waren sogar in der Armee unbekannt. Als ich nach Saudi Arabien kam, wusste
niemand etwas über diese Munition. Wir haben Richtlinien im Umgang damit
entwickelt, die etwa vorsahen, dass Truppen sich nur in Schutzkleidung auf ein
Gefechtsfeld begeben sollten, auf dem vorher Uranmunition verschossen worden
war. Das hätte die Bewegungsfähigkeit der Truppen stark eingeschränkt. Als ich
damit beauftragt wurde, Risiken und Vorsichtsmassnahmen beim Umgang mit
Uranmunition zu untersuchen, bekam ich gleichzeitig zwei Direktiven: Ich solle
nichts sagen, schreiben, empfehlen oder tun, was die Verwendung dieser Waffe
gefährden könnte. Der Öffentlichkeit bekanntgeworden sind die Risiken der
Uranmunition erst durch die rätselhafte Golfkriegserkrankung, an der rund
100.000 der 700.000 Soldaten leiden, die im Golfkrieg eingesetzt waren. Ein
Teil der Soldaten leidet an Symptomen, die auf Uranvergiftung zurückzuführen
sind.
Wie viele waren das?
Welche Folgen hatte ihre Vergiftung?
Etwa 120 Soldaten wurden verwundet, als ihre Panzer und gepanzerten Fahrzeuge
vom Typ Abram bzw. Bradley von Uranmunition getroffen wurden, die versehentlich
von der U.S. Army abgefeuert wurden. Weitere 200 Soldaten, die an der Bergung
von abgeschossenen Panzern teilnahmen, haben Uranpartikel eingeatmet. Die
vordergründigsten Symptome sind Nierenschäden, weil das Uran über den Urin
ausgeschieden wird. Nur 50 Soldaten sind behandelt worden. Gefärdet aber sind
alle, die mit der Munition in Berührung kamen oder sich auf dem Schlachtfeld
aufhielten und Rauch oder Staubwolken einatmeten. Ich habe Soldaten gesehen,
die ohne Schutzkleidung mit Uranmunition abgeschossene Panzer untersuchten. Das
widersprach allen Vorschriften. Die Armee hat nach langem Drängen allen
Soldaten angeboten, sie auf Uranspuren im Körper zu untersuchen, und Soldaten
aufgefordert, Urinproben abzugeben.
Hatten Sie selbst Umgang mit ausgebrannten Panzern und mit Uranmunition?
Ich habe astronomische Uranwerte im Urin. Das aber hat man mir vier Jahre nach
der Untersuchung gesagt. Das ist typisch für den Umgang des
Verteidigungsministeriums mit diesem Problem. Das Verteidigungsministerium gibt
Entwarnung und sagt, man braucht sich keine Sorgen zu machen. Die
Veteranen-Administration aber widerspricht dieser Auffassung und verlangt eine
weitere Aufklärung des Falls.
Interview: Peter Tautfest
taz Nr. 5836 vom 17.5.1999 Seite 4 Tagesthema 188 Zeilen
Interview Peter Tautfest
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