Aufruf zur Verweigerung des Militärdienstes beim G-8-Gipfel

Vom 1. bis zum 3. Juni findet in Evian der nächste G8-Gipfel statt. Die Regierungschefs der mächtigsten Industrienationen werden an den Genfersee reisen, unter ihnen auch die Kriegstreiber Bush und Blair. 5600 Schweizer Militärangehörige wurden aufgeboten, um das Gipfeltreffen im benachbarten Evian zu ermöglichen. Der Chef der Schweizer Armee hat in beispiellos undemokratischer Manier gefordert, die Protestdemonstrationen gegen den G8-Gipfel zu verbieten.

Vor einigen Wochen hat sich trotz Androhung strafrechtlicher Konsequenzen ein G8-Soldatenkomitee gebildet, in dem Soldaten aufrufen, den Militärdienst im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel zu verweigern. Diesem Aufruf sind bisher zahlreiche Soldaten gefolgt. Die Gruppe Schweiz ohne Armee sowie die Anti-WTO-Koordination unterstützen den Verweigerungsaufruf ebenfalls.

Die Referenten begründen den Verweigerungsaufruf und zeigen Möglichkeiten, diesem Aufruf zu folgen. Auch der Kontext dieses Militäreinsatzes wird aufgezeigt.

Links zum Thema

Armeeeinsatz am G8 Gipfel in Evian, Medienkonferenz 20.5.2003
Redebeitrag von Andreas W., Soldat der elektronischen Kriegsführungskompanie III/23

Nächste Woche hätte ich am Genfersee Dienst zugunsten des Schutzes des G8-Gipfels leisten sollen und ich bin Mitglied des G8-Soldatenkomitees. Ich werde versuchen, Ihnen darzulegen, weshalb so viele Soldaten für den Gipfel in Evian keinen Dienst leisten wollen.

Warum weigern sich die Soldaten?

Der wichtigste Grund ist eindeutig der Unmut gegenüber der Politik der Mitglieder der G8; Georg W. Bush und sein Waffenbruder Tony Blair haben gemeinsam mit ein paar weiteren Verbündeten erst vor kurzem einen brutalen Krieg geführt, der die Grundsätze des Völkerrechts aufs Gröbste verletzte. Am G8-Gipfel werden sie in formellen und informellen Gesprächen die wirtschaftliche Kontrolle der USA über den Irak sowie die Neuverteilung der irakischen Ölförderrechte endgültig festzusetzen versuchen. Auch der verurteilte Verbrecher Silvio Berlusconi, der Atomwaffentester Jacques Chirac und der Kriegsverbrecher Vladimir Putin werden da sein. Ebenfalls am G8-Gipfel teilnehmen werden die Chefs von IWF und Weltbank; Undemokratische Institutionen, die mit ihren Strukturanpassungsmassnahmen für das Elend von Millionen verantwortlich sind. Es kann doch nicht Bürgerpflicht sein, mitzuhelfen, diesen Herrschern der Welt einen angenehmen Empfang zu gewähren; das sagt das Gewissen vieler Milizsoldaten.

Beunruhigend ist auch die Aussicht, mit einem Gewehr voll scharfer Munition einer Demonstration beiwohnen zu müssen und von Kommandanten befohlen zu werden, die keinerlei Erfahrung mit solchen Situationen haben. Auch wenn beteuert wird, die Armee solle nicht gegen Demonstrierende eingesetzt werden: Das Interview mit Korpskommandant Keckeis von letzter Woche hat gezeigt, dass die Armeeführung es durchaus als ihre Aufgabe betrachtet, einzugreifen, wenn sie es für nötig erachtet.

Wie weigern sich die Soldaten?

Die Wege, seinen Dienst zu verweigern sind vielfältig:

  • Die meistgewählte Variante ist diejenige des Verschiebungsgesuches. Besonders erfolgsversprechend sind aufgrund unserer zahlreichen Rückmeldungen Gesuche, welche damit begründet werden, dass man ‘aktiver Globalisierungsgegner’ sei und den Gipfel-Dienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne. Mir beispielsweise wurde eine Verschiebung des WKs gewährt, nachdem ich dem Militär einen Brief geschickt habe, in welchem ich erklärt habe, wie gross meine Zweifel an der Legitimität dieses Einsatzes sind. Wurde in einem Gesuch nur mit beruflichen oder Studiengründen argumentiert, hatten die Gesuche nach unseren Erfahrungen kleinere Chancen auf Annahme.
  • Eine weitere Möglichkeit, die von vielen Soldaten genutzt wurde, ist das Einholen eines ärztlichen Gutachtens, das einem attestiert, man sei der psychischen Belastung eines solchen WKs nicht gewachsen.
  • Viele Soldaten liessen sich umteilen: Entweder in andere Truppengattungen oder Kompanien, welche nicht für den G8-Gipfel aufgeboten wurden, oder sie liessen sich von ihrem Einheitskommandanten versichern, während dieses WKs nur im rückwärtigen Bereich, beispielsweise in der Küche eingesetzt zu werden.
  • Auch für Soldaten, die einrücken, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, ihren Protest gegen den Militäreinsatz zum Ausdruck zu bringen. Wir haben unterdessen von verschiedenen Soldaten gehört, welche Aktionen während ihrer Dienstzeit diskutieren. Wir raten jedenfalls allen Armeeangehörigen, mit PACE-Fahnen ausgerüstet einzurücken. Befestigt am Fahrzeug, an den Fenstern der Truppenunterkunft, an der Richtstrahlschüssel oder einfach nur um die Hüften gehängt, sind solche Flaggen eine sehr praktikable Art, seine Ansichten über die Leute, die wir beschützen sollen, zu zeigen.

Conférence de presse du 20 mars 2003, Berne
Sébastien L’haire, permanence service civil et problèmes militaires du GSsA à Genève

Armée et G8. Situation en Suisse romande

Le Groupe pour une Suisse de Genève tient depuis de nombreuses années une permanence à Genève pour le service civil et autres problèmes militaires. Il s’agit de la principale permanence de Suisse romande qui donne des conseils dans toutes les situations, pas seulement sur le service civil.

C’est pourquoi nous avons décidé de relayer l’appel aux soldats de ne pas participer aux cours de répétition «G8» en utilisant tous les moyens légaux à leur disposition. Nous avons traité une trentaine de dossiers, par téléphone, par mail ou lors de visites à la permanence. Les personnes touchées provenaient d’à peu près partout en Suisse romande, de toutes les tranches d’âges. Comme l’information a été rendue accessible sur des sites Internet et que la presse a relayé l’appel, il est probable que de nombreux soldats se sont débrouillés par eux-mêmes sans nous contacter. Il nous a été malheureusement difficile de trouver un soldat qui veuille répondre aux nombreuses sollicitations de la presse et accepte de s’afficher contre le G8, même en prenant des précautions pour préserver son anonymat.

Les raisons invoquées par les militaires sont politiques et psychologiques. Les raisons politiques provenaient de personnes qui, sans avoir un engagement affirmé, ne veulent pas s’engager à la protection d’un sommet réunissant des personnalités aussi controversées que George W. Bush ou Tony Blair. L’idée de devoir participer au maintien de l’ordre face à des concitoyen-ne-s qui expriment démocratiquement leur opinion a également été rédhibitoire. Certains soldats ont même ouvertement affiché leur opposition face à cet engagement.

Le climat qui précède le sommet contribue aussi aux inquiétudes des soldats. Être engagés à l’aéroport aux côtés de professionnels surentraînés ou risquer d’être en contact avec des manifestants hostiles en portant une arme chargée provoque des craintes légitimes.

D’ordinaire déjà, les militaires ne se préoccupent pas des dates d’entrée en service. La décision d’engager des militaires est intervenue plutôt tardivement et les plannings initiaux ont été chamboulés. De nombreux soldats ont été pris de court par l’arrivée d’une convocation. Une première vague d’ordres de marche est arrivée aux alentours de la mi-mars. Mais il semble qu’une deuxième vague soit partie vers la mi-avril, suite à la décision d’augmenter les effectifs engagés. Le temps était très compté et les décisions, négatives pour la plupart à notre connaissance, ne sont tombées que très récemment pour ceux qui ont eu la chance d’en obtenir une.

Il est dès lors difficile d’estimer le succès de ces démarches. Comme les besoins effectifs de l’armée sont certainement largement en-deçà du nombre de soldats convoqués, il est à prévoir que des licenciements aient lieu sur place. Pour sa première intervention massive dans une mission de maintien de l’ordre, l’armée n’a pas intérêt à causer des problèmes professionnels aux soldats et à leurs employeurs; d’autre part, le succès de la mission exige que les soldats rechignent le moins possible à leur tâche.

Quant à nous, nous ne pouvons qu’exprimer notre refus de l’engagement de militaires dans un tel sommet, alors qu’ils ne sont pas suffisamment formés pour éviter tout problème en cas de contact direct avec des manifestants ou avec la population. Nous appelons les soldats à ne pas charger leurs armes et à faire preuve de retenu

Armeeeinsatz am G8 Gipfel in Evian, Medienkonferenz 20.5.2003
Redebeitrag von David Buchmann, GSoA

Der geplante Armeeeinsatz rund um den G8 Gipfel in Evian stellt eine neue Dimension militärischer Einsätze im Innern dar. Ungefähr 5600 Soldaten – plus 1000 Reserve – sollen es laut dem VBS sein – das Parlament hat aber darauf verzichtet, die Zahl zu begrenzen.

Es ist demokratiepolitisch höchst bedenklich, mit einem Riesenaufgebot an Soldaten auf die Kritik am Krieg und der rücksichtslosen Wirtschaftspolitik der reichen Industriestaaten zu reagieren.
Die Demonstration in Genf ist bewilligt. Solange Herren wie Bush und Blair mit ihrer Kriegs- und Ausbeutungspolitik fortfahren, ist gewaltfreier Protest ist richtig und nötig. Wir fordern die Behörden auf, die BürgerInnen, welche von Ihren Grundrechten Gebrauch machen, nicht zu behindern. Es ist falsch, diesen Protest zu kriminalisieren. Die massive Präsenz der Armee wird sowohl für die betroffene Bevölkerung als auch für die DemonstrantInnen eine bedrohliche Kriegsstimmung schaffen.

Der Einsatz von bewaffneten Soldaten setzt auf Eskalation. Falls es zu Spannungen oder kleineren Ausschreitungen kommt, ist um so mehr Deeskalation gefragt. Das erfordert Erfahrung und Fingerspitzengefühl – die Ausbildung der Soldaten hingegen richtet sich primär auf das Bekämpfen und Töten der “Gegner”. Und was passiert, wenn aggressive Soldaten nicht unter Kontrolle gehalten werden können?

Die Armee wurde früher schon gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Der schlimmste Vorfall ereignete sich 1932 in Genf, als völlig überforderte Soldaten auf eine antifaschistische Demonstration schossen – 13 Menschen wurden getötet, über 60 Verletzt. Auch später wurde die Armee noch mehrmals Aufgeboten. 1968 wurden Truppen wegen den Globus-Unruhen nach Zürich verlegt und mit Kriegsmunition ausgerüstet, kamen aber nicht zum Einsatz. Ebenfalls nur knapp konnte 1975 ein Militäreinsatz auf dem besetzten Gelände des geplanten AKW Kaiseraugst verhindert werden.

In den letzten Jahren fanden wieder eine Reihe von Armeeeinsätzen zu Bewachungsaufgaben statt, zum Beispiel für das World Economic Forum in Davos. In einem Interview mit der Sonntagszeitung vom 11. Mai machte Generalstabschef Keckeis klar, wohin die Reise gehen soll. Er forderte nicht nur ein Demonstrationsverbot während dem Gipfel, sondern ärgerte sich darüber, dass zwischen innerer Sicherheit (Polizei) und äusserer Sicherheit (Armee) klar unterschieden wird. Es steht also zu befürchten, dass solche Militäreinsätze in Zukunft nicht nur wiederholt werden, sondern dass die Armee dabei immer direkter gegen Demonstrierende eingesetzt wird.

Die GSoA lehnt die Ausweitung der Armee auf innere Aufgaben vehement ab. Ob es nun um Aushilfe im Asylbewerberheim, die Ski-WM oder eben Demonstrationen geht: Dazu braucht es keine Soldaten. Die ersten beiden Aufgaben können zum Beispiel von Zivildienstleistenden mindestens so gut ausgeführt werden, und um Demonstrationen zu begleiten braucht es eine fundierte und vielseitige Ausbildung.

Auch finanziell ist es unsinnig, wenn Personen mit ganz anderen Qualifikationen von ihrer Arbeitsstelle weggeholt werden, um den Verkehr zu Regeln oder ein Gebäude zu bewachen. Klar, die Kantone können Geld sparen, wenn die Armee “gratis” kommt. Aber dafür fallen diese Kosten beim Bund und bei den Arbeitsstellen an.

Armeeeinsatz am G8 Gipfel in Evian, Medienkonferenz 20.5.2003
Beitrag von David Böhner, Anti-WTO Koordination Bern

Die Regierungschefs der G8-Staaten kommen nach Evian. Als Folge davon wird die gesamte Region von bewaffneten Uniformierten überschwemmt. Frankreich bietet 18’000 Polizisten und Soldaten zum Schutz des Gipfels auf. In der Schweiz kommen 5400 Polizisten und bis zu 6600 Soldaten, sowie rund 1000 aus Deutschland importierte Polizisten zum Einsatz. So hat der Bundesrat entschieden.

Die Unzufriedenheit und die Wut über die herrschenden Verhältnisse der DemonstrantInnen, die nach Genf, Lausanne und Anemasse kommen werden, lässt sich nicht mit einem Aufblähen des Repressionsapparates beseitigen. Und das Überfluten einer ganzen Region mit bewaffneten Uniformierten entspricht auch nicht der Deeskaltionsstrategie, welche die Behörden vorgeben zu verfolgen. Im Gegenteil, dieses in der Schweiz noch nie dagewesene Aufgebot an Repressionskräften schürt im Vorfeld des G8-Gipfels ein Klima der Angst und der Unsicherheit und lässt Vergleiche mit der Situation vor dem G8-Gipfel in Genua vor zwei Jahren zu. Nach monatelanger Hetze der Berlusconi-Regierung ging die Polizei mit brutalsten Methoden gegen die DemonstrantInnen vor. Dutzende von Schwerverletzten und ein Toter waren die Folge.

Drei Tage nach dem Tod von Carlo Giuliani auf den Strassen von Genua schlug der deutsche Innenminister Otto Schilly seinen Amtskollegen in der EU vor, eine europäische Polizeitruppe zu gründen, die überall gegen DemonstrantInnen eingesetzt werden kann, was in der EU allerdings auf wenig Begeisterung stiess. Wenn schon nicht in Europa, darf nun Schillly seine Jungs in der Schweiz in den Einsatz schicken. Nach dem Testlauf in Landquart im Januar, als ein halbes Dutzend deutsche Wasserwerfer samt bayrischem Personal mitten im Winter auf Anti-WEF DemonstrantInnen losgelassen wurde, bedeutet das für Europa ein Präzedenzfall; noch nie zuvor waren an einem Gipfeltreffen Polizeitruppen aus anderen Ländern im Einsatz.

Vor einem Jahr hat der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger ohne zu zögern dem französischen Präsidenten Jacques Chirac Unterstützung bei der Organisation des G8 Gipfels zugesagt. Das Hin und Her über den Einsatz von Polizeikräften und Armee hat ein Klima geschaffen, das die Bevölkerung verunsichert und Polizeirepression zum Voraus legitimieren soll. Das Jammern über zuwenig verfügbare Polizeikräfte in der Schweiz lässt das aus Kostengründen fallengelassen USIS-Projekt wieder auferstehen. Das vom Bund und Kantonen gemeinsam verantwortete Projekt der Überprüfung des Systems der inneren Sicherheit kam zum Schluss, dass in der Schweiz rund 1000 Polizisten fehlen würden. Nun soll es wieder aus der Schublade herausgeholt werden.

Es braucht jedoch nicht mehr Polizisten um die Sicherheit in der Schweiz zu erhöhen, sondern eine solidarische Politik der Umverteilung zugunsten der Armen und sozial Schwachen. Undemokratische Treffen wie der G8-Gipfel oder das WEF sind Teil des Problems. Am G8 in Evian treffen sich Kriegstreiber und Sozialabbauer. Die G-8 behaupten zwar, die Armut in der Welt bekämpfen zu wollen, jedoch hat sich das Programm zum Schuldenerlass für die armen Länder als gänzlich unzureichend erwiesen und wird an verheerende Strukturanpassungsforderungen gekoppelt. Finanzzusagen gibt es in der Regel nur für Projekte, die sich für die eigene Selbstdarstellung der Geldgeber eignen. Geredet wird von Armutsbekämpfung, praktiziert wird bestenfalls ein karitativer Symbolismus. Die Schweiz sollte deshalb darauf verzichten, Kollaborateurin solcher fragwürdiger Treffen zu sein und aufhören weiter an der Repressionsschraube zu drehen.

Wir lassen uns nicht einschüchtern von der Hetze der Behörden und lassen uns nicht auf die militaristische Ebene ein, die von den “Sicherheitskräften” vorgegeben wird. Unser Protest gegen den G8 wird laut und kreativ und überraschend sein. Wir beteiligen uns an den Demonstrationen und an Aktionen des zivilen Ungehorsams, um den reibungslosen Ablauf des G8-Gipfels zu behindern und unterstützen all jene, die sich dem mörderischen G8-Apparat widersetzen.

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