Nach den Gedenkfeiern zum Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs haben wir beschlossen, einen Text von Daniel Mermet abzudrucken, einem französischen Journalisten und Schriftsteller, der versucht, das Gedächtnis der Bourgeoisie, der Machthaber aufzufrischen, die ständig versuchen, die Geschichte zu ihrem Vorteil neu zu schreiben.
«Sie kämpften, damit Frankreich Frankreich bleibt». Mit brechender Stimme beschrieb Macron die Poilus als Widerstandskämpfer und Helden, die gestorben seien, um Frankreich zu retten. Aber Frankreich lehnt seit einem Jahrhundert diese Lüge von Gebietern und dekorierten Schlägern ab. Nein, sie haben sich nicht aufgeopfert, sie wurden geopfert. Der Chemin des Dames ist nicht der Vercors. Nein, sie haben nicht zugestimmt, sie wurden gezwungen. Jeder in Frankreich hat einen Grossvater, der zu diesem Kanonenfutter gehörte. In diesen vier Jahren des fadenscheinigen Gedenkens hat sich die Erinnerung trotz allem bei der Bevölkerung durchgesetzt. Ein gefundener Brief, ein Name auf Marmor, eine Zeichnung in einem Notizbuch, ein Stück Schuh, Schweigen. Nichts Ruhmreiches in diesem Schweigen, sondern endlose, namenlose Leiden. Eine Benommenheit. Sie in Widerstandskämpfer zu verwandeln, ist eine Beleidigung an ihr Gedenken, ebenso wie an das Gedenken der Widerstandskämpfer des Limousin oder des Roten Plakats. Verrückt vor Angst, Läusen und schlechtem Wein, liegen sie halb zerfetzt im Dreck der Gräben, nie akzeptierte das Kanonenfutter, Kanonenfutter zu sein. Nie. Der Poilu, dieser Held, ist die Figur, die die Oligarchie seit einem Jahrhundert aufzwingt, von Gedenkfeiern bis Aufführungen, von Filmen bis Schulbüchern, von der wissenschaftlichen Forschung bis zum Comic. Für Macron und seine alte Welt geht es darum, das vergessen zu machen, was Anatole France sagte: «Man glaubt, für das Vaterland zu sterben, aber man stirbt für die Industriellen». Dieses Zitat bietet heute jedoch immer noch genug Gesprächsstoff.
Dieser Krieg war der Ursprung totalitärer Gewalt, aber auch das Mittel um die Arbeiter und Bauern zu entmachten. Der Chauvinismus diente dazu, die tiefe soziale Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts zu zerstören. In den ersten neun Monaten des Krieges wurden 500’000 junge Franzosen getötet. Mit Zustimmung? Damit Frankreich Frankreich bleibt? Ja, das von Nivelle, von Foch, von Mangin, von Pétain, der Banken und der Grossindustrie, und der Politik, die diesen diente, d.h. die Welt von Macron, die schöne Welt mit dem Blut der Armen auf den weissen Handschuhen, die schöne Welt, die die volle Verantwortung für dieses Massaker trägt, die schöne kriminelle Welt. «Ein Massaker zwischen Menschen, die sich nicht kennen, zum Wohle der Menschen, die sich kennen und sich nicht gegenseitig töten», sagte Paul Valéry. Ist das eine Art, es im Nachhinein zu betrachten, nach der Schlacht? Nein. 1915 schrieb Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis, in dem sie wegen Anstiftung zum Ungehorsam inhaftiert war, in ihr Tagebuch:
«Der Krieg zwischen den Nationen hat den Klassenkampf erzwungen, den brudermörderischen Kampf des Proletariats, ein Massaker von beispiellosem Ausmass. Diese Millionen von Toten, neun von zehn sind Arbeiter und Bauern, es ist ein neuer, industrieller Krieg, der im Namen des Nationalismus ausgelöst, aber für die Marktbeherrschung geführt wurde. Dieser Krieg öffnet in Wahrheit den Weg zur Globalisierung des Kapitals, zur Umwandlung aller Reichtümer, aller Produktionsmittel in Güter und Aktien. Es verwandelt Menschen in Menschenmaterial. Es ist die Zukunft eines humanistischen Sozialismus, die dieser Krieg zerstört.»
Wir, unsere Helden, unsere Widerstandskämpfer, sind die 15’000, die jährlich desertierten, es waren zuerst die Meuterer, die Tausenden von Meuterer, die den Kolben in die Luft hielten, die 3’700, die verurteilt wurden, die 953, die erschossen wurden, um ein Exempel zu statuieren, unsere Helden sind auch die freiwillig Verstümmelten und all jene, die die Chanson de Craonne summten, auch wenn es bedeutete, mit dem Gewehrkolben die Zähne rausgeschlagen zu kriegen. Ja, diese «kämpften, damit Frankreich Frankreich bleibt». Unseres. Das von Georges Mermet, meinem Vater. Auch kein Held, sondern «Fleisch», einer seiner Ausdrücke, als er uns vom Chemin des Dames, der Somme, Italien erzählte, «Wir waren Fleisch». Mein Vater wurde im Mai 1897 geboren, war ein Goldschmiedelehrling aus Belleville, wurde Anfang 1916 aufgeboten, war an allen Fronten und mit allen Wunden bis zum Ende. Aufgeschlitzt, verbrannt, traumatisiert, er hat das nicht für Ihr Frankreich getan, Herr Macron. Ich will nicht für ihn sprechen, man eröffnet keinen Laden auf einem Friedhof, aber zur Erinnerung an ihn möchte ich nur diesen 13. Mai 1993 bei seiner Beerdigung in der Kirche in unserem roten Vorort erwähnen. Reden, Blumen und Erinnerung, als sich zwei Herren näherten und eine Trikolore auf dem Sarg ausbreiteten. Aus dem Rathaus? Von einer Veteranenorganisation? Jedenfalls schlüpfte sofort, auf Wunsch unserer Mutter, einer von uns zu ihnen und bat sie, dieses Stück Stoff sofort zu entfernen. Dies taten sie alsbald, langsam so dass das schöne blonde Holz des Sarges zum Vorschein kam, blond wie Georges Haar, als er zwanzig Jahre alt war am Chemin des Dames.
Daniel Mermet