Vernehmlassung Armeereform XXI |
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Revision des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung
Bern, 27. Juli 2001
Sehr geehrter Herr Bundesrat
In unserer Stellungnahme zur Armeereform haben wir uns auf die gesetzliche Ausgestaltung der Reform konzentriert. Einleitend nehmen wir summarisch zum Armeeleitbild Stellung.
Die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) ist wie der Bundesrat der Ansicht, die Sicherheitspolitik der Schweiz sei reformbedürftig und der militärpolitische Status Quo unhaltbar. Die Ausrichtung der vorgeschlagenen Armeereform lehnen wir aber ebenso entschieden ab. Mit dieser Reform räumt der Bundesrat einer überdimensionierten und kostspieligen Armee, die ihren militärischen Feind verloren hat, eine zentrale Stellung in der Sicherheitspolitik ein. Die GSoA verlangt demgegenüber eine neue Sicherheitspolitik, welche die Chancen der neuen geopolitischen Rahmenbedingungen nach 1989 nutzt und gegen innen und aussen konsequent auf zivile Lösungen setzt. Denn eine glaubwürdige Sicherheitspolitik muss sich am Bedarf der Welt nach intelligenten Formen der Konfliktpolitik orientieren und nicht am Bedarf der Schweizer Armee nach neuen Aufgaben. Mit der Abschaffung der überflüssig gewordenen Armee im innern und einem massiven Ausbau des Schweizerischen Engagements zur zivilen Konfliktbearbeitung im Ausland könnte die Schweiz einen wichtigen Beitrag auf internationaler Ebene zu einer zivileren Konfliktpolitik leisten.
Im Armeeleitbild macht der Bundesrat zwar die richtige Analyse, dass eine «militärische Bedrohung in Europa massiv verringert» (S. 5 ALB) und «auf absehbare Zeit wenig wahrscheinlich» sei. Die neuen Bedrohungen und Risiken, die das Leitbild stattdessen aufzählt, können mit militärischen Mitteln nicht bearbeitet werden («Migrationsbewegungen», «Störung des Wirtschaftsverkehrs», «gewalttätiger Extremismus», «Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen», «natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen» (S. 6 ALB)). Sie verlangen nach zivilen und allenfalls zivilpolizeilichen Mitteln.
Anstatt jedoch die logische Konsequenz zu ziehen und den Stellenwert der Armee zu reduzieren, schlägt das Leitbild eine Ausweitung des Armeeauftrages vor. Die GSoA lehnt insbesondere die weitere Militarisierung der schweizerischen Aussenpolitik und die Übernahme polizeilicher und nachrichtendienstlicher Aufgaben durch die Armee strikte ab:
- Nein zur Militarisierung der Aussenpolitik: Im neuen Armeeleitbild (S. 32 ALB) verwendet der Bundesrat im Hinblick auf die Auslandeinsätze der Armee konsequent den Begriff der «Friedensunterstützung», der «friedenserzwingende» Einsätze einschliesst, und sieht dafür einen Verband in Bataillonsstärke mit Infanterie-, Aufklärungs-, Militärpolizeielementen ... vor. Bewaffnete Einsätze sollen zudem künftig bei sogenannt «humanitären Hilfeleistungen» auch ohne Uno- oder OSZE-Mandat unter dem Titel «Assistenzdienst im Ausland» (Art. 69 MG) möglich sein. Beides widerspricht dem vom Bundesrat im Rahmen der Abstimmungsdiskussion um die vorgezogene Teilrevision des Militärgesetzes gegebenen Versprechen, die Beteiligung an friedenserzwingenden Einsätzen sei nicht geplant, man wolle sich lediglich an von der Uno und der OSZE bewilligten Einsätzen zum Selbstschutz bewaffnen können. Die GSoA lehnt diese neuerliche massive Ausweitung der «militärischen Auslandeinsätze" entschieden ab und fordert stattdessen einen Ausbau der zivilen Hilfe der Schweiz und die Schaffung eines freiwilligen Zivilen Friedensdienstes (ZFD).
- Nein zu einer Profiarmee für den inneren Einsatz: Unter dem Titel «Subsidiäre Sicherungseinsätze» (S. 33 ALB) plant die Armee den Aus- und Aufbau einer bundesweiten Militärpolizei mit einem starken professionellen Kern, die innert Tagen im In- und Ausland eingesetzt werden kann. Im aktuellen Rüstungsprogramm sind bereits acht elektronische Überwachungssysteme für Objektschutz vorgesehen. Die Armee geht offensichtlich von vermehrten polizeilichen Einsätzen aus. Die GSoA lehnt dies entschieden ab. Polizeiliche Aufgaben sind durch die zivile Polizei wahrzunehmen und nicht durch die Armee.
- Nein zu einer Schnüffelarmee! Ihre Spielwiese will die Armee auch im Bereich des Nachrichtendienstes vergrössern (Art. 99 ff MG). Die Armee kann praktisch ohne jegliche Einschränkung Informationen erfassen, auswerten und soll diese zukünftig an die zivilen Strafverfolgungsbehörden weiterleiten dürfen. Somit würden sämtliche Einschränkungen für nachrichtendienstliche Aktivitäten, die in den vergangenen Jahren in verschiedene Gesetzen festgelegt wurden, hinfällig.
Im Einzelnen nimmt die GSoA zur vorgeschlagenen Totalrevision des Militärgesetzes wie folgt Stellung:
Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung
Artikel | Kritik | Antrag |
---|---|---|
Art. 1, Abs. 4 | Der bisherige Auftrag lautete: Die Armee hat "friedensfördernde Beiträge im internationalen Rahmen zu leisten". Die vorgeschlagene Formulierung "Beiträge zur Friedensunterstützung und Krisenbewältigung" kommt einer Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten auch auf "friedenserzwingenden" Einsätze («peace enforcement») gleich | Ersetzen durch: "Sie leistet Beiträge zur Friedenserhaltung im internationalen Rahmen" |
Art. 9, Abs 2 | Gemäss Entwurf soll die Aushebung bis zu drei Tage dauern und bereits die "Eignung für eine Kaderlaufbahn" prüfen. Beides lehnen wir ab, ebenso die gemäss Presseberichten vorgesehenen Aids- und Drogentests. Die GSoA fordert zusätzlich, dass im Rahmen der Aushebung durch VertreterInnen der Zentralstelle Zivildienst obligatorisch eine umfassende Information über den Zivildienst erfolgt. |
Art. 9, Abs. 1 des bestehenden Gesetzes ergänzen: «umfassend über den Zivildienst informiert» |
Art. 11, Abs. 2, Bst. e | Frauen sollen neu zu einer Orientierungsveranstaltung eingeladen werden. Die Kantone sollen die dazu notwendigen Daten erfassen (Art. 146, Abs. 1). Für diese flächendeckende Einladung von Frauen zu Orientierungsveranstaltungen sehen wir keinen Bedarf. | Ersatzlos streichen |
Art. 13 / Art. 42 | Die Herabsetzung der Altersgrenze für die Militärdienstpflicht ist zu begrüssen. Dies darf aber nicht zu einer Intensivierung der Dienstpflicht und damit zu einer Abwälzung der volkswirtschaftlichen Kosten von den Unternehmen auf die jungen Männer führen. Die GSoA fordert daher zugleich eine Reduktion der Ausbildungsdienstpflicht auf höchstens 200 Tage. Die gesamten Ausbildungsdienste fallen für viele in den Zeitraum ihrer Ausbildung. Ohne deutliche Reduktion der Gesamtdienstpflicht würde sich deren Belastung erhöhen und die zivile Ausbildungszeit entsprechend verlängert. Die GSoA wendet sich daher auch gegen die Verlängerung der Rekrutenschule auf 24 Wochen. Dies würde bedeuten, dass viele junge Männer ihre Ausbildung für ein ganzes Jahr aussetzen müssen. Grundsätzlich ist eine Abschaffung der Wehrpflicht anzustreben und ein, beziehungsweise als erster Schritt die freie Wahl zwischen Armee- und Zivildienst einzuführen. |
Art. 42: Reduktion des Ausbildungsdienstes auf höchstens 200 Tage |
Art. 69 | Die vorgeschlagene Neuformulierung des Abs. 1, welche die Katastrophenhilfe auch auf (bewaffnete) «humanitäre Hilfeleistungen» ausweitet und bloss das Ersuchen einzelner Staaten oder internationalen Organisationen (z.B. Nato) voraussetzt, würde die im Rahmen der vorgezogenen Militärgesetzrevision getroffene gesetzliche Regelung übergehen. Abs. 2 ist ein Blankoscheck für jegliche Art von bewaffneten Einsätze von Truppen im Ausland. Wenn immer schweizerische Interessen bedroht sind, ist gemäss dem Gesetzestext der Einsatz von (bewaffneten) Truppen im Ausland zulässig. Die GSoA lehnt eine neuerliche Ausweitung der militärischen Auslandeinsätze entschieden ab. Im Rahmen der vorgezogenen Teilrevision des Militärgesetzes wurden bewaffneten Einsätze der Schweizer Armee im Ausland abschliessend geregelt.Verzichtet der Bundesrat auf eine Rücknahme dieser massiven Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten im Ausland, wird ein friedenspolitisches Referendum gegen die Militärgesetzrevision wahrscheinlicher. |
Beibehaltung der bestehenden Formulierungen aus MG 95 Art. 60 (Hilfe bei Naturkatastrophen) mit der Präzisierung, dass der Dienst unbewaffnet erfolgt. Für bewaffnete Einsätze gibt es eine gesonderte Regelung. (Art. 66a) |
Art. 99, Abs. 2 bis | Würde der Artikel in dieser Form im Gesetz aufgenommen, würden sämtliche bisherigen gesetzlichen Bedingungen für die Abhörung des Telefon- und Datenverkehrs hinfälligund ein Referendum gegen das Militärgesetz aus staatspolitischen Überlegungen notwendig. Für die Anordnung der Abhörung von Telefon- und Datenverkehr bedarf es heute den Zusammenhang mit einem Strafverfahren sowie einer richterlichen Genehmigung (Art. 14 BWIS; Art. 179ocites 129 StGB). Telefon- und Datenüberwachungen im präventivpolizeilichen Bereich sind im zivilen Bereich heute unzulässig. Wenn nun das Militärgesetz die Weitergabe von Informationen der elektronischen Aufklärung an die Strafverfolgungsbehörde vorsieht, werden die bisher vorgesehenen gesetzlichen Kriterien umgangen. Am 9. Dezember 1999 führte der Bundesrat im Nationalrat anlässlich der Beratung der militärischen Immobilienbotschaft 2000 aus, dass die elektronischen Aufklärungsmittel der Armee nicht Mittel "der zivilen oder militärischen Strafverfolgung" seien, kein Abhörmittel der Bundespolizei darstellten, keine Inlandaufklärung vorgesehen sei und "der Einsatz elektronischer Mittel zur Abhörung von Telekommunikation des Inlandes (...) nur im Rahmen eines Strafverfahrens mit richterlicher Zustimmung zulässig" sei. Der vorgesehene Art. 99, Abs. 2bis würde allen diesen Aussagen widersprechen. Er ist deshalb zu streichen. | Abs. 2 ersatzlos streichen |
Art. 99, Abs. 3, Bst. c | Die vorgesehene Zusammenarbeit mit interessierten Stellen von Bund und Kanton ist aus obenstehenden Gründen zu streichen. Der militärische Nachrichtendienst, dessen Aktivitäten gesetzlich kaum geregelt sind, gehört von den zivilen Behörden abgetrennt. | Formulierung wie im bisherigen MG 95 |
Art. 99, Abs. 4 | Dieser Abschnitt ist überflüssig, die Ausnahmemöglichkeiten sind bereits in Abs. 2 und Abs. 3, Bst. d definiert. | Ersatzlos streichen |
Art. 100 | Die Tätigkeiten des Dienstes für militärische Sicherheit im Zusammenhang mit Friedensförderungseinsätzen ist im Gesetz präziser zu umschreiben. Die Ausführungen in den Erläuterungen des Bundesrates "bereits im Vorfeld eines Einsatzes und zum Schutz von Schweizer Truppen bei Einsätzen im Ausland" lässt jegliche Aktivitäten zu. | |
Art. 101, Abs. 1, Bst. d | Auf die Bildung von Berufsformationen für Aufklärungs- und Kampfaufträge ist zu verzichten. Es ist davon auszugehen, dass diese Formulierung die gesetzliche Grundlage darstellen soll für ständige professionelle Einheiten für Special Operations (Kommando SOK), wie sie in der militärstrategischen Doktrin vorgesehen sind. Ebenfalls dürfte dieser Artikel die gesetzliche Grundlage für einen massiven Aus- und Aufbau von militärpolizeilichen Einheiten darstellen. Beides lehnen wir entschieden ab. |
«Aufklärungs- und Kampfaufträge» streichen. |
Art. 150, Abs. 4 | Mit einer scheinbar geringfügigen Ergänzung in den Schlussbestimmungen des Militärgesetzes will sich der Bundesrat eine weitgehende Vollmacht zum Abschluss von Geheimschutzabkommen geben lassen. Dieser Blankoscheck darf im Gesetz keinesfalls Eingang finden. | Ersatzlos streichen |
Bundesgesetz über den Wehrpflichtersatz
Artikel | Kritik | Antrag |
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Art. 13, Abs. 1 | Die Wehrpflichtersatzabgabe gehört unserer Meinung grundsätzlich abgeschafft. Eine Erhöhung des Ersatzabgabe um 50% ist jedoch keinesfalls angezeigt. | Ersetzen: 2 Franken je 100 Franken... |
Art. 39, Abs. 5 | Für nicht fristgerecht erfolgte Zahlungen soll ein Verzugszins geschuldet sein, für Ersatzabgaben, die Rückerstattungsberechtigt sind, hingegen nicht. Diese Regelung ist unlogisch. Rückerstattete Ersatzabgaben sind ebenfalls zu verzinsen (oder auf den Schuldzins ist zu verzichten). | Siehe nebenan |
Wir hoffen, dass Sie unsere Einwände und Anträge bei der Überarbeitung des Leitbildes und des Gesetzes berücksichtigen werden. In dieser Form ist die Militärgesetzvorlage für die GSoA unakzeptabel, sollten im Verlauf der weiteren Beratung in den von uns kritisierten Punkten keine Korrekturen erfolgen, behalten wir uns ein Referendum vor.