Stephanie Hartung, Berner Frauenhaus - 3. Ostermarsch 28. März 2005 |
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Eine gewaltbetroffene Frau sagte mir kürzlich, sie wolle mit 40 sterben, sie ist jetzt 26 und ich 40. Ich sagte, dann müsste ich ja jetzt grad sterben. Ich fragte sie, warum sie das sagt, sie meinte, wenn ich von dort kommen würde, wo sie herkomme, wollte ich auch nicht älter als 40 werden.
Seit 11/2 Jahren arbeite ich nun im Berner Frauenhaus, seit 11/2 Jahren beschäftige ich mich somit mit dem Thema Häusliche Gewalt; Tag täglich bin ich am vertiefen, mein Wissen am erweitern. Klar ist, wie brisant, aktuell das Thema Häusliche Gewalt ist - Häusliche Gewalt ist alltäglich und Häusliche Gewalt ist nicht mehr nur ein Tabuthema. Auch der breiteren Öffentlichkeit sind Sätze wie: Häusliche Gewalt ist keine Privatsache mehr, muss daher öffentlich werden, bekannt. Es ist bekannt, dass Vergewaltigung, wiederholte Tätlichkeiten, Drohungen und Nötigung begangen in Ehe und Partnerschaft homo- oder heterosexuell, seit dem April 2004 sind dies so genannte Offizialdelikte und nicht mehr nur Antragsdelikte. Das bedeutet konkret, wenn die Polizei an einen Tatort gerufen wird und eine Gewalttat vorliegt, muss die Polizei von Amtes wegen ermitteln. Die gewaltbetroffene Person, in unserem Fall Frauen, muss keine Strafanzeige mehr machen, damit die Polizei tätig wird. Die Devise heute lautet, ermitteln, nicht vermitteln! Die Täterschaft wird somit für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen. Den Opfern rate ich, sich unbedingt mit den Opferhilfe-Beratungsstellen oder einem Frauenhaus in Verbindung zu setzen, denn den Durchblick mit all den Gesetzen und Fristwahrungen zu behalten, ist für eine Einzelperson fast nicht möglich. Die praktische Umsetzung des Gesetzes braucht allerdings noch Zeit bis alle involvierten Institutionen mit dem Gesetz vertraut sind und wir in unserer Beratungstätigkeit, respektive die betroffenen Frauen die Veränderung spüren.
Ab Juni 2005 tritt dann schon das nächste Gesetz im Kanton Bern in Kraft, das Gewaltschutzgesetz mit der Möglichkeit der so genannten Wegweisung der Täterschaft aus dem gemeinsamen Haushalt oder der näheren Umgebung. Konkret heisst das, wenn die Gefahr, die von der Täterschaft ausgeht, so gross ist, dass die Sicherheit des/der Opfer nicht mehr gewährleistet ist, kann mittels richterliche Verfügung eine zweiwöchige Wegweisung aus der Wohnung oder des näheren Umfeldes verhängt werden.
Auch die Wegweisung ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch auch bei der Wegweisung gilt es in der nächsten Zeit aufmerksam zu verfolgen, wie sie sich auswirken wird. Die Wegweisung ersetzt die Frauenhäuser nicht, sie ist bloss eine Möglichkeit. Beratung, Schutz und Unterkunft werden auch in Zukunft nötig sein, das haben auch erste Evaluationen aus St. Gallen gezeigt, die nun schon länger Erfahrungen mit der Wegweisung haben. Im 2003 wurden 129 Personen im Kt. St. Gallen weg gewiesen.
Wie Sie vielleicht wissen, sind alle drei kantonalen Frauenhäuser Bern, Thun und Biel anerkannte Opferhilfestellen. Wir erhalten Staatsbeiträge und haben seit dem 1.1.05 Leistungsvereinbarungen und richten uns in der Hauptsache nach dem Opferhilfegesetz, welches seit 1993 gilt. Zurzeit wird das Opferhilfegesetz total revidiert, voraussichtlich tritt das neue 2007 in Kraft. Die wichtigsten Veränderungen betreffen v.a. Fristeneinhaltungen und Maximalbeträge bei der Genugtuung.
Für unsere Arbeit im Frauenhaus erwarten wir keine grossen Veränderungen.
Zahlen
In der CH und Liechtenstein gibt es 16 Frauenhäuser, total mit 217 Betten, für Frauen und Kinder. Unsere Belegungszahlen sind jeweils von grossem Interesse, sagen jedoch erst richtig was aus, wenn die ganze Dynamik, die zum Frauenhausalltag gehört, ausführlich erklärt werden kann. Daher verzichte ich hier auf detaillierte Zahlen.
Eine weitere Zahl, die uns beschäftigt, ist die der Frauen und Kinder, die wir meist wegen vollen Häusern, abweisen müssen. Im 2003 waren das in der Schweiz 1322 Frauen, die nicht aufgenommen werden konnten. Im Berner Haus allein stieg die Abweisungskurve von 77 Frauen im 2003 auf 143 im Jahr 2004. Ich führe die in dem Sinn hohe Nachfrage auf einen Frauenhausplatz auf verschiedene Faktoren zurück:
die Frauen sind je länger je besser informiert, suchen Hilfe, warten i.d.R. nicht mehr so lange, bis sie sich Hilfe holen, Institutionen, Betriebe, Schulen etc. wenden sich an uns und informieren sich, wenn sie mit Fällen von Häuslicher Gewalt konfrontiert werden, es wird nicht mehr einfach weggeschaut. Die Gewalt in Ehe und Partnerschaft ist nicht mehr Privatsache, sondern ein gesellschaftliches Problem! Das ist gut und zeigt mir, dass auf allen Ebenen gut gearbeitet wird.
Das Berner Frauenhaus wird heuer 25 Jahre alt. Wir wissen, das ist ein Jubiläum der speziellen Art, sagen wir mal, es regt zum Nachdenken an.
Nun, ich habe mal hochgerechnet, wie viele Frauen und Kinder in den letzten 25 Jahren Schutz allein nur im BFH gefunden haben, das waren 1600 Frauen und 1330 Kinder, die durch ihren Partner resp Vater Gewalt erlebt haben.
Das Angebot der Frauenhäuser ist, Schutz, Unterkunft und Krisentintervention Beratung sicherzustellen, Beratung in juristischen, medizinischen, psychologischen, sozialen Belangen. Dies für Frauen aus jeder Schicht, x-verschiedenen Ländern mit x-verschiedenen Nationalitäten. Für uns sind es alles Frauen mit Lebensgeschichten und Träumen und Wünschen, mit Rechten. (Wir schätzen die Frage, ob wir v.a. Ausländerinnen oder mehr Schweizerinnen haben, nicht besonders. Es sind Frauen, Gewalt richtet sich nach wie vor v.a. an Frauen und Kinder.) Das interessiert uns, für das setzen wir uns ein. Unser Aufgabengebiet ist enorm breit, spannend und unsere Arbeit ist sinnvoll. Wir können Frauen unterstützen, einen anderen Weg zu gehen, etwas anderes auszuprobieren, Perspektiven aufzuzeigen, Kontakte zu vermitteln; Wir arbeiten mit den Ressourcen der Frauen, es geht uns darum, die Frauen zu stärken und parteilich mit ihnen zu arbeiten.Uns ist auch wichtig, etwas zum Selbstvertrauen der Frauen beizutragen, sie verlassen das Frauenhaus immer mit einem neuen Selbstbewusstsein!
Wir wissen, Gewalt ist alltäglich, ist brisant, ist schrecklich und zerstörerisch, bringt Leid, an der Gewalt wird sich täglich ergötzt, darüber mehr oder weniger seriös berichtet, Gewalt hat was Anziehendes und Abstossendes zugleich und scheint eine gewisse Faszination auszuüben. Es ist enorm wichtig, sich mit dem Thema fundiert auseinanderzusetzen. Präventionsarbeit an Schulen zu leisten, öffentlich aufzutreten, gesamtschweizerisch aufzutreten, wie letztes Jahr mit den Kampagnen gegen Häusliche Gewalt lanciert von der Dachorganisation der Frauenhäuser, in Zusammenarbeit mit dem Body shop und AI. Unermüdlich aufzuzeigen, was Gewalt heisst, was sie anrichtet, was es aber auch für Möglichkeiten gibt, denn ich bin überzeugt, dass Gewaltverzicht lernbar ist und Gewaltverzicht stark macht.
Letzthin betrat ich schwer beladen das FH. Ein 9jähriger Junge, der zurzeit im Frauenhaus wohnt, begrüsste mich sehr freundlich und beobachtete mich. Ich holte mir einen Kaffee und mein Notebook. Er sah, dass ich unmöglich alles tragen konnte. Er bot mir umgehend seine Hilfe an und nahm das Notebook. Er fragte mich, ob er es auch installieren dürfe. Er strahlte mich an, als ich bejahte. Danach wünschte er mir einen schönen Tag und ging wieder. Dieses Erlebnis berührte mich sehr. Ich dachte, darum geht es, um Aufmerksamkeit, um Freundlichkeit und das Wahrnehmen der Menschen um uns herum.
Ich setze mich täglich ein, weil ich absolut überzeugt bin, wertvolle und sinnvolle Arbeit zu leisten und ich bedanke mich für Auftritte wie diesen, an dem ich über unsere Arbeit berichten kann. Merci.