Brief an die Abgeordneten des deutschen Bundestags

Krieg ist keine Lösung. Die Gewaltspirale durchbrechen!

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter,

Die Regierung mutet Ihnen mit dem Antrag auf Bereitstellung (und der folgenden Entsendung) der Bundeswehr für den Kriegseinsatz in Afghanistan eine schwere Entscheidung zu, die je nach dem Ausgang der Abstimmung verhängnisvolle Folgen haben kann. Sie sollen die Bundeswehr in einen Krieg senden, der sich bereits als das gefährliche militärische Abenteuer herausgestellt hat, das selbst bei uneingeschränkter Solidarität mit den USA laut Kanzler Schröder angeblich nicht eingegangen werden sollte.

Wir erinnern an die bisherigen fatalen Folgen des Krieges gegen Afghanistan: Die vielen Bombenopfer, die humanitäre Katastrophe durch Flucht und Ausbleiben der Hilfslieferungen, die erneute Stärkung des menschenverachtenden Taliban-Regimes, die Destabilisierung und Entzweihung der Völker in der Region, die Stilisierung von Bin Laden zum Held vieler Menschen in der islamischen Welt und die Erzeugung neuen Hasses gegen die USA und den Westen und vermutlich vieler neuer zum Selbstmordattentat bereiter Terroristen.

Der Bombenkrieg ist ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus. Mit Flächenbombardements und der Verwendung von völkerrechtlich geächteten Streubomben nehmen die USA und Grossbritannien immer mehr zivile Opfer in Kauf, bringen das gespaltene Pakistan an den Rand des Bürgerkrieges und werden auch die von ihnen selbst nach den furchtbaren Anschlägen vom 11. September geschmiedete politische Allianz gegen den Terrorismus zerstören. Statt Gewalt und Terror zu bekämpfen dreht der Krieg an der Gewaltspirale, zerstört Leben und Zukunft in der Region und gefährdet auch die Menschen in der westlichen Welt. Hier in den Krieg einzusteigen statt mäßigend auf die amerikanischen Freunde einzuwirken ist auch ein Verstoß gegen den Auftrag, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Wir bitten Sie dringend, diesen verhängnisvollen Weg nicht zu beschreiten und stattdessen Wege aus der Gewaltspirale zu suchen. Organisationen der Friedensbewegung haben bereits in den ersten Appellen nach dem 11. September und bei vielen Kundgebungen tauglichere und konstruktivere Wege zur Überwindung des Terrorismus aufgezeigt. Ein Verzicht auf US-Selbstjustiz und eine Strafverfolgung der Täter und Drahtzieher wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof würde auf sehr viel mehr Zustimmung in der islamischen Welt stoßen und bei Federführung der UN von allen Staaten uneingeschränkt unterstützt werden können. Sollten die Beweise für eine Anklageerhebung reichen könnten Osama Bin Laden und viele Angehörige des El Quaida-Netzwerkes in absehbarer Zeit vor Gericht stehen. Die Strafverfolgung von Terrorristen darf nicht zum Vorwand für einen Krieg werden, der viele Tausend weitere Todesopfer in Kauf nimmt und die Gefahr weiterer unkontrollierbarer Eskalation mit sich bringt. Eilig ist dagegen eine schnelle internationale Hilfe für die Menschen in Afghanistan, die unter Kriegsbedingungen nicht möglich ist.

Dringend ist auch die Verhütung weiterer Terroranschläge. Den Terrornetzen muss jede Unterstützung entzogen und dies auch innerhalb der islamischen Gesellschaften breit getragen werden. Dafür braucht es glaubhafte Signale an die Menschen, dass die reichen und mächtigen Staaten ihre globale Wirtschaftspolitik ändern, auf Durchsetzung ihrer Machtinteressen zu Gunsten gleichberechtigter Kooperation verzichten und die sozialen Folgen der Globalisierung mildern. Tony Blair hat die Notwendigkeit einer solchen politischen Zäsur in seiner Parteitagsrede ausgedrückt und zutreffend formuliert, dass aus dieser Krise eine «neue gerechtere Welt hervorgehen» müsse. Dies und ein massives politisches Engagement für eine Friedenslösung des Palästina-Israel-Konfliktes könnte die Feindbilder abbauen helfen, auf die Terroristen bauen. So kann den terroristischen Symbolfiguren der Rückhalt entzogen werden, den sie jetzt bei einem Teil der Verelendeten und Unterdrückten geniessen, die sie zu einem «Kampf der Kulturen» aufhetzen wollen.

Mit einer Beteiligung am Krieg in Afghanistan würde die Bundesrepublik dem Terrorismus in die Hände spielen und die Gewaltspirale ankurbeln. Mit einem Engagement für die leidende Bevölkerung vor Ort, für den Dialog der Kulturen und eine gerechtere Wirtschaftspolitik dagegen könnten Brücken gebaut und auch langfristig die tieferen Ursachen des Terrorismus überwunden werden. Beides zusammen geht nicht.

Wir bitten Sie nochmals eindringlich bei dieser für die Menschen im im Nahen Osten und in Zentralasien wie hierzulande einschneidenden Entscheidung mit Ihrem Nein zur Entsendung der Bundeswehr in den Krieg massiven Schaden abzuwenden.

Mit freundlichen Grüßen
(Unterzeichende Organisationen)
f.d.R.: Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative

Dieser Brief wurde vom Netzwerk Friedenskooperative an die Bundestags-Abgeordneten gesandt, anlässlich der Debatte vom 8.11. über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in den Afghanistan-Krieg. Emailadressen dieser Organisation sind: friekoop@bonn.comlink.org und fforum@aol.com

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