Der Nato-Krieg und die Massenvertreibungen haben den Kosovo-AlbanerInnen in der Schweiz eine Solidaritätswelle beschert. Politisch ist davon nichts zu merken
Im Juni 1998 folgten die Stadtzürcher Stimmberechtigten der SVP und lehnten einen bescheidenen Betrag der Stadt an ein Integrationsprojekt für Kosovo-AlbanerInnen ab. Damals hätte niemand gedacht, dass zehn Monate später die Glückskette ein Rekord-Sammelergebnis zugunsten von Flüchtlingen aus dem Kosovo erzielen würde. Viele SchweizerInnen verbanden mit dem Begriff „Kosovo-Albaner» bisher vor allem Kriminalität und Drogenhandel. Dass die albanische Bevölkerung im Kosovo seit Jahren unterdrückt wurde, nahm kaum jemand wahr.
Die schrecklichen Bilder vertriebener Menschen änderten dies schlagartig. Sogar von der äussersten Rechten hörte man ungewohnte Töne: ´Die Kosovo-Albaner sind echte Flüchtlinge, ethnische «Vertriebene», liess sich der Gründer der Autopartei, Michael Dreher, zitieren.
Zu dumm für die neu antretende Bundesrätin Ruth Metzler, dass in den Berichten aus Blace und KukÎs gesagt wurde, die serbischen Behörden vernichteten gezielt die Dokumente der vertriebenen Menschen. Als Chefin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD musste Metzler gleichzeitig einen Dringlichkeitsbeschluss verteidigen, der vorsah, auf Gesuche von „papierlosen» Asylbewerbern nicht einzutreten. (Der Beschluss, wie auch das neue Asylgesetz, waren nicht in Gefahr, wie die Abstimmung vom 13. Juni gezeigt hat.)
Humanitäre Tradition?
Ein neues Image der KosovarInnen, weitverbreitete Solidarität in der Schweizer Bevölkerung und eine neue EJPD-Chefin im Bundesrat: Das wäre Anlass für eine mutigere Flüchtlingspolitik der Schweiz gewesen. Doch weit gefehlt. An der Pressekonferenz vom 31. Mai sagte Metzler im gleichen Atemzug, man müsse die „humanitäre Tradition der Schweiz» aufrecht erhalten und die „Attraktivität der Schweiz» für Flüchtlinge aus dem Kosovo senken. Begriffe wie „Notrecht», „Abschreckungsverordnung», „überzählige Personen» oder „Warteräume» (Metzler wollte ausdrücklich nicht von „Lagern» sprechen) werden von offizieller Seite in die Diskussion eingebracht. Bisher war die Schweiz selbst in der Rhetorik der äussersten Rechten nur für „unechte» Flüchtlinge zu attraktiv, statt Solidarität herrscht vorauseilender Kleinmut.
Albanien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina, die allesamt zu den ärmsten Ländern in Europa zählen, haben fast eine Million vertriebener Menschen aufgenommen. Als Nachbarländer haben sie gar keine andere Wahl. Die Schweiz versucht, die Flüchtlinge, deren „Echtheit» niemand bestreitet, mit „Warteräumen» sowie minimalster (militärischer) Betreuung abzuschrecken. Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem sollen diese Flüchtlinge nur eingeschränkt erhalten.
Die Verantwortung der Schweiz
Dass die Schweiz attraktiv ist, hat einen eindeutigen Grund: Hier leben bereits etwa 200’000 Kosovo-AlbanerInnen. Drei Viertel davon sind GastarbeiterInnen und ihre Familien, Leute, die nicht ungefragt kamen, sondern von der Wirtschaft als günstige Arbeitskräfte in die Schweiz geholt wurden. Das gute Bildungs- und Gesundheitssystem ist nicht der Grund für die hohe Attraktivität dieses Landes. Es bietet aber Chancen, den Menschen aus dem Kosovo zu helfen. Natürlich sollen die Menschen eines Tages zurückkehren können, das wollen sie auch selbst. Doch eine solche Rückkehr wird nicht innert Wochen oder Monaten möglich sein. „Rückkehrhilfe» könnte auch heissen: Diesen Menschen die besten Voraussetzungen geben, ihre Kriegstraumatisierung zu verarbeiten, und ihren Kindern und Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen.
Pflegeleichte Solidarität
Solidarität, die sich auf Spenden an die Glückskette beschränkt, ist billig. Ob die Schweiz wirklich ihrer „humanitären Tradition» gerecht werden kann, wird sich daran zeigen, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen. Pflegeleicht werden diese Menschen nicht sein: Sie haben zu Schreckliches erlebt. Wenn sie an jeder Integration gehindert, mit „minimaler Betreuung» in „Warteräumen» zwischengelagert werden, wenn sie einer dauernden Dankbarkeitserwartung ausgesetzt sind und man ihnen nicht zugesteht, Bedürfnisse zu äussern, dann kommt es fast sicher zu Problemen.
Gewisse PolitikerInnen werden dankbar sein, wenn die Kosovo-AlbanerInnen ihre negativen Vorurteile bestätigen. Mit keinem Thema hatte die SVP soviel Erfolg wie mit ihrer Sündenbockpolitik. Traurig, dass sie vom Bundesrat Schützenhilfe erhält.