Der Militärinterventionismus hat die Welt chaotischer gemacht. Die jüngsten Konflikte zeugen davon.
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges scheint die Welt aus den Fugen geraten. In Europa sind es vor allem die Ukraine-Krise und der Aufstieg des sogenannten «Islamischen Staates» (IS), der den Eindruck eines globalen Chaos schafft. Für beide Gewalteskalationen tragen der militärische Interventionismus und Expansionismus des Westens in den vorletzten beiden Jahrzehnten eine grosse Verantwortung.
Beginnen wir im Nahen Osten. Der barbarische Terror der sunnitischen Extremisten im Irak, in Syrien, aber auch in anderen Ländern wie Libyen und Tunesien ist eine direkte Folge des US-amerikanischen und britischen Überfalls auf den Irak 2003. Die völlige Entmachtung, Marginalisierung und Diskriminierung der sunnitischen Minderheit musste sich rächen. Organisiert und finanziert wurden die sunnitische Fundis durch den neben Israel wichtigsten Bündnispartner der USA: Saudi-Arabien. Dieses wird auch unterstützt durch Grossbritannien, Frankreich und die Schweizer Rüstungsexporteure.
Libyen und Syrien
Zum Aufstieg des «IS» trugen die Militarisierung und Konfessionalisierung des Widerstandes gegen die Assad-Tyrannei bei. Diese konnte sich auch deshalb halten, weil Russland und China Uno-Resolutionen und ein allfälliges militärisches Eingreifen mit ihren Vetos verhinderten. Warum taten sie das 2012, nachdem sie ein Jahr zuvor das Vorgehen gegen Gaddafi geduldet hatten? Die drei Nato-Staaten Frankreich, USA und Grossbritannien hatten die Libyen-Resolution, die bloss eine Flugverbotszone beinhaltete, missbraucht für ein aktives Eingreifen in den Bürgerkrieg. Diese Verletzung eines Beschlusses des Uno-Sicherheitsrates, den Russland und China indirekt mittrugen, machte diese misstrauisch. Das Eingreifen der Nato in den libyschen Bürgerkrieg hatte noch eine andere negative Folge: Weil sich die LibyerInnen nicht selber befreiten, verpassten sie die Chance, gemeinsam eine Nation zu begründen, deren Zusammenhalt ohnehin prekär war. Immanuel Kant, der Autor des «Ewigen Friedens», hat den militärischen Interventionismus abgelehnt, weil er um den Zusammenhang von kollektiver Selbstbefreiung und nationaler Mündigkeit wusste.
Die Vermittlungsbemühungen des ehemaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan scheiterten auch, weil die USA den Iran ausgeschlossen hatten. Das hat es dessen Bündnispartner Russland und China zusätzlich erschwert, eine konstruktive Rolle zu spielen. Die einzige Kraft, die fähig war, die Gewalteskalation in Syrien vor dem Auftreten des «IS» zu verhindern, war die Uno. Aber diese kann und will nur handeln, wenn der Iran einbezogen wird. Es ist ein Tragödie für den ganzen Nahen Osten kommt die Annäherung zwischen USA und Iran erst jetzt zustande. Was die Bekämpfung des «IS» betrifft, sagte Ban Ki-Moon: «Die stärksten Waffen gegen Terroristen sind nicht Raketen, sondern politische Lösungen, sind Jobs und Sozialprogramme.»
Kosovo und Krim
Kehren wir nach Europa zurück: Vor gut einem Jahr verteidigte der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder das Vorgehen Putins gegenüber der Krim mit den Aussagen, er selber habe 1999 mit der Beteiligung am Kosovokrieg «auch das Völkerrecht gebrochen». Und: «Der Kosovokrieg war die Blaupause für die Annexion der Krim.» Das Mitmachen der rotgrünen Regierung am Kosovokrieg hatte auch zu tun mit dem deutschen Traditionswort: «Serbien muss sterben». Bereits 1991 hatte die BRD Kroatien und Slowenien verfrüht und bedingungslos anerkannt, obwohl die Uno gewarnt hatte, dass ein solches Vorgehen «zu einem Blutbad in Bosnien-Herzegowina führen» könne. Die grösste europäische Macht, die BRD, war gegenüber der Uno nicht viel respektvoller als die USA und Grossbritannien.
Hier liegt der Ausgangspunkt der ganzen Fehlentwicklung: Das Ende des Kalten Krieges und erst recht die Auflösung des Warschauer Paktes 1991 stürzten die Nato in eine Existenzkrise. In dieser Situation bot sich der grossserbische Tyrann Milosevic als «Diabolus ex machina» an. Am Anfang des Balkankrieges standen eine Uno und eine OSZE, die dank ihrer Rolle bei der friedlichen Auflösung des Ostblocks ein hohes Ansehen genossen, was sie für die Nato umso gefährlicher machte. Am Schluss standen im Frühjahr 1999 der völkerrechtswidrige Kosovokrieg, die Verwandlung der Nato in ein globales Offensivbündnis und die Marginalisierung der Uno. Robert Kagan schrieb im neokonservativen Kultbuch «Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung», dass die «Existenzfähigkeit des Bündnisses» zu den «Hauptzielen der amerikanischen Intervention» im Kosovo gehört hat, «so wie die Erhaltung der Allianz ein Hauptmotiv der früheren Intervention der USA in Bosnien» gewesen ist. Der völkerrechtswidrige Irak-Krieg war eine Folge dieser Entwicklung.
Nato gegen OSZE
Gleichzeitig weitete sich die Nato in den Osten, also ins Territorium des ehemaligen Warschauer Paktes aus. Dabei hatten Bundeskanzler Helmut Kohl und die beiden Aussenminister Hans-Dietrich Genscher und James Baker ihren russischen Amtskollegen Michael Gorbatschow und Eduard Schewardnadse wiederholt versprochen, genau dies zu unterlassen. Der Nato-Expansionismus schwächte die OSZE, die europäische Regionalorganisation der Uno, und stärkte den russischen Nationalismus. Die Schweiz hat neutralitätswidrig dabei mitgemacht, indem sie 1996 der Nato-Partnership for Peace beitrat. Mit dem Rückenwind der Antikriegsbewegung, der ab Ende 2002 bis etwa 2009 wehte, gelang es der friedenspolitischen Linken in einer arithmetischen Allianz mit der SVP ein militärisches Mitmachen bei der Nato, das über die Swisscoy hinaus ging, zu verhindern. Nicht zuletzt dank der GSoA gibt es heute keine Schweizer Soldaten in Afghanistan oder Afrika.
Wie die Diskussion um die Transportflugzeuge zeigt, ist diese friedenspolitische Errungenschaft wieder in Frage gestellt. Dies ist umso bedenklicher, als die Bilanz des militärischen Interventionismus, insbesondere des «Kriegs gegen den Terror» eine Katastrophe ist.