In den letzten Wochen wurde viel über den «Armeesollbestand» debattiert: 60‘000, 80‘000, 100‘000 oder gar 120‘000 Soldaten. Wie viele Dienstpflichtige sind in den Augen der Armeebefürworter notwendig, und gegen welche Gefahren sollen uns diese Soldaten angeblich schützen?
Wer eine Versicherung abschliesst, der macht sich zuallererst Gedanken darüber, gegen welche Gefahren er sich absichern will. Wer befürchtet, dass seine Bildersammlung gestohlen werden könnte, der schliesst eine Diebstahlversicherung ab. Auf der anderen Seite wird jemand, der kein Auto besitzt, keine Autoversicherung abschliessen.
Grundsätzlich sollte die Diskussion über den Armeesollbestand nach einem ähnlichen Muster ablaufen: Es werden realistische Gefahrenszenarien entwickelt, um darauf basierend zu bestimmen, welche Mittel notwendig sind, um diesen Gefahren zu begegnen.
Dieses Muster scheint für die Schweizer Armee jedoch keine Gültigkeit zu haben. Die Entwicklung realistischer Gefahrenszenarien ist in der Diskussion ein kaum existenter Nebenschauplatz. Es gibt zwar einzelne Parlamentarier, die versuchen, der Armee mit Begriffen wie «Cyberwar» oder dem Hinweis auf die «sich überstürzenden Ereignisse in Nordafrika» eine Daseinsberechtigung zu verleihen, allerdings scheint niemand wirklich willens, solche Gefahrenszenarien vertieft zu diskutieren. Den meisten Armeebefürwortern ist sehr wohl bewusst, dass sich damit das Schweizer Massenheer nicht rechtfertigen lässt. Einig scheint man sich darin zu sein, dass sich die Armee nicht mit dem Argument der Landesverteidigung begründen lässt. Ein militärischer Angriff stehe in absehbarer Zeit nicht bevor, bemerkte selbst VBS-Vorsteher Ueli Mauer in der Debatte zum Armeebericht 2010.
Viel Luft – wenig Substanz
Wie ist es aber möglich, dass ein Parlament stundenlange Debatten über Armeesollbestände, militärische Ausrüstung und Finanzmittel führen kann, wenn gar nicht klar ist, gegen welche Gefahren diese Mittel eingesetzt werden sollen? Die Antwort fand, wer die Ständeratsdebatte in der Sommersession dieses Jahres verfolgte. Anstelle von Fakten und Analysen traten pathetische Worthülsen, die sich sonst in 1. August-Reden finden. So heisst es etwa, dass «eine eigenständige und neutrale Schweiz sich ihre Sicherheit etwas kosten lassen dürfe» oder dass «die Schweiz eine grosse Armee brauche, weil Neutralität und Sicherheit eben nicht zum Discountpreis erhältlich» seien. Ein anderer Parlamentarier versuchte seinen Argumentationsnotstand mit der simplen Formel «Sicherheit bedeutet letztendlich Wohlstand» zu umgehen.
Fazit: Die Tatsache, dass die Armee ohne Feind dasteht, ist und bleibt für die Armeebefürworter das grosse Problem. Anstelle von Fakten und Analysen treten schwammige Standardphrasen. Die Armeebefürworter befinden sich in der Situation des Versicherungsberaters, der seinem Kunden eine Autoversicherung verkaufen möchte, obwohl dieser gar kein Auto besitzt. Das Ärgerliche daran ist, dass dafür die Steuergelder von uns allen verschwendet werden.