Newsletter Ukraine 28

Liebe Leser*innen

Nach längerer Zeit melden wir uns wieder mit einem neuen Ukraine-Newsletter bei euch. Wir schreiben Tag 281 der russischen Invasion in die Ukraine. Und ich muss ehrlich sagen, es ist erschreckend, wie sich meine Augen an die Schlagzeilen zur Kriegsfront gewöhnt haben. Wie sich eine taube Hilflosigkeit eingestellt hat, eine, welche die anfängliche Solidaritätswelle mit einer dumpfen Schwere erdrückt. Gleichzeitig werden die Auswirkungen des Krieges in unserem Alltag immer präsenter. Laut dem UNHCR befinden sich aktuell rund 70’000 Geflüchtete aus der Ukraine in der Schweiz. Sie versuchen, sich hier einen Alltag aufzubauen, ihre Kinder in die Schule zu schicken und ein Gefühl der Normalität zurückzuerlangen.

Doch es sind nicht nur Ukrainer*innen, die vor Gewalt und Zerstörung fliehen, sondern auch russische Oppositionelle, die seit der Teilmobilisierung in Russland versuchen, das Land zu verlassen. Medien berichten von ausgebuchten Flügen und Last-Minute-Tickets, die zu Wucher-Preisen angeboten werden. Für uns ist klar: Jeglicher Widerstand gegen den Aggressor in Russland ist von der internationalen Gemeinschaft zu unterstützen. Russische Wehrdienstverweigerer und Deserteure brauchen deshalb sofort Zugang zum asylrechtlichen Schutz. Wie das konkret aussehen soll, erläutern wir in folgendem Text. 

Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin.

Seit der Teilmobilisierung ist der Krieg in Russland in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Jegliche Unterstützung russischer Regimekritiker*innen ist ein direkter Beitrag, um den Kreml zu schwächen. Deshalb fordert die GSoA die Wiedereinführung des Botschaftsasyls. 

Zu Beginn des Krieges hat Putin die prekäre wirtschaftliche Situation ethnischer Minderheiten ausgenutzt, um deren junge Männer in den Kriegsdienst zu locken. Während St. Petersburg und Moskau kaum gefallene Soldaten zu verzeichnen hatten, waren auffallend viele Opfer nicht ethnisch russischer Abstammung, beispielsweise aus den autonomen Republiken Dagestan oder Burjatien. Putins Strategie, prekarisierte Bevölkerungsgruppen durch die Aussicht auf ein minimales Einkommen als Kanonenfutter an die Front zu schicken und gleichzeitig den «inneren Frieden» zu wahren, indem das Kriegsgeschehen von den Grossstädten möglichst ferngehalten wurde, änderte sich mit dem Kriegsverlauf. Der Widerstand auf ukrainischer Seite erwies sich als zu gross, die russischen Soldaten als nicht zahlreich und vorbereitet genug. Daraufhin kündete Putin Ende September 2022 die Teilmobilmachung von 300’000 Reservisten an. Diese Entscheidung markiert nicht nur eine neue Eskalationsstufe im militärischen Konflikt, sondern bedeutet auch eine Katastrophe für hunderttausende von Russ*innen.

Mit jedem Tag werden mehr Russ*innen Opfer der imperialistischen Fantasien des Kremls. Die Teilmobilisierung führte zu einer verstärkten Fluchtbewegung aus Russland. In zahlreichen Städten kam es zu Protesten. Und wer Widerstand leistet, den Marschbefehl verweigert, oder den Krieg öffentlich kritisiert, dem*r drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Als Depositarstaat der Genfer Konvention muss hier auch die Schweiz eine aktive Rolle übernehmen. Eine antimilitaristische Friedenspolitik unterscheidet nicht, welcher Nationalität diejenigen angehören, die sich dem Krieg zu entziehen versuchen. Es ist unsere Aufgabe, diesen mutigen Menschen Hand zu bieten. Ein Weg dazu wäre die Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Es bietet Menschen im Ausland Schutz, indem sie auf einer Schweizer Botschaft einen Asylantrag stellen können. Der Bundesrat sieht allerdings keinen Anlass dazu, das Botschaftsasyl wieder einzuführen. Er verweist dabei auf die Möglichkeit, ein humanitäres Visa in der Botschaft in Moskau zu beantragen. In der Praxis erteilt die Schweiz jedoch nur sehr wenige humanitäre Visa und legt die Kriterien äusserst restriktiv aus. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Hürden für die Betroffenen zu hoch und zuletzt auch weiter erhöht worden seien. Für viele Asylsuchende bleibt deshalb die einzige Option, den Weg in den Schengen-Raum ohne Visa auf sich zu nehmen, um vor Ort einen Asylantrag zu stellen. Vielen Russ*innen ist es allerdings zurzeit nicht möglich, in den Schengenraum und in die Schweiz einzureisen. Deshalb fordern wir von der Schweizer Regierung, russischen Regimekritiker*innen humanitäre Visen jetzt grosszügig und unbürokratisch auszustellen sowie langfristig das Botschaftsasyl wieder einzuführen. Jegliche Unterstützung russischer Regimekritiker*innen und Deserteuren ist ein direkter Beitrag, den Kreml zu schwächen und so dem leidbringenden Krieg ein schnelleres Ende zu setzen.

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