Das inexistente Alimentierungsproblem

Die Armee klagt schon lange über ihr angebliches Bestandsproblem. Der Schuldige ist klar: der Zivildienst. Wagt man sich aber in die Zahlenbeigerei des VBS, so merkt man schnell, dass das Problem konstruiert, um nicht zu sagen, inexistent ist.

Gleich vorneweg: Dieser Artikel reicht nicht, um das ganze Spiel des VBS mit den Bestandszahlen darzulegen. Auf www.gsoa.ch finden Sie einen ausführlicheren Beitrag zu diesem Thema.

Das VBS schreibt schon seit Jahren, dass die Armee ein Alimentierungsproblem hat, welches sich bis Ende des Jahrzehnts verschärfen soll. Im Dezember deckte das Onlinemagazin Republik jedoch auf, dass der aktuelle Effektivbestand der Armee mit 151’299 Angehörigen (Auszählung 2022) widerrechtlich zu gross ist. Gesetzlicher Maximalbestand ist nämlich 140’000. Gemäss den Reaktionen von mehreren Sicherheitspolitiker*innen, wie auch VBS-Vorsteherin Viola Amherd, muss leider angenommen werden, dass kaum jemand diese Überschreitung des Effektivbestands auf dem Schirm hatte. Das hielt das VBS aber nicht davon ab, ständig von einem Alimentierungsproblem zu reden und Massnahmen beim Zivildienst zu fordern. Erst gerade an der Sommersession wurden zwei Berichte zur Alimentierung von Armee und Zivilschutz diskutiert, während der Effektivbestand der Armee widerrechtlich zu gross ist. Allein das ist an Absurdität eigentlich kaum zu überbieten.

Die Zahlenbeigerei des VBS

Nun ist der Einwand, dass aufgrund von in der Vergangenheit beschlossenen Massnahmen 2028 und 2029 jeweils ein Jahrgang mehr aus der Armee entlassen wird als üblich. Gemäss VBS sind das 12’000 Personen pro Jahrgang. Seine Prognose sieht vor, dass der Effektivbestand bis 2024 auf 157’000 ansteigt, anschliessend bis 2028 ungefähr so verbleibt und bis 2030 auf 123’000 sinkt. Wieso das VBS zu den 24’000, die entlassen werden, noch weitere 10’000 abzieht (Differenz von 157’000 und 123’000 beträgt 34’000), bleibt wohl ein Geheimnis. Doch dieser Unstimmigkeit gehen zwei weitere, zentrale und unerklärliche Punkte voraus:
1. Die Armee sieht ab 2024 bis 2028 kein Wachstum mehr vor. Seit das neueste Armeemodell «Weiterentwicklung der Armee» (WEA) 2018 eingeführt wurde, wuchs die Armee durchschnittlich jährlich um 4’000 Personen. Es gibt keine Anzeichen, dass dieses Wachstum stoppen wird. Im Gegenteil: Der Zivildienst soll geschwächt, die Armee attraktiviert und zudem mehr Frauen ins Boot geholt werden. All das und auch die demografischen Angaben lassen auf weiteres Wachstum schliessen.
2. Das VBS rechnet mit 12’000 Personen pro entlassenem Jahrgang. In den vergangenen Jahren waren es jedoch zwischen 7’000 und 8’000. Wieso es bei diesen Jahrgängen plötzlich 4’000-5’000 Armeeangehörige mehr sein sollten, wird nicht erläutert.

Nehmen wir an, dass das sich das jährliche Wachstum von 4’000 Angehörigen pro Jahr fortsetzt und dass bei den entlassenen Jahrgängen nur 10’000 Angehörige entlassen werden (das ist immer noch sehr grosszügig), dann kommen wir auf einen Effektivbestand von 159’000 im Jahr 2030. Man kann das durchaus als Milchbüchleinrechnung bezeichnen, immerhin erklären wir aber unsere verwendeten Zahlen. Das VBS tut das effektiv nirgends, auch auf mehrfache Nachfrage und Konfrontation mit den Prognosen unsererseits wurde nicht reagiert.

Schweigen ist Gold

Die Kommunikation des VBS in dieser Sache lässt einem den Kopf schütteln. Es wurde mehrfach mit dem illegalen Überbestand konfrontiert und auf die unerklärten Zahlen hingewiesen. Doch es hält an seinem Narrativ fest und leider folgen die bürgerlichen Parteien: Die Armee hat ein Problem und der Zivildienst muss dafür herhalten. Dass aktuell ein gesetzeswidriger Überbestand vorliegt, der auch gemäss Prognosen des VBS bis 2028 anhalten soll, wurde vom Bundesrat kaum kommentiert. Eigentlich ein Skandal. Immerhin hiess es im Bericht zur Umsetzung der WEA, dass die beiden zusätzlich zu entlassenden Jahrgänge früher vorgenommen werden sollen. Doch auch in diesem Bericht, der Anfang Juni erschien, wird nicht auf den Überbestand eingegangen, die Widerrechtlichkeit wird verschwiegen, es wird weiter behauptet, dass die Armee ein Problem hat. Die willkürlichen Prognosen werden weiterhin nicht erläutert, es wird einfach stur wiederholt und in die Köpfe eingebrannt, dass der Armee die Leute ausgehen.

Sündenbock Zivildienst

Wenn die Armee einfach rein gar nichts unternehmen würde, müsste sie sich eher Gedanken machen, wie der Überbestand abgebaut und künftig verhindert werden kann, anstatt den Zivildienst ständig anzugreifen. Es ist ja aber kein Geheimnis, dass der Zivildienst der Armee und ihrer politischen Lobby ein Dorn im Auge ist, den man am liebsten ganz abschaffen will. Hierbei sei erwähnt, dass die Abgänge in den Zivildienst seit Jahren stabil sind und nicht zunehmen. Doch seit Putins Angriffskrieg kann sich die Armee praktisch jede politische Forderung erlauben. Wir haben das beispielsweise schon beim absurd hohen Armeebudget gesehen, wo niemand so wirklich weiss wohin damit und weswegen nun überall im Staatshaushalt gespart werden muss. Der Umgang mit dem Überbestand der Armee lässt leider keinen anderen Schluss zu, als dass sich die Armee nicht an das Gesetz halten muss. Und wenn die Armee wirklich ein Alimentierungsproblem hätte, täte sie gut daran, bei sich selbst anzufangen. Vielleicht könnte man hinterfragen, ob sie wirklich 140’000 Angehörige braucht. Man könnte sich auch fragen, wieso gewisse Soldaten lieber einen Dienst für die Allgemeinheit leisten, als stundenlang rumzusitzen und von irgendwelchen Leuten in Uniform angeschrien zu werden. 

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