Das prangern wir an (VI): Das Konzept Mann

Stehaufmännchen

Dem Thema «Militär Macht – Macht Männer» hat der Schweizerische Friedensrat seine diesjährige Ratstagung in Basel gewidmet.

Es ist nicht selbstverständlich, wenn an einem sonnigen Samstag nachmittag im Mai mehr als siebzig Männer und Frauen ins kühle und feuchte Interieur der Kulturwerkstatt Kaserne in Basel strömen und sich Referate über «militärische Sozialisation» und das «Konzept Mann» anhören. Und wenn nach über drei Stunden Film und Vorträgen noch eine lebhafte und kontroverse Diskussion unter den Teilnehmenden entbrennt, dann darf mit Recht von einem stimulierenden Anlass die Rede sein.

«Gemachte Männer»

Den Auftakt machte die Erstaufführung des Dokumentarfilmes «Gemachte Männer» von Sibylle Ott und Klaus Affolter, welche die Infanterie-Rekrutenschule 204/96 einen Sommer lang mit der Kamera begleitet hatten. Während der Schulkommandant am Ende der RS von der «tollen Kameradschaft» schwärmte, meinte ein Soldat nachdenklich: «Die Zeit hier prägt einem schon. Sie hinterlässt Spuren.» Wie aber wirkt die Armee auf die jungen Männer, die während fünfzehn Wochen korrektes Grüssen lernen («Daumen nicht abspreizen!»), Gewehrverschlüsse zerlegen und Handgranaten werfen? Und was geschieht mit dem Militär als der «letzten männlichen Bastion» (Karl Jaspers), wenn seit der Armeereform 95 auch Frauen alle militärischen Kaderstufen offenstehen?

Militärische Sozialisation

Solchen Fragen nahm sich Anja Seiffert vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in Berlin in ihrem Vortrag an. Sie zeichnete ein differenziertes Bild der gegenwärtigen Bestrebungen, eine weitere Öffnung der Streitkräfte für Frauen voranzutreiben: «Die Frage der Militärtauglichkeit von Frauen ist längst ad acta zu legen. Frauen haben zu allen Zeiten und in fast allen Armeen hinlänglich gezeigt, dass sie, ebenso wie Männer, in der Lage sind zu kämpfen.» Allerdings bezweifle sie, dass durch den Einbezug von Frauen in das Militär eine grundlegende Änderung der männlich geprägten militärischen Strukturen erreicht werden könne: «Das Beispiel Israel widerlegt diesen Mythos.»

Aufgrund ihrer Analyse von Jahresarbeiten angehender Generalstabsoffiziere der deutschen Bundeswehr ging Seiffert der Frage nach, wie die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit gesellschaftlich konstruiert sind und im Militär eine besondere Ausprägung erfahren. «Soldatische Tugenden» seien dem Mann nicht von Natur aus gegeben, sondern müssten während der militärischen Sozialisation erworben, ausgebildet und generalisiert werden. Verlaufe dieser Sozialisationsprozess erfolgreich im Sinne des Militärs, so stehe der männlich definierten Soldatenrolle das Bild einer ‹schwachen› Weiblichkeit diametral gegenüber und liefere somit den männlichen Mitgliedern gleich noch das Verteidigungsmotiv. Es sei denn auch nicht verwunderlich, wenn Deserteuren in den Jahresarbeiten «mangelndes Selbstvertrauen» und «schwächere Hassgefühle gegenüber dem Gegner» bescheinigt werden. Ausgeblendet werde in dieser Argumentation, so Seiffert, dass gerade der Widerstand gegenüber Vorgesetzten und gruppendynamischen Prozessen enorme physische und psychische Anstrengungen erfordere.

«Konzept Mann»

«Es gibt keine Männer!» Mit dieser Provokation eröffnete der Winterthurer Journalist und Schriftsteller Jürgmeier seinen Vortrag. Männliche Identität sei immer gefährdet und werde mit mörderischen oder selbstmörderischen Praktiken stabilisiert: «Alkohol, Gesten sexueller Potenz und Gewalt machen den Mann zum Mann.» Darum erfahre selbst der Serienkiller noch mehr oder weniger unverhüllte Bewunderung durch die Gesellschaft.

Eine Memme, wer Gewehr und Schwanz nicht hochbringe. Die möglicherweise tödliche Potenzpille Viagra erfülle somit einen uralten Männertraum: «Stehend im Bett den Heldentod sterben!»

Sogar im Dienstverweigerer erblickt Jürgmeier abermals den starken Mann, der es nicht wage zu sagen: «Ich habe Angst.» Denn dies sei der Kern männlicher Sozialisation: die Verdrängung von Angst. Der ständige Versuch, das Unberechenbare auch noch zu kontrollieren und somit Macht über die Wirklichkeit zu gewinnen (ver-)führe letztlich zum Griff nach dem «Zauberstab Gewalt». Jürgmeier prangert dieses «Konzept Mann» als Zumutung an. Und er plädiert für Männer, die den Mut aufbringen, Angst zuzulassen und Liebe, Erotik und Leidenschaft nicht länger nur auf die Frauen zu projizieren. Dann, endlich, werde der Mann zum Menschen.

Otto Raffai ist Theologe und engagiert sich in der Antikriegskampagne Kroatien (ARK) sowie dem Programm «Miramida» («Mir» heisst Frieden), welches Studien zu Gewaltfreiheit und Friedensförderung betreibt. «Wir wollen mit derartigen Angeboten Prävention betreiben», so Raffai. «Während des Krieges wurden wir gefragt, wo die Friedensbewegung sei. Nun, nach dem Krieg, ist wiederum wenig Interesse vorhanden, wenn sich die Friedensbewegung dafür einsetzt, dass Konflikte auf eine andere Art als mit Gewalt gelöst werden.» Weil es jedoch keine gewaltfreien Blitzlösungen gibt, wenn Konflikte bereits eskaliert sind – und erst recht keine militärischen Lösungen – sei der unermüdliche Einsatz für friedliche Verständigung die einzige Perspektive. Nur so könne eine Gesellschaft die Stärke aufbauen, Konflikte ohne Gewalt zu bearbeiten.

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