Kosov@/Nato 23. Mai 1999

MOMA 6/7.99 - Editorial:

Tatenvoll und gedankenarm

Der Krieg im Koso@ geht in seinen dritten Monat. Dass Milosevics mörderischem und menschenverachtendem Regime Einhalt geboten werden muss, darüber sind sich (fast) alle Gruppierungen einig: die für die Nato-Bombardierungen sind, die dagegen sind und all diejenigen mit "Krieg plus"- und "Krieg minus"-Optionen. Die brennende Frage aber, die seit Wochen Medien und Politik beschäftigt, lautet: Welche Mittel sind einzusetzen, um den vertriebenen und verfolgten Kosov@-AlbanerInnen die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen, um in ihre Heimat zurückzukehren und dort ein Leben in gesicherten, demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen zu leben? An dieser Frage zerbrechen politische Überzeugungen. Während bei den Grünen in Deutschland die Farbbeutel quer durchs Lager fliegen (vgl. S. 27f.), sehen die Grünen Schweiz die Militärschläge unterdessen als "entsetzlichen Irrtum" an. Die gespaltene SP Schweiz kann sich hingegen über ein Positionspapier zum Krieg (S. 13ff.) nicht einig werden.

Wir werden damit ZeugInnen eines Diskurses, der schon während des Golfkrieges geführt worden ist: Jene, die diese Einsätze als völkerrechtswidrig kritisieren und der Nato und ihrer Führungsmacht USA eigennützige Motive ankreiden, werden in den grossen Topf der Gesinnungsethiker, lies: Gesinnungsnaivlinge geworfen. Sie erklären angeblich ihre Kriegsgegnerschaft mit "bizarren Argumenten", es gehe ihnen in erster Linie um "mehr oder weniger radikale Kriegsgegnerschaft oder einen leidenschaftlichen Antiamerikanismus" (Tages-Anzeiger, 30. April 1999).

Nun ist eine Verantwortungsethik, die sich nicht nur mit vornehmen Prinzipien abgibt, sondern die Folgen von Handlungen rational und nüchtern analysiert, einer blinden Gesinnungsethik vorzuziehen. Die KriegsbefürworterInnen sind auch der Ansicht, auf verantwortungsethischer Basis zu argumentieren. Der Verlauf des Krieges lässt aber die Frage aufkommen: Welche Seite denkt verantwortungsethisch? Die BefürworterInnen der Bombardierungen? Diese haben bisher keinerlei gangbare Lösungen herbeigeführt, sie treffen neben den unzähligen Opfern unter den Kosov@-Albanern auch die serbische Bevölkerung und zerstören auch ihre Infrastruktur, strafen das mühsam erarbeitete Uno-System der Kriegseindämmung und Friedenssicherung Hohn (zum Völkerrecht vgl. S. 5ff.), haben für die Umwelt verheerende Folgen, destabilisieren die Situation in den Nachbarländern weiter und lassen für die vielen Krisenregionen und Minderheitenproblem auf dem Balkan Ungutes erahnen. Oder die GegnerInnen, die auf all diese Missstände aufmerksam machen, auch auf die eigenartige Tatsache, dass für die Menschenrechte in der Türkei (Kurdistan, Zypern), in Palästina, in China, Indonesien, Kolumbien usw. keine humanitären Interventionen erörtert werden, hingegen Briten und Amerikaner weiterhin den Irak ohne Uno-Mandat bombardieren?

Sind also die "naiven" Gesinnungsethiker nicht auf der Seite der KriegsbefürworterInnen zu suchen? Zeigt sich bei ihnen nicht, "dass sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand begegnet", wie es Sigmund Freud zum Ersten Weltkrieg formuliert hat (vgl. S. 17ff.)? Tatenvoll, aber gedankenarm?

Sich diesem "Gefühlwiderstand" entgegenzustemmen erfordert, dass alle Seiten untersucht werden Nationalismus jeder Art führt, einmal entfesselt, ins Verderben (vgl. S. 35ff.).

Und all die Hunderttausende von BürgerInnen Europas stehen ratlos im 24-Stunden-Mediengewitter. Gewagte Vergleiche werden angestellt oder kolportiert: Milosevic sei Hitler, Clinton sei Hitler... Gewagte Vergleiche zwischen weitgehend Unvergleichbarem (S. 25). Bleibt zu hoffen, dass die politisch Bestimmenden endlich den Faden aufnehmen, der aus dem Labyrinth herausführt, die Bombardierungen abbrechen und friedliche Lösungen suchen denn politisch, sozial und rechtlich vertretbare Alternativen gab es - und gibt es noch.

Florian Wick

30. Mai 1999/uh,
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