Neutralität – Universalität – Solidarität

Es braucht eine andere Neutralität – im Sinne der UNO und der Konzernverantwortung.

Die Neutralitäts-Diskussion, die in der Schweiz seit dem Überfall Russlands gegen die Ukraine geführt wird, dient vor allem dazu, die Schlüsselfrage, das Geschäftsmodell Schweiz, zu verdrängen. Die Nationalkonservativen tun das explizit mit ihrer unhaltbaren Behauptung, einseitige Sanktionen gegen Russland würden der Neutralität widersprechen. Die Mitte und die FDP, ohne die Putin den Krieg kaum mehr finanzieren und weniger Bomber, Raketen und Munition einsetzen könnte, tun alles, um von ihrer Komplizenschaft abzulenken. Zudem verfolgen sie weniger verschleiert eine alte Agenda: die Teilintegration in die Nato. Am Ablenken von der politischen Beihilfe zur Aufrüstung Putins haben auch jene Linken ein Interesse, welche dagegen nie etwas unternommen haben. Zudem gibt es seit Jahren auch in der SP und bei den Grünen Kräfte, welche die Annäherung an die Nato suchen. So liess sich kürzlich ein Berner Linker in der „Republik“ verlauten mit der Forderung: „Und mit der NATO müsste wenigstens eine Art Assoziierungsabkommen geschlossen werden.“ (24.4.2023).

Sanktionen machen die Schweiz neutraler

Die materielle Neutralitätsfrage, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine tatsächlich aufwirft, widerspricht der SVP-Sicht diametral: Die Schweizer Wirtschaft und Aussenwirtschaftspolitik hat während zwei Jahrzehnten einseitig Russland unterstützt. Tausende von russischen Firmen und Finanzinstituten, steinreiche Oligarchen, die praktisch alle von Putin abhängig sind, die Grossbanken, die Pharmaindustrie und vor allem die Rohstoffkonzerne haben die russische Kriegskasse gefüllt und Kriegsmaschine gefüttert – und tun es immer noch. Die Sanktionen gegen Russland machen die Schweiz neutraler. Auch dies weist darauf hin, dass Neutralität nicht im Widerspruch zu Solidarität stehen muss. 

Die Annäherung an die Nato hat zwei Haken: einen politischen und einen militärischen. Politisch bedeutet sie den Anschluss an den nordwestlichen Teil des Planeten und das Verdrängen dessen Geschichte von Ausbeutung, Verbrechen und Kriegen. Der „Westen“ ist nicht zu haben ohne das Abendland und all die jetzigen und kommenden Regierungen mit rechtsextremer Beteiligung. Der Druck, den die Nato gegen die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags ausübt, verdeutlicht, worum es in der Neutralitätsfrage geht.

Die militärische Problematik wurde vom kürzlich verstorbenen NZZ-Militärexperten Bruno Lezzi in seinem Buch „Von Feld zu Feld“ auf den Punkt gebracht. Als Gegner eines militärischen Alleingangs stellte der ehemalige Oberst im Generalstab fest, dass Miliz-Soldaten, die nach drei Wochen wieder nach Hause gehen, der Nato und ihren Truppen bloss im Weg stehen. Zu den Einschränkungen wegen der Neutralität betrifft schreibt Lezzi: „Keinesfalls darf die Illusion genährt werden, dass Neutralitätsrecht und Neutralitätsstatus eine Verteidigungskooperation erlauben, die einen wirklichen Sicherheitsgewinn brächte.“ Das einzige, was militärisch Sinn machte, wäre ein Nato-Beitritt, was die Aufhebung des Milizprinzips und der Neutralität erheischte. Da ist die Abschaffung der Armee nicht weniger realistisch.

Gemäss der jüngsten ETH-Studie „Sicherheit 2023“ erachten 91 Prozent die Neutralität für richtig. Auch weil ein Mitmachen bei der Nato ein „Mitgegangen – mitgehangen“ bedeutet. Das wäre der Schweiz am 4. September 2009 im afghanischen Kunduz beinahe passiert. Auf deutschen Befehl bombardierten US-Kampfjets einen im Sand steckengebliebenen Tanklastwagen, was über 100 Zivilpersonen, darunter vielen Kindern, das Leben kostete. Die Armee- und Nato-Pläne, die nicht zuletzt dank der GSoA vereitelt wurden, sahen ein Schweizer Detachement innerhalb des deutschen Kommandos in Kunduz vor. 

UNO statt Nato

Die Neutralität ist kompatibel mit der UNO, die auf globaler Ebene neutral ist. Nur ein universeller Völkerbund, der auf dem Völkerrecht baut und dieses auch durchzusetzen vermag, kann den Weltfrieden, das Ziel aller Menschen guten Willens, erreichen. Was für die Schweiz vor 175 Jahren galt, gilt heute universell: Nur ein Bund kann Frieden und Sicherheit garantieren, ein Sonderbund kann es nicht. Hier liegt der Unterschied zwischen dem UNO-Bund, welcher der ganzen Menschheit, und dem Nato-Sonderbund, der dem reichen Nordwesten verpflichtet ist. Das Mitmachen in der UNO muss verbunden werden mit dem Ausbau der guten diplomatischen Dienste und des Katastrophenhilfekorps, der Leistung von Zivil- und Friedensdiensten im Ausland und soldatischen Einsätzen als UNO-Blauhelme und UNO-Blaumützen.

Das wichtigste, was die Schweiz für den Frieden auf der Welt leisten kann, ist der Verzicht auf Waffenexporte und die Finanzierung der Rüstungsproduktion – eine Wirtschaftspolitik im Sinne der Konzernverantwortungsinitiative und ein globales Engagement gegen die Klimaerhitzung. Diese ist bekanntlich das grösste Sicherheitsrisiko für den Planeten und die Menschheit.

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