Helvetische Kriegspolitik
Neue Bedrohungen, neue Koalitionen, neue Strategien ñ altes Denken?
Die Schweizer Sicherheitspolitik bewegt sich
von Nico Lutz und Marcel Hänggi
Die Schweiz sei heute ´von Freunden umzingeltª, schreibt in einem Aufsatz
in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift der stellvertretende
Chef Sicherheits- und Militärpolitik im VBS, Theodor Winkler. Ohne
Feind sucht die Armee nach neuen Aufgaben, macht neue Bedrohungen aus
ñ und schafft neue Legitimationen.
Die Neuorientierung der schweizerischen Sicherheitspolitik läuft
unter dem Namen ´Armee XXIª und soll im Jahr 2003 abgeschlossen sein.
Diesem Reformprojekt liegt der noch nicht veröffentlichte ´Sicherheitsbericht
2000ª zugrunde. Der Bericht der Strategiekommission Brunner vom Frühjahr
1998 diente dafür als Vorstudie.
Ein Aspekt ñ die militärische Zusammenarbeit mit dem Ausland ñ allerdings
scheint dem Bundesrat so dringend, dass er in Form einer Teilrevision
des Militärgesetzes der Reform vorgezogen werden soll. Die Teilrevision
befindet sich seit Anfang Februar in der Vernehmlassung.
Schweizer Waffen, Schweizer Geld...
Der vorgesehene revidierte Artikel 66 regelt die Bewaffnung von Schweizer
Soldaten im ´internationalen Friedensförderungsdienstª.
Laut Bundesrat geht dabei um eine Detailänderung mit geringer Tragweite:
Schweizer Truppen im Ausland sollen sich für den Selbstschutz bewaffnen
können. Der Vorschlag erinnert an die Blauhelm-Vorlage von 1994 (welche
an der Urne verworfen wurde).
Es bestehen jedoch gewichtige Unterschiede: Die Blauhelm-Vorlage hätte
bewaffnete Auslandeinsätze nur erlaubt, ´sofern die Zustimmung aller
dirket betroffenen Konfliktparteienª vorgelegen hätte. Zudem hätten
die Uno oder die OSZE ein Mandat erteilen und garantieren müssen,
´dass sich die Truppen unparteiisch verhalten und von ihrer Waffe nur
in Notwehr Gebrauch machenª.
Alle diese Leitplanken fehlen im neuen Gesetzesentwurf. Ausserhalb von
Uno- oder OSZE-Mandat wären Einsätze unter Nato-Kommande zulässig.
Auch in Sachen Bewaffnung ist alles möglich: ´Der Bundesrat bestimmt
im Einzelfall die Bewaffnung und die übrigen Massnahmen, die für
den Schutz der eingesetzten Personen und Truppen sowie für die Erfüllung
des Auftrages erforderlichª ist, heisst es im Gesetzesentwurf. Während
der Begleittext zum Entwurf schreibt, die Schweiz würde sich nur
an Einsätzen beteiligen, ´wenn diese keinen primären Kampfaufträge
zu erfüllenª hätten, fehlt im Gesetz eine diesbezügliche
Bestimmung. Gegenüber der International Herald Tribune sagte Bundesrat
Ogi am 20. Februar 1999: ´Fürs Erste wird der Schweizer Beitrag auf
Nicht-Kampf-Aufträge beschränkt bleiben.ª
Eine Beteiligung der Schweiz an der Bombardierung des Irak, wie sie im
vergangenen Dezember stattgefunden hat, wäre gemäss dem Wortlaut
des vorgesehenen Gesetzes möglich. Der Bundesrat müsste diese
Aktion nur als ´Friedensföderungsdienstª verkaufen.
Die zweite wesentliche Neuerung soll ermöglichen, dass der Bundesrat
´im Rahmen der schweizerischen Sicherheits- und Neutralitätspolitik
internationale Abkommen über die Ausbildung der Truppe im Ausland
sowie gemeinsame Übungen mit ausländischen Truppen abschliessenª
kann. Ausbildungszusammenarbeit mit dem Ausland kennt die Schweizer Armee
bereits punktuell. Die jetzt geplante Revision des Militärgesetzes
soll die militärische Zusammenarbeit in weit grösserem Umfange
erlauben. Auch hier heisst der Partner Nato. Das neue Gesetz wäre
die gesetzliche Grundlage für Truppenmanöver im Nato-Verbund
in der Schweiz.
...schaffen Frieden in aller Welt?
Bereits gemäss dem geltenden Militärgesetz ist es möglich,
einzelne Personen im Friedensförderungsdienst für den Selbstschutz
zu bewaffnen. Darum ist klar: Etwas anderes steht bei der Revision im
Vordergrund: ´Ausgehend von der fallbezogenen spezifischen Interessenlage
der Schweiz soll der Bundesrat ermächtigt werden, der internationalen
Gemeinschaft auch Truppenkontingente für multinationale friedensunterstützende
Operationen anbieten zu könnenª, ist im Begleittext zur Gesetzesrevision
nachzulesen. Weiter: ´Die Schweiz zieht direkten Nutzen aus den internationalen
Anstrengungen zugunsten erhöhter Stabilität und grösserer
Sicherheitª. Diesen ´direkten Nutzenª der Schweiz glaubt man am besten
zusammen mit den westlichen Partnerstaaten zu erreichen. Der ´Friedensförderungsdienstª
bietet dafür die unverdächtige Verpackung. Als Beispiel für
die Wirksamkeit ´friedensfördernderª bewaffneter Interventionen führt
Ogi ins Feld, das Eingreifen der Nato in Bosnien habe einen Rückgang
der Flüchtlingszahlen um 66 Prozent bewirkt. ñ Darum geht es offenbar:
Das Interesse der Schweiz in Bosnien war primär die Zahl der Flüchtlinge,
die in der Schweiz Zuflucht suchten.
Geht es nun also um ´Solidaritätª oder um den Nutzen der Schweiz?
Die Begriffe sind Marketing: Um die Unterstützung von links zu erhalten,
wird das militärische Zusammengehen mit dem Ausland als Akt der Solidarität
dargestellt; da aber zuviel Solidarität den Rechten suspekt ist,
muss diese ´Solidaritätª von der ´fallbezogenen spezifischen Interessenlage
der Schweizª ausgehen. Über die wirkliche Absicht ñ den Einstieg
in den Nato-Anschluss ñ wird diskret geschwiegen. Denn Ogi weiss, wie
er gegenüber der International Herald Tribune sagte: ´Zum jetzigen
Zeitpunkt würde ein Einsatz unter Nato-Kommando die Volksabstimmung
nicht bestehen.ª
Eurokompatibel, anschlussfreudig
Was bedeutet diese Standortveränderung politisch? ñ Von einem Grossteil
der Medien wird die Marschrichtung der Schweizer Sicherheitspolitik als
aussenpolitische Öffnung verstanden. Die Tatsache, dass die Reformen
auf den Widerstand der integrationsfeindlichen Rechten stossen, bestärkt
diesen Eindruck. Aber: Die vorgeschlagene Öffnung des Landes soll
uns nicht in eine der zivilen internationalen Organisationen führen,
sondern der Schweizer Armee bei der Nato eine neue Heimat geben. Diese
Nato ñ die reichen Staaten Europas und Nordamerikas ñ betreibt seit längerem
eine Politik, sich als sicherheitspolitische Ordnungskraft über die
Uno zu stellen.
Schritt für Schritt wurde in den letzten Jahren die Beteiligung
der Schweizer Armee an militärischen Programmen der Nato ausgebaut,
ohne dass sie dabei politisch zur Diskussion gestellt wurde. Die Revision
des Militärgesetztes soll nun den grossen Sprung nach vorne bringen
und eine neue Ära einer Nato-kompatiblen schweizerischen Kriegspolitik
eröffnen. Die Armee verkauft sich heute öffnungsfreudig und
zivil. Doch die scheinbare Zivilisierung der Armee bedeutet in Wirklichkeit
eine Militarisierung des Zivilen: Die Armee stösst in Bereiche vor,
für die bisher zivile Instanzen zuständig waren. Damit verschafft
sie sich vor allem auch neue Legitimation.
Wir dürfen bewaffnete Auslandeinsätze nicht gutheissen, wenn
sie im Rahmen eines neuen Militärgesetzes eingeführt werden,
ohne in eine aussenpolitische Diskussion und in klare aussenpolitische
Perspektiven für die Schweiz eingebettet zu sein. Die traktandierte
Revision des Militärgesetztes bietet aber auch eine Chance: Erstmals
können die geplanten, aber auch die schon vollzogenen militärischen
Annäherungsschritte politisch diskutiert werden. Ein allfälliges,
breit abgestütztes Referendum aus friedens- und entwicklungspolitischen
Kreisen gegen die vorliegenden Pläne könnte die Kluft zwischen
Anspruch und Realität aufzeigen und die Türen öffnen für
ein verstärktes ziviles Engagement der Schweiz und eine wirkliche
politische Öffnung des Landes.
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