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Keine Alternative?

Eine Chronik verpasster Chancen

Zum Krieg der Nato gegen Jugoslawien habe es keine Alternative gegeben, so die offizielle Position und der Glaube vieler Menschen. Jahrelang habe man alles versucht, eine friedliche, politische Lösung zu erreichen, aber alle Bemühungen seien an Slobodan Milosevic gescheitert. Eine Betrachtung der anderen Art
von Nena Skopljanac*

Für die meisten PolitikerInnen in nationalen und internationalen Gremien begann der Konflikt im Kosov@ im Frühling 1998, als der Krieg ausbrach. Weiter reichen das Wissen und das Gedächtnis selten. Und verdrängt werden die zahlreichen verpassten Chancen zur politischen und zivilen Konfliktbearbeitung.

Die Krise Anfang der 80er-Jahre

In den 80er-Jahren schlitterte Jugoslawien in eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise. Die Verschuldung explodierte, und mit dem Tod Titos 1980 verlor das Land seine Integrationsfigur. Notwendige Reformen scheiterten an der Unfähigkeit der politischen Füh-rung, die sich an den Status Quo ñ das ´Erbe Titosª ñ klammerte. Statt das Land zu reformieren, verlor sich die Führung in Machtkämpfen um Privilegien. Die grossen Autonomie-Kundgebungen im Kosov@ vom Frühjahr 1981 wurden nicht zum Anlass genommen, politische Lösungen zu erarbeiten, sondern mit Polizeigewalt brutal niedergeschlagen. Über hundert Menschen wurden dabei getötet und der Ausnahmezustand über die Region verhängt. Tausende kosov@-albanischer Aktivisten wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen für ´konterrevolutionäre Aktivitätenª und ´Separatismusª verurteilt.

Was tat die internationale Gemeinschaft? Rein gar nichts! Man nahm nicht einmal wahr, dass Jugoslawien in einer Krise steckte, die sich laufend vertiefte.

Was hätte getan werden müssen? Beispielsweise hätte das Angebot für eine EG-Mitgliedschaft erneuert werden können, um dem Land konkrete wirtschaftliche und politische Perspektiven und die Möglichkeit zur Umlagerung seiner Aussenschulden zu bieten. Ein paar Jahre zuvor hatte Tito das erste Angebot noch abgelehnt, weil die geforderten Reformen die Stellung der Führung untergraben hätten. Trotz seiner Probleme war Jugoslawien damals aber kein schlechterer Beitrittskandidat als Spanien oder Portugal.

Von der Krise zum Nationalismus...

Das Land war Mitte der 80er-Jahre wirtschaftlich und politisch so tief gesunken, dass ExpertInnen im Land von einer ´tiefen Strukturkriseª sprachen. In serbischen und slowenischen Intellektuellenkreisen tauchten die ersten nationalen ñ in Wahrheit nationalistischen ñ Programme auf. Warnrufe demokratischer Kreise wurden nicht gehört und versanken im Kreuzfeuer des immer lauter werdenden nationalistischen Gebrülls.

Was tat der Westen? Noch einmal: gar nichts. Was wäre nötig und möglich gewesen? Internationale Seminare und Konferenzen hätten dazu beigetragen, die Probleme wahrzunehmen, zu verstehen und zu bearbeiten. Jugoslawien hätte in die europäische Diskussion einbezogen werden müssen, statt sich selber und seinen nationalistischen Politikern überlassen zu bleiben.

Die nationalistischen Programme wurden zur herrschenden Ideologie und Politik ñ zuerst 1987 in Serbien, dann 1989 auch in Slowenien und Kroatien. 1987 bis 1990 schüttelten täglich Grossdemonstrationen das Land durch: Milosevics Massenmobilisierungen und Medienmanipulationen im Rahmen einer ´antibürokratische Revolutionª stürzten das Land ins Chaos und führten zur Ausschaltung der Autonomie der Vojvodina und des Kosov@. Die bisherigen politischen Führungen wurden weggesäubert und durch Gefolgsleute von Milosevic ersetzt. 1989 kam Montenegro an die Reihe, 1990 die serbisch besiedelten Gebiete Kroatiens.

Die jugoslawischen politischen Gremien zerfielen im Schnellzugstempo. Gemeinsame Politik wurde unmöglich und die Führungen der Teilrepubliken kämpften immer stärker mit nationalistischen Parolen und Programmen um ihre eigene Macht.

Die Proteste im Kosov@ gegen die Aufhebung der Autonomie wurden mit brutaler Polizeigewalt niedergeschlagen, kosov@-albanische Angestellte entlassen, albanisch als Schulsprache verboten, Kindern und StudentInnen der Zugang zu Schulen sowie Universitäten verwehrt und Zeitungen in albanischer Sprache verboten. Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Folter und Ermordung politischer Gefangener nahm unglaubliche Ausmasse an. Die Kosov@-AlbanerInnen reagierten darauf mit der Ausrufung der ´Republik Kosovaª und dem Aufbau gesellschaftlicher Parallelstrukturen vorbei am serbischen Staatsapparat.

Händedruck und Schulterklopfen

Gleichzeitig wurde die Geschichte umgeschrieben, um die SerbInnen als ´himmlisches Volkª zu inthronisieren: Die Vorbereitungen zur 600-Jahr-Feier der Schlacht auf dem Amselfeld (serbokroatisch Kosovo Polje) wurde zur Kulthandlung, bei der die Knochen des mittelalterlichen serbischen Königs Lazar durch das ganze Land getragen wurden. Im Kosov@ stieg die Temperatur, als serbische Gruppen die Diskriminierung und Unterdrückung ihrer Nation durch die albanische Mehrheit zum Thema ihrer Propaganda machten. Milosevic stellte sich hinter sie und erklärte sich zu ihrem Beschützer. Der Konflikt war Wasser auf seine Mühlen.

In diese Zeit fällt aber auch die Suche nach politischen und wirtschaftlichen Alternativen. Der 1989 gewählte Premierminister Jugoslawiens, Ante Markovic, hatte ein ganzes Paket wirtschaftlicher Massnahmen erlassen, um das Land aus der Krise zu reissen. In kurzer Zeit zeigten die Reformen erste Erfolge und die Popularität von Markovic stieg schnell. Anfang 1989 bildete sich die ´Vereinigung für eine jugoslawische demokratische Alternativeª UJDI, die über einen starken Zweig auch im Kosov@ verfügte. Mit Vorschlägen für Verfassungsänderungen und einem Entwurf für ein Gesetz über politische Rechte und Organisationen suchte sie den Weg zur Demokratisierung. Eine spezielle Arbeitsgruppe zum Kosov@ erarbeitete politische Vorschläge zur Lösung des Konflikts. Eine Vielzahl von öffentlichen Veranstaltungen wurde organisiert, um von den Erfahrungen der Länder Osteuropas mit ´runden Tischenª zu lernen. Parteienpluralismus für demokratische Wahlen stand im Vordergrund der Bemühungen, die aber sowohl von der herrschenden Partei als auch von den grössten Oppositionsparteien in den verschiedenen Republiken ignoriert wurden. Abgeschlossen wurde diese Phase 1990 durch die ersten freien Wahlen, die in allen Republiken von nationalistisch gesinnten Parteien gewonnen wurden. Der Geruch des Krieges lag in der Luft.

Und wie reagierte der Westen? Premierminister Ante Markovic bettelte rund um die Welt für Unterstützung und eine Umschuldung und präsentierte Reformprojekte. UJDI wurde bei allen Botschaften vorstellig und legte Analysen und Projekte vor. Man erhielt überall warmen Händedruck und Schulterklopfen, ein paar Versprechungen und Vertröstungen. Man sprach von 10 bis 15 Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe, hielt Zahlungen aber unter immer neuen Vorwänden zurück, bis die Regierung Markovic völlig diskreditiert war und 1991 der Krieg ausbrach.

Erneut zeichnete sich die internationale Politik also vor allem durch Nicht-Handeln aus. Man war mit dem Zerfall der Sowjetunion zu beschäftigt und sah vielleicht auch vor lauter Triumph über den Zerfall des Kommunismus keinen Bedarf zum Handeln mehr. Jedenfalls explodierte Jugoslawien unter aktivem Abseitsstehen des Westens, mit seinen wärmsten Wünschen und Empfehlungen. Was aber wären die Alternativen gewesen?

Finanzielle Unterstützung für die anstehenden Wirtschaftsreformen wäre erste Priorität gewesen, um die Reformregierung und damit politische Stabilität am Leben zu halten. Mladjan Dinkic, einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler Jugoslawiens, berechnete, dass schon mit vier Milliarden Dollar ein Programm zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung realisierbar gewesen wäre. Politisch hätten die Initiativen von UJDI gegen die nationalistischen Kräfte gestützt werden müssen, um eine Reform der jugoslawischen Verfassung und der Gesetze zu erreichen. Technisch wäre internationale Unterstützung für das jugoslawische Fernsehen YUTEL und unabhängige Medienprojekte zentral gewesen, um der nationalistischen Propaganda aller Republiken eine Gegenöffentlichkeit zur Seite zu stellen. Internationale Konferenzen und Seminare hätten sich der Situation der Menschen- und Minderheitenrechte ñ speziell für den Kosov@ ñ annehmen müssen. Internationale Unterstützung für ihre Anliegen hätte die Kosov@-AlbanerInnen zu einer Teilnahme an den Wahlen vom Herbst 1990 bewegen können. Ivan Djuric, Präsidentschaftskandidat von UJDI und von Markovics Reformpartei, erzielte hinter Milosevic und Vuk Draskovic als Dritter 300'000 Stimmen ñ vor allem von ethnischen Minderheiten. Mit Unterstützung der Stimmen aus dem Kosov@ hätte er zwar nicht die Wahlen gewonnen, aber die Kräfteverhältnisse verändert.

Im Angesicht des Krieges

Im Januar 1991 tauchten in Serbien, Kroatien und kurz darauf auch in Bosnien-Herzegowina paramilitärische Einheiten auf. Es kam in Kroatien zu ersten bewaffneten Auseinandersetzungen. Im Februar beschlossen die Parlamente Kroatiens und Sloweniens, die jugoslawischen Gesetze nicht mehr anzuwenden, sondern sich selbständig zu machen. Auch Mazedonien erklärte seine Selbständigkeit und die SerbInnen in Kroatien riefen die Krajina als autonome Region aus. Im März demonstrierten mehr als 100'000 Menschen in den Strassen Belgrads gegen Milosevics Regime und die Propaganda des serbischen Staatsfernsehens RTS. Die Kundgebung wurde von Panzern der Armee niedergeschlagen. Während die politischen Strukturen der Regierung immer weiter zerfielen, entstanden zivile Initiativen und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) wie Frauen- und Friedensgruppen. Im Juni vollzog Slowenien seine Unabhängigkeit, und die Panzer der Jugoslawischen Volksarmee rollten. Der Krieg hatte offiziell begonnen.

Was tat der Westen? Man stürzte sich in hektische dringliche Treffen, und die Diplomaten reichten sich die Klinke in Belgrad. Man rief zur Einheit auf und versprach Geld für Reformen. Auf Titos Ferieninsel Brioni wurde unter internationaler Aufsicht eine Konferenz abgehalten, die zur ´Brioni-Erklärungª führte: Slowenien legte seine Unabhängigkeit auf Eis und die jugoslawische Armee zog sich aus Slowenien zurück ñ nach Kroatien. Trotz einer Vielzahl von warnenden Stimmen beschränkte man sich beim ´Trouble shootingª auf den konkreten Einzelfall Slowenien und wollte nicht wahrhaben, dass damit das Problem nur geografisch verschoben wurde. Es fehlte eine durchdachte, einheitliche politische Strategie zur Konfliktbearbeitung. Die westlichen Staaten verloren sich in ihren Eigeninteressen und diplomatischen Ränkespielen.

Welche anderen Möglichkeiten gab es damals? Zentral wäre jetzt eine kohärente Politik bezüglich Wirtschafts- und Sozialpolitik, politischer Krise und regionaler Nationalismen für die ganze Region gewesen. Dazu hätten die mehr als dreissig Parteien in allen Republiken, die zivile, nicht-nationalistische Projekte und Programme vertraten, sowie die VertreterInnen der Vielzahl ziviler Gruppen einbezogen werden müssen. Sie bildeten die gesellschaftlichen Brücken über die ethnischen Gräben hinweg und stellten das gesellschaftliche Potenzial dar, Jugoslawien zu demokratisieren und politisch zu stabilisieren. Ohne internationale Unterstützung konnte dies nicht gelingen.

Von Slowenien nach Kroatien...

Die Armee verschob sich ñ verstärkt durch die aus Slowenien abgezogenen Truppen ñ nach Kroatien, um dort den nächsten, viel längeren und blutigeren Krieg zu beginnen. Während der Krieg an Brutalität immer mehr zunahm, entwickelten sich auch die Antikriegs-Aktivitäten. Täglich kam es zu Kundgebungen, Veranstaltungen, offenen Briefen und Aufrufen, aber auch konkreten Friedenseinsätzen im ganzen Land. Während die Antikriegsbewegung mit äusserst beschränkten Ressourcen versuchte, Unmögliches zu leisten, zeichnete sich die Internationale Gemeinschaft durch Handlungsunfähigkeit aus. Wäh-rend einige Staaten die Einheit Jugoslawiens beschworen, anerkannten andere die alten Republiken als neue Staaten. Während die Friedenskräfte marginalisiert wurden, sass die internationale Diplomatie laufend an Konferenzen mit Kriegstreibern zusammen. Statt einem internationalen Konsens bestimmten die nationalen Eigeninteressen die Politik.

Was wurde unterlassen? Es gab keine Anerkennung und Unterstützung für all diejenigen Kräfte, die bereit waren, an einer politischen Lösung der Probleme mitzuarbeiten. Bei der grossen Politik fehlte der Wille, bei den NGOs das Geld, um solche Ansätze effektiv zu stärken. Es gab kaum seriöse Analysen, kaum auf Verständnis statt Vereinfachung angelegte Medienarbeit, kaum Plattformen und Treffpunkte für den zivilen Widerstand.

Statt den Krieg in Kroatien mit Frieden zu beenden, wurde er Anfang 1992 mit einem Waffenstillstand angehalten... und die Karawane der Jugoslawischen Volksarmee zog weiter nach Bosnien. Die Folge davon war offensichtlich, doch die Internationale Gemeinschaft glänzte durch unglaubliche Lernunfähigkeit.

... und weiter nach Bosnien

Der Krieg verlagerte sich von Kroatien nach Bosnien. Die Internationale Gemeinschaft beschloss Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und begann Verhandlungen. Man diskutierte über Frieden mit Leuten wie Karadzic, die den Konflikt zum Krieg geschürt hatten und inzwischen der Kriegsverbrechen angeklagt waren. Alternative Konferenzen litten an Geld- und Zeitnot. Wo sie trotzdem stattfanden, erarbeiteten sie konkrete Vorschläge und Projekte, die von der offiziellen Politik kaum wahr- und schon gar nicht ernst genommen wurden.

Eine internationale Konferenz unter Einbezug aller zivilen und auf politische Lösungen orientierten Kräfte hätte eine umfassende Strategie definieren können, die auch die Durchsetzung eines Protektorats ermöglichen würde. Statt nur Sanktionen zu beschliessen, hätten Anreize als positive Sanktionen definiert und angeboten werden müssen, die einen Weg nach vorne und aus dem Schlamassel aufzeigen könnten. Zudem hätte die grosse Politik besser mehr auf die Sachkenntnis der internationalen NGOs gehört, denn sie waren es, die über all die Jahre am konsequentesten die Geschehnisse verfolgten, analysierten und Alternativen entwickelten.

Auch nach dem Waffenstillstand von Dayton (Ende 1995) gingen die Unterlassungssünden weiter. Weshalb wurde ein Abkommen nur für Bosnien-Herzegowina geschlossen, während der Konflikt um Kosov@ ausgeklammert wurde? Milosevic konnte sich so zum ´Garanten für den Friedenª erklären und in Kosov@ seine Unterdrückungspolitik fortsetzen. Statt eines regionalen Marshall-Planes hatte erneut die Unlogik des lokalen ´Trouble shootingª gewonnen. Weshalb dauerte es nur wenige Monate, bis der militärische Teil des Dayton-Abkommens umgesetzt war, während die zivilen Teile heute noch darauf warten, endlich ernst genommen zu werden? Hatte der Westen immer noch nicht gelernt, dass ethnischer Nationalismus nur durch gesellschaftliche Lernprozesse und Demokratisierung überwunden werden kann und dass dies wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherheit und vor allem den Einbezug und die konsequente Unterstützung entsprechender lokaler Kräfte erfordert?

Vom Waffenstillstand zum Nato-Bombardement

Die über Jugoslawien verhängten Sanktionen zeigten inzwischen katastrophale Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Während der Familienclan von Milosevic und andere Kriegsgewinnler sich masslos bereichern und ihre Macht ausbauen konnten, wurden die demokratischen, pro-westlichen Kräfte vom Regime als ´Feindeª, ´Spioneª, und ´fünfte Kolonneª diffamiert und von der internationalen Politik marginalisiert und ignoriert. Zwar kennen alle die Namen von mehr oder weniger oppositionellen Politikern wie Vuk Draskovic oder Zoran Djindjic, aber wer weiss hier schon von der Bürgerallianz oder von den zivilen Mehrparteien-Koalitionen in der Vojvodina, in Sumadija oder im Sandzak? Wer weiss von den Massenkundgebungen mit 150'000 Menschen gegen den Krieg in Bosnien im Frühjahr 1992, von den StudentInnenprotesten 1993 gegen den Krieg und für den Rücktritt von Milosevic? Dutzende von Büchern wurden geschrieben, Hunderte von Veranstaltungen und Protestaktionen durchgeführt, Tausende von Unterschriften unter Aufrufe gesetzt ñ aber der Westen sah über dieses ´andere Serbienª hinweg.

Selbst die Zusammenarbeit von Organisationen aus Serbien und dem Kosov@ wurde kaum zur Kenntnis genommen. Man ignorierte alle Treffen und die dabei erarbeiteten Vorschläge für ein internationales Protektorat, für ein Autonomiestatut gemäss Südtiroler Modell, für verfassungsmässige Schritte zum Republikstatus des Kosov@. Der Westen war in Bosnien absorbiert. Der Kosov@ ging verloren und vergessen, schlimmer: wurde verdrängt. Die verantwortlichen internationalen Politiker begrüssten den gewaltfreien Widerstand im Kosov@ mit warmen Worten, um ihn gleichzeitig mit Nichtbeachtung zu bestrafen und ihn dem serbischen Regime und seiner brutalen Repressionsmaschine auszuliefern. Wer nahm die Hilferufe der grossen StudentInnenproteste in Pristina Ende 1997 zur Kenntnis, als um internationalen Beistand gefleht wurde? Ihre gewaltsame Niederschlagung durch die serbische Polizei markierte das Ende und den Untergang des gewaltfreien Widerstandes von Ibrahim Rugovas Demokratischer Liga LDK und den Beginn der Ära der bewaffneten Gewalt und ihrer militärischen Struktur, der Kosova-Befreiungsarmee U«K.

Die internationale Gemeinschaft, stolz und zufrieden mit sich selber über den in Bosnien erreichten ´Friedenª, schreckte aus dem Tiefschlaf. Die Eskalation erwischte die internationale Politik einmal mehr auf dem falschen Fuss: unvorbereitet, konzeptlos, ohne Konsens über Ziele und Massnahmen.

Freude herrscht, Probleme bleiben

Zuschauen oder zuschlagen, in dieses vermeintliche Dilemma hatte sich die internationale Politik selber gebracht, weil sie untätig zuschaute, bis kaum noch politisches Handeln möglich war. Die Hektik der US-amerikanischen Shuttle-Diplomatie konnte dies nicht überspielen. Es dauerte ab Oktober 1998 Monate, bis auch nur die Hälfte der geplanten OSZE-BeobacherInnen im Kosov@ ankamen ñ ohne klares Mandat, in sich ständig verändernden Strukturen und Vorgaben. Dann plötzlich sollte im Frühjahr 1999 in einer Woche alles gelöst werden, was sich an Konflikten über Jahrzehnte angebahnt hatte: Man lud nach Rambouillet zur Konferenz. Unter Bombendrohungen wurden den Verhandlungsdelegationen immer wieder neue Papiere vorgelegt, die zudem noch geheime Anhänge beinhalteten. Zu gemeinsamen Verhandlungen darüber kam es nie. Das einzige Treffen zwischen der serbischen und der kosov@-albanischen Delegation in Rambouillet war der Fototermin beim Apéro mit US-Aussenministerin Albright. Eine Chance hatten diese Verhandlungen eigentlich nie, und es ist zweifelhaft, ob die internationale Gemeinschaft überhaupt ein Abkommen anstrebte. ´Drag and dropª ñ über den Verhandlungstisch ziehen und aufs Land Bomben fallen lassen, das ´Konfliktmanagementª der PolitikerInnen wurde zur Fortsetzung der Computerspiele mit anderen Mitteln.

Und heute? Freude herrscht. Nach mehr als zwei Bombenmonaten und der Zerstörung des Landes ist Milosevic bereit, einen ´Friedensplanª der internationalen Gemeinschaft zu unterschreiben. Einmal mehr bringt aber das internationale ´Trouble shootingª bestenfalls einen Waffenstillstand, sicher aber keinen Frieden. Ohne Einbezug der demokratischen Kräfte hat der Westen mit Milosevic einen Deal ausgehandelt, der sich geografisch auf den Kosov@ und inhaltlich auf die militärischen Aspekte konzentriert ñ und selbst dies ohne wirkliches Konzept. Milosevic muss die Armee, die Sonderpolizei und die paramilitärischen Einheiten aus dem Kosov@ abziehen. Und wohin? Nach Montenegro? In den Sandzak? In die Vojvodina? Wo wird er sie für seinen nächsten Krieg einsetzen können? Kein Wort in diesem ´Friedensplanª über die Demokratisierung Serbiens, über die Aufhebung des Kriegsrechts, über die Durchsetzung der Medienfreiheit, über den Schutz der Rechte aller Menschen und Minderheiten, über die strafrechtliche Verfolgung begangener Kriegsverbrechen, über die Perspektiven für Montenegro, über konkrete Massnahmen zum vage in Punkt 8 erwähnten ´Marshall-Planª für den Balkan. Im Gegenteil: Man droht Serbien, für den Wiederaufbau solange keinen müden Franken aufzuwerfen, als Milosevic an der Macht ist. Der freut sich darüber. Das Land bleibt unter seiner Fuchtel in klaustrophober Isolation. Die internationale Politik verpasst es einmal mehr, zusammen mit den vorhandenen politischen Kräften im Land die Massnahmen durchzusetzen, die längerfristig Stabilität und Sicherheit für die ganze Region schaffen könnten.

Einmal mehr ein Abkommen also, das kein Problem löst und das einzig die Frage stellt: Wann und wo beginnt der nächste Krieg?

* Nena Skopljanac ist Politik-Wissenschaftlerin. Sie lebt in Zürich und engagiert sich bei der Medienhilfe Ex-Jugoslawien. Der hier vorliegende Artikel ist eine stark überarbeitete Version des viel umfangreicheren englischen Originaltextes (55kB). Die Bearbeitung besorgte Roland Brunner.

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  27. Juni 1999/uh
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