Bremsen die BaslerInnen? Seit Beginn der Diskussion um eine neue Abschaffungsinitiative lassen sich Mitglieder der Regionalgruppe Basel verlauten mit Titeln wie <Eile mit Weile> (Echo 1/96,) <Mit Siebenmeilenstiefeln .> (GSoA-Zitig Nr.63) und der Aussage <So geht es nicht!> (GSoA- Zitig Extra Nr.64). Wo liegen die Probleme der Nordwestschweiz? Wird hier eine alte Kiste zwischen Zürich und Basel aufgewärmt? Wäre dem so, könnte getrost zur Tagesordnung übergegangen werden, aber die Sache ist nicht so einfach. Das heutige Stadium der Diskussion wird offiziell als ‘Vernehmlassung’ bezeichnet. Diese hat zum Ziel, einerseits mögliche Inhalte eines neuen Initiativpaketes zu diskutieren und andererseits politisch zu analysieren, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit ein Plebiszit überhaupt Sinn macht. Es wird im folgenden zu zeigen sein, dass der Zeitfaktor sehr eng mit beiden genannten Zielen der Vernehmlassung zusammenhängt.
Wir ziehen die Sitzung vor
Ein Beispiel, das sachlich zu verschmerzen, als Symptom aber um so ernster zu nehmen ist, mag diesen Zusammenhang illustrieren: Am 31. März findet in Solothurn die VV statt, die den weiteren Verlauf der Debatte in wichtigen Punkten vorstrukturiert. Einen Tag später verschickt R. eine Einladung an die Mitglieder der Koordination. Der Text – er sei bereits mit weiteren Leuten vorbesprochen – enthält eine Reihe detaillierter und teilweise brisanter Vorschläge und die Mitteilung, die Koordination werde vorgezogen, um ‘den Schwung vom Sonntag’ aufzunehmen. Zwei Tage später beginnen die Osterfeiertage, und wer (wie der Schreibende) eine Brücke macht, um irgendwo an der Wärme ein paar Ostereier zu verstecken und sich ein bisschen zu erholen, der bekommt die Einladung zur Sitzung vom 13. am 9. März. Bleiben drei Tage, um . ja um was zu tun?
Profis und Elefanten
Es versteht sich von selbst, dass dieser Rhythmus – der schon im ursprünglichen Vorschlag der AG anklang, und an der VV (aus welchen Gründen auch immer) leicht modifiziert wurde – nicht allen erlaubt, mitzuhalten, auch dann nicht, wenn es ihnen wichtig wäre. Wer kann denn mithalten? Es sind drei Arten von GSoA-Mitgliedern, die das können: Erstens jene, die Politik ganz oder teilweise als Beruf ausüben, zweitens diejenigen, die sich in relativ eng umschriebenen informellen Gruppen bewegen und drittens diejenigen, die auch ‘für sich selbst’ jemand sind (intern liebevoll-misstrauisch ‘die Elefanten’ genannt), d.h. die auch ohne gsoatische Strukturen aus den verschiedensten Gründen Gewicht haben. Ebenso klar ist, wer nicht mithalten kann: Eine Regionalgruppe ist von ihrer Struktur her schwerfälliger als thematische Arbeitsgruppen. Es dauert, bis sie eingeladen ist, sie hat ihren festen Sitzungsrhythmus, kurz, es war im beschriebenen Beispiel unmöglich, sich im vorgegebenen Zeitrahmen als Regionalgruppe zu treffen, ge- schweige denn, eine Position zu erarbeiten. Und auch ein Individuum, das nicht zu den oben beschriebenen Kategorien gehört, könnte dies nicht leisten. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Die GSoA braucht (Halb-)Profis und Elefanten. Nur sollte eine Organisation, die sich auf Basisdemokratie beruft, alles daran setzen, dass immer mehr Leute und Gruppen in die Lage kommen, inhaltliche Beiträge zu leisten. Das be- schriebene Vorgehen – es gäbe weitere Beispiele – bewirkt das Gegenteil: Es macht die Unterschiede grösser und fördert eine Diskussion unter wenigen Exponenten, in der die Regionalgruppen lediglich eine untergeordnete Rolle spielen. Dass sie dies nicht tun, erachte ich als eine der wichtigeren Voraussetzungen für den definitiven Entscheid (s.u.). Diese Funktionsweise findet übrigens ihre Entsprechung in der Art, wie sich die bürgerliche Presse für die GSoA interessiert. Ob die ‘Gründerväter’ wohl austreten? Gewinnt ‘die Basis’ gegen ‘die Profis’? Setzen sich ‘die Jungen’ durch?
Regionalgruppen auf- und ausbauen
All diese Konzepte sind zwar süffig, aber sie verschleiern mehr als sie erklären. So sassen auf beiden Seiten sowohl ‘Alte’ wie ‘Junge’, und diejenigen, die sich in die öffentliche Diskussion einschalteten, gehörten tendenziell eh zu denen, die – wenn schon die NZZ-Formulierung bemüht werden soll – als ‘Profis’ zu bezeichnen wären. Mit dem vielleicht etwas überstrapazierten Beispiel wird deutlich, dass der Zeitfaktor mindestens zwei wichtige Dimensionen beinhaltet: Zeit beeinflusst die Breite der möglichen TrägerInnen der Diskussion und hat damit einen demokratischen Aspekt. Und sie trägt dazu bei, dass inhaltlich durchdachtere und breiter abgestützte Vorschläge gemacht werden können. Zeit zur Entwicklung der Diskussionen zu haben ist deshalb nicht nur aus inhaltlichen Gründen unabdingbar, sie ist auch nötig, damit die GSoA ihrem radikaldemokratischen Anspruch genügen kann. Dazu gehört eine ausgewogene(re) Entwicklung der Regionen, deren Bedeutung und Einflussnahme heute zu gering ist. Die GSoA wird nicht darum herum kommen, die Regionen in diesem Prozess aktiv und u.U. auch mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, und zwar nicht nur diejenigen, die noch über eigene Strukturen verfügen – dort ist es einfacher -, sondern auch jene, in denen momentan Funkstille herrscht. Diese Hilfe darf keinesfalls technokratischer Art sein im Sinne von schnellerem Funktionieren. Sie soll politische Entwicklung und Kompetenzsteigerung bewirken. Sie ist noch aus einem weiteren Grund wichtig: Starke Regio- nalgruppen sind unabdingbar in einer Situation, in der weniger als vor 10 Jahren mit der Entwicklung einer Bewegungsdynamik gerechnet werden kann. In der Diskussion um den Zeitpunkt der Lancierung taucht mit grosser Regelmässigkeit das Argument, dass die Lancierung selbst eine Eigendynamik auslöse. Das Argument stützt sich auf die Erfahrung der GSoAI und übersieht dabei zwei zentrale Punkte: In der damaligen Wahrnehmung war die GSoA ein Haufen von frechen Nobodies, die ein Tabu brachen und die gleichzeitg auf der politischen Welle der Abrüstungsdiskussion und des absehbaren Zusammenbruchs der sozialistischen Länder surften. In der heutigen Wahrnehmung ist die GSoA ein Apparat, von dem erwartet wird, dass er handelt. Wer für die GSoA Telefonberatung macht, weiss, was das bedeutet: Mann erwartet, dass die GSoA für einen die Armee abschafft, oder einen doch zumindest rausholt. Ich wurde schon telefonisch beauftragt, auf Samstag Kniespezialisten zu organisieren, die X untauglich schreiben könnten, und es ist nicht allzulange her, seit ich nach Geschäften gefragt wurde, die gute Haarnetze (für den WK) verkaufen. Die GSoA ist nicht nur in der Wahrnehmung der andern ein Apparat, sie gibt sich bisweilen auch so: Sie spricht lockerst Kredite von zigtausend Franken, unser Kassier spricht öffentlich von Riesenspenden, und unsere Exponenten werden von Journalisten auf Auslandreisen begleitet. Dieser ‘Apparat’, dem bei der F/A-18-Kampagne auch von Bürgerlichen einige Bewunderung entgegengebracht wurde (‘generalstabsmässige Organisation’ .), hat es erlaubt, auch in flauen Zeiten zu überleben, und er ist nicht ge- ringzuschätzen. Aber er ist! Und weil die GSoA auch in der öffentlichen Wahrnehmung mindestens teilweise als solcher erscheint, lässt sich aus sozialpsychologischer Erfahrung voraussehen, dass wenig Anlass zur Hoffnung auf eine ebenso spontane Entwicklung besteht wie bei der GSoAI. Umso wichtiger ist in dieser Situation die Existenz funktionierender und an ihre Einflussmöglichkeit glaubender Regionalgruppen. Dass daneben auch der politische Mainstream gegen eine vergleichbare Spontaneität spricht, lässt sich unter anderem am internen Zustand der GSoA ablesen.
Mehr Zeit!
Dieser interne Zustand – der Wille, Richtung Abschaffung voranzugehen bei gleichzeitiger inhaltlicher Unsicherheit und regionaler Schwäche – muss behoben werden, wenn eine GSoAII nicht zum Eigentor werden soll. Dazu braucht es nicht die Entdeckung der Langsamkeit, aber auch nicht das Gegenteil. Die Regionalgruppe Basel hat den Tatbeweis dafür geliefert, dass bremsen nicht gleich blockieren ist. Heute zu bremsen bedeutet einerseits, die Abschaffungsdiskussion ernst zu nehmen. Aber man könnte mit mindestens gleichem Recht den Rechtfertigungszwang auch der andern Seite aufbürden und mit Eva Richner in der GSoA- Extra-Ausgabe fragen: «Pardon, excusez . warum pressiert das alles so?»