Newsletter Ukraine 27

Liebe Leser*innen

Wir befinden uns am Tag 219 der russischen Invasion. Zehntausende ukrainische und russische Soldaten haben für Putins Gier ihr Leben gelassen, Millionen Menschen sind auf der Flucht und unzählige Familien wurden auseinandergerissen. Als Putin vor einigen Tagen die Teilmobilmachung angekündigt hat, fanden letzten Mittwochabend in über 39 Städten in Russland Proteste statt, bei denen mehr als 1300 Menschen festgenommen wurden. Aufgerufen dazu hat die Jugendbewegung Wesna (Frühling). Es ist nun zentral, russischen Kriegsdienstverweigerern Unterstützung zu bieten – beispielsweise durch ein Botschaftsasyl, für welches sich die GSoA einsetzt. Ein Vorstoss dazu, eingereicht von Céline Widmer, wird demnächst im Parlament diskutiert.

Doch es sind nicht nur die Menschen, welche die Folgen dieses grausamen Angriffskrieges erleiden müssen – auch die Umwelt trägt grossen Schaden davon. Ein Artikel von Jonas Kampus aus der neusten Ausgabe der GSoA-Zeitung erläutert die Putinsche Umweltzerstörung und deren katastrophale Folgen.


Seine Politik der Umweltzerstörung setzt Putin auch in der Ukraine fort. Mit dem Beschuss von Atomkraftwerken und Industrieanlagen gefährdet er die Existenz von Millionen von Menschen. Die ökologischen Auswirkungen des Angriffskrieges spüren dabei nicht nur die Menschen in der Ukraine, sondern auch jene, die weltweit unter dem neuen Öl- und Gasboom und den ausfallenden Weizeernten leiden.

Черный снег над Россией. Заставляет кашлять кровью. В русских-русских реках течет красная вода. Diese Zeilen stammen aus “Black Snow”, einem 2019 veröffentlichten Lied der russischen Punkband Pussy Riot. In diesem Abschnitt wird besungen, wie der Schnee über Russland schwarz sei, die Menschen Blut husten und die Flüsse sich rot färben würden. Das Rot in den Flüssen stammt dabei von Industrieabfällen wie Eisen, Nickel oder Treibstoffen. Zusammen mit dem Protestlied veröffentlichte die Band einen offenen Brief an Putin, in dem sie die zahlreichen Umweltschäden in Russlands Norden und die Verfolgung russischer Umweltschützer*innen anprangerten.

Wenn russische Einheiten in der Ukraine zurzeit Weizenfelder anzünden, färbt sich dabei nicht der Schnee, sondern die Erde schwarz, die Politik der verbrannten Erde setzt Putin dabei in der Ukraine fort. Umweltzerstörung wird in fast allen Kriegen als Waffe eingesetzt. Diese fügt der lokalen Bevölkerung nachhaltig, teilweise über Jahrzehnte hinweg Schaden zu. Vietnamesische Kinder leiden immer noch unter dem Einsatz des Entlaubungsmittel Agent Orange durch die US-Armee im Vietnamkrieg. Erdogan setzt seit Jahren auf diese Taktik, indem er den Menschen in Rojava in Nordostsyrien durch Aufstauen der grossen Flüsse Tigris und Euphrat die lebensnotwendige Wasserversorgung vorenthält oder die türkische Armee ebenfalls Weizenfelder anzünden lässt.

Bereits am ersten Tag des Überfalls auf die Ukraine marschierten russische Soldaten im Sperrgebiet rund um das zerstörte Kernkraftwerk in Tschernobyl auf. Diese mussten mittlerweile aufgrund ihrer starken radioaktiven Exposition in Russland medizinisch behandelt werden. Die Gefahr einer kriegerischen Eskalation durch die Instrumentalisierung der Naturkräfte bestand also von Beginn weg. In den ersten Kriegswochen beschoss die russische Armee das grösste Atomkraftwerk Europas. Eine Rakete verfehlte den Nuklearreaktor dabei nur um wenige Dutzend Meter. Das AKW liegt seit der Einnahme durch Russland seit Monaten an vorderster Front und wird zur militärischen Festung ausgebaut. Putin nimmt damit grosse Teile Europa, Asiens und des Nahen Ostens in Geiselhaft, denn ein ukrainischer Angriff könnte zu einer zweiten Tschernobyl-Katastrophe führen.

Unabhängig davon, wie lange dieser Krieg noch anhalten wird, die ukrainische Bevölkerung wird dessen Folgen durch verseuchte Gewässer und Böden, verminte Landstriche, zerstörte Flora und Fauna noch lange spüren. Das ukrainische Umweltministerium sammelt die Umweltverbrechen Russlands mit dem Ziel, mit diesen in Den Haag vorstellig zu werden. Dies würde eine Präzedenzfall schaffen, der wohl auch Auswirkungen auf andere Kriege, etwa in Syrien oder Myanmar, hätte.

Der Ukrainekrieg verursacht aber nicht nur lokale Schäden, sondern führt aufgrund des hohen Preises auf fossile Brennstoffe zu einem Frackingboom in den USA, einer totgesagten Industrie, und neuen Förderabkommen mit autoritären Staaten wie dem erdölreichen Venezuela oder dem Gaslieferanten Katar. Bereits bestehende lokale Umweltprobleme wie etwa toxische Seen rund um den Azovstal-Komplex in Mariupol, gekoppelt mit einer sich zuspitzenden globalen Klimakrise, liefern einen explosiven Mix in einer Kriegssituation, wie wir dies zurzeit in der Ukraine erleben. Diese multiplen Krisen verlangen gemeinsame Antworten. Und diese Antworten sind in den Augen der GSoA klar: Den Schweizer Öl- und Gashandel mit Russland zu verbieten, einen ökologischen Wiederaufbau der Ukraine zu fordern und die russischen Kriegsgegner*innen und Regimekritiker*innen zu unterstützen. So erreichen wir, dass in Russland und der Ukraine auch noch in Zukunft Schnee fällt, der wieder weiss und nicht mehr schwarz oder rot sein wird.

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