Nachdem der Nationalrat in der Sommersession überraschenderweise das neuste Kapitel in der Fortsetzungsgeschichte der Armeereform abgelehnt hat, steht Ueli Maurer vor einem Scherbenhaufen. Da der Reform keine adäquate Bedrohungsanalyse und kein sinnvolles Sicherheitskonzept zugrunde lag, ist dies nur folgerichtig. Die Armee befindet sich damit auch weiterhin in einer tiefen Krise.
Es war einmal ein VBS-Vorsteher, der sich unbedingt profilieren wollte. Also beschloss er, seinem Lieblingsspielzeug einen neuen kosmetischen Anstrich zu geben. Dabei vergass er zu beachten, dass es schon längst auf den Müllhaufen der Geschichte gehören würde. Plötzlich aber verweigerten ihm seine Freunde den Gehorsam. Der arme Ueli musste mitansehen, wie niemand so richtig mit dem neuen alten Spielzeug zufrieden war. Und wenn er nicht gestorben ist, dann wurstelt er auch heute noch. So ungefähr könnte der bisherige Prozess rund um die Weiterentwicklung der Armee (WEA) beschrieben werden. Dabei hatte das Verteidigungsdepartement (VBS) zu Beginn seine längst fälligen Hausaufgaben eigentlich erledigt. Mit dem Sicherheitspolitischen Bericht von 2010 konstatierte der Bundesrat erheblichen Reformbedarf bei der Armee. Es bedürfe einer «Akzentverschiebung», da eine Verteidigung gegen einen äusseren Feind nicht mehr Teil der aktuellen Bedrohungslage sei. Für die «Kompetenz für die Abwehr eines militärischen Angriffs» soll, so der Bundesrat 2010, nur noch ein «quantitativ minimale[s]» System erhalten bleiben. Eine Reduktion der Angehörigen der Armee (AdA) sei zudem aus demographischen Gründen nicht zu verhindern. Aufbauend auf diesem Bericht wurde der Handlungsbedarf im selben Jahr im Armeebericht 2010 konkretisiert. Dieser hielt fest, dass die Struktur der Armee «überdimensioniert und nicht alimentierbar» sei, und die wahrscheinlichste Herausforderung eine subsidiäre Unterstützung der zivilen Behörden sei, die jedoch «rein zivilen Charakter» habe und «nicht zwingend durch bewaffnete Verbände erfüllt werden» müsse. Bedrohungsszenarien bleiben jedoch auch weiterhin vage und unrealistisch, abgesehen von (Natur-)Katastrophen. Entsprechend sind nur noch rund 20’000 AdA für den Erhalt der Verteidigungskompetenz vorgesehen (total: 80’000). Es wird ein Finanzbedarf von 4,4 Milliarden Franken pro Jahr prognostiziert. Heute sind wir bei 220’000 AdA und rund 4,7 Milliarden.
Die WEA als zeitgemässe Armeereform?
Ein paar Jahre später, bei der Präsentation der WEA-Vorlage, hatten der Bundesrat und das Parlament aber eine Kehrtwende vollzogen. Plötzlich seien angeblich 140’000 AdA notwendig und die Armee brauche jährlich fünf Milliarden Franken. Eingesetzt werden sollen all diese Leute, ausgerüstet mit den modernsten High-Tech-Waffen, vor allem im Inneren. So ermöglicht die WEA einen Einsatz der Armee im Inland, und zwar sowohl bei «Tätigkeiten von öffentlichem Interesse», als auch bei «Veranstaltungen von nationaler Bedeutung». Das klingt nicht nur schwammig, sondern ist die gesetzliche Basis dafür, die Armee überall, wo es den Kantonen und dem VBS gerade passt, einzusetzen. Zudem sieht das Gesetz explizit vor, dass diese AdA auch bewaffnet eingesetzt werden können.
Die Konsequenz aus dem Sicherheitspolitischen Bericht und dem Armeebericht wäre, die Armee aufgrund der nicht vorhandenen militärischen Bedrohung massiv zu reduzieren, und damit Geld für die zivilen Herausforderungen der Schweiz, sei das Katastrophenschutz, Sicherung der Sozialwerke oder Klimawandel, bereitzustellen. Mit der WEA wird jedoch der Versuch unternommen, eine High-Tech-Armee zu schaffen, für die mit Einsätzen gegen die eigene Bevölkerung ein Sinn und Verwendungszweck gebastelt werden soll.
WEA im Parlament abgestürzt
Während Maurer bei anderen sicherheitspolitischen Geschäften meist auf den Kadavergehorsam seiner Fraktion und der anderen ewiggestrigen Stahlhelme zählen konnte, ist er diesmal damit gescheitert. Sein Versuch, sich mit Auslandeinsätzen beim Nato-Flügel der SP anzubiedern, während er durch den Effektivbestand von 140’000 AdA und einem Budget von fünf Milliarden die Bürgerlichen ruhig stellen wollte, hatte keinen Erfolg. Statt es allen ein wenig Recht zu machen, hat er da- mit erreicht, dass sowohl die Linke als auch die Bürgerlichen irgendetwas fanden, das ihnen zutiefst missfiel, womit der Nationalrat nach über sechs Stunden Debatte beschloss, das Gesamtkonzept abzulehnen.
Auch wenn bei diesem Entscheid vor allem die Frage, wie viel die Armee denn kosten soll, im Zentrum stand, so steht das Ergebnis doch symbolisch für die tiefe und anhaltende Sinnkrise der Schweizer Armee. Diese kann jedoch nicht mit minimalistischen Schrittchen à la WEA überwunden werden, sondern bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes. Es ist jedoch zu befürchten, dass die WEA trotz der angesprochenen Probleme in der zweiten Runde doch noch vom Parlament angenommen wird. Damit würde sie endgültig von der Farce zur Tragödie.