In der Schweiz übernimmt die Armee immer mehr Polizeiaufgaben, und in Europa militarisiert sich die Polizei zusehends. Eine Bestandsaufnahme der Strukturen und Tendenzen im Bereich der Aufstandsbekämpfung.
In Frankfurt am Main zeigte sich im Juni 2013, wie die Staatsmacht auf kritische Bewegungen, welche die herrschenden Verhältnisse grundlegend in Frage stellen, reagiert. Das kapitalismuskritische Blockupybündnis rief zum Krisenprotest ins «Herz der Bestie». Mit kreativen Massenblockaden und einer Grossdemonstration wollten die AktivistInnen auf die menschenverachtende Krisenpolitik der Troika (IWF, EZB und EU-Kommission) aufmerksam machen. Ein durchmilitarisiertes Polizeiaufgebot knüppelte die Grossdemonstration nieder und erstickte sie im Keim. 942 Personen wurden am 1. Juni 2013 an der bewilligten Blockupy-Demonstration für neun Stunden eingekesselt, erkennungsdienstlich behandelt und des Platzes verwiesen. Etliche Personen wurden verletzt, darunter auch Medienschaffende und ParlamentarierInnen, die zur Beobachtung vor Ort waren. Das äusserst brutale Vorgehen schockierte viele und wurde sogar von der bürgerlichen Presse als unverhältnismässig erachtet. Das Vorgehen an sich ist nicht neu, jedoch widerspiegelt es eine allgemeine Tendenz in Richtung Militarisierung der Polizeikräfte. Die indirekte Militarisierung der Polizei nahm ihren Anfang in den USA während den sozialen Protesten der 1960er-Jahre. Es folgten starke Entwicklungsschübe durch den «War on Drugs» (ab den 1990ern) und den «War on Terror» (ab 2001). In Westeuropa kam es vor dem Hintergrund der RAF und der Brigate Rosse in den 1970er Jahren zu ersten solchen Entwicklungen. In dieser Zeit wurde der «Club de Berne» ins Leben gerufen. Noch heute treffen sich dort Geheimdienste aller europäischer Staaten und tauschen sich unter strenger Geheimhaltung zu verschiedenen Themen aus. Auch in der Schweiz stellten die Polizeikorps in den urban geprägten Kantonen zu dieser Zeit erstmals Sondereinheiten aus Polizeigrenadieren auf, die explizit zur Bekämpfung von politisch Linken ausserhalb der Arbeiterbewegung eingeplant wurden.
Polizeilicher Austausch
Auf europäischer Ebene findet schon länger eine verstärkte Kooperation zwischen verschiedenen Repressionsorganen statt. Betreffend Aufstandsbekämpfung sticht hier besonders die 2004 gegründete Europäische Gendarmerietruppe EUROGENDFOR hervor: Eine vom italienischen Vicenza aus geführte Einheit, die im Falle von Unruhen eingesetzt werden kann. Zu den Mitgliedern gehören Frankreich, Italien, die Niederlande, Portugal, Rumänien und Spanien. Sie alle unterhalten Gendarmerien, also der Armee angegliederte Polizeikräfte mit militärischer Ausbildung. Die EUROGENDFOR bietet ihre Dienste der EU, der UNO, der OSZE und der NATO an. Würde die Solidaritätsklausel, welche im Lissabonner Vertrag unter Art. 222 geregelt ist, zum Tragen kommen, ist anzunehmen, dass die EUROGENDFOR zum Einsatz kommen würde. Andrey Holm, Bundestagsabgeordneter der Partei DIE LINKE formulierte seine Kritik an besagtem Artikel wie folgt: «Im Geiste eines solidarischen Europas ist es aus Sicht der Fraktion DIE LINKE zwar richtig und wichtig, gemeinsam auf Schadensereignisse zu reagieren. Die Ausweitung auf politische Auseinandersetzungen und die Entsendung militärischer Ressourcen zur Aufstandsbekämpfung lehnen wir jedoch ab.» Es finden regelmässig Übungen statt, an denen die Aufstandsbekämpfungsfähigkeiten verschiedener Staaten demonstriert und ausgewertet werden sollen. Ein solches «European Police Force Training» (EUPFT) fand jüngst in Pots- dam statt. Transnationale polizeiliche Vernetzung war immer nicht nur ein Austausch von Daten, sondern auch von Methoden, Identifikationstechniken und Kontrollmechanismen (Fingerabdruck- und DNA-Methode, «Demo- Management» u.ä.) verbreiten sich international und wurden in einem jeweils rückbezogenen Austausch verfeinert. Als Versuchslabor für die neusten Techniken im Bereich Aufstandsbekämpfung fungierte diesen Sommer Brasilien. Bereits Monate vor der Männer-WM begannen die «Befriedungsaktionen». Mit militärischer Ausrüstung besetzte die Aufstandsbekämpfungseinheit UPP einige Favelas um die Stadien und Tourismusviertel und ging dabei mit äusserster Brutalität vor. Die Sicherheitsausgaben für das sportliche Megaevent beliefen sich Schätzungen zufolge auf über eine Milliarde Franken. Klar, dass sich dahinter auch ein riesiger Markt verbirgt. Kaum wird der Standort eines Grossevents wie der WM oder der Olympiade bekannt gegeben, tummeln sich jede Menge Sicherheitsfirmen um die lokalen Behörden und bieten ihre neusten Produkte im Kontroll- und Repressionssegment feil. Egal ob sogenannte «non-lethal weapons» (nicht-tödliche Waffen), Überwachungstechnik oder Schutzausrüstung für Repressionsorgane. Selten sind die Gegebenheiten für die Sicherheitsindustrie so günstig wie im Vorfeld von Grossveranstaltungen.
Aufstandsbekämpfung auch in der Schweiz
Künftig soll auch die Schweizer Armee zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden. Dazu will Ueli Maurer mit seiner Armeereform das Militärgesetz ändern und erklärt die Unterstützung der Polizeikräfte kurzerhand zur Armeeaufgabe. André Blattmann will uns weismachen, die Armee leiste dabei nur Hintergrundarbeit, aber die beiden Übungen «Stabilo Due» und «Paper», die im Herbst 2012 stattfanden, lassen anderes vermuten. Dort übte die Armee gegen DemonstrantInnen vorzugehen, die rote Fahnen («Stabilo Due») trugen. Sogar ein Originaltransparent, das die Polizei 2004 in Landquart an einer Anti-WEF-Demo konfisziert hatte, kam bei der Übung «Paper» zum Einsatz. Es gibt momentan eine starke Tendenz der Auflösung sowohl kantonaler und nationaler Polizeigrenzen als auch der Grenzen zwischen Militär und Polizei: Die Entwicklung läuft da- rauf hinaus, dass gewisse Militäreinheiten, allen voran die Militärische Sicherheit, immer mehr Polizeiaufgaben übernehmen und entsprechend geschult werden und dass sich Polizeiorgane immer stärker militarisieren. Dies sowohl was Bewaffnung und Organisation, als auch Selbstverständnis und Auftreten betrifft.
Internationale Vernetzung
Auf dem Gefechtsübungszentrum (GÜZ) bei Magdeburg wird seit geraumer Zeit der bewaffnete Kampf in den Strassen geübt. Eine eigens dafür errichtete Stadt, die einer afghanischen Kleinstadt nachempfunden ist, können SoldatInnen der Bundeswehr und anderen NATO-Mitgliedern den Häuserkampf erproben. Seit 2012 befindet sich nun die Modellstadt «Schnöggersburg» im Bau. Ab 2017 soll dort eine komplette Metropole, inklusive Autobahn, Fluss, U-Bahnlinie mit drei Stationen, ein Industriegebiet, Hochhauskomplexe, Verwaltungsgebäude, Kasernen sowie ein Flugplatz den Truppen zur Verfügung stehen. Perfekt, um das Niederschlagen von Aufständen in den Ballungszentren Europas zu trainieren. Laut dem NATO-Strategiepapier «Urban Operation in the Year 2020» stehen uns aufgrund wachsender sozialer Spannungen und der sich zuspitzenden ökologischen Problematik genau diese bevor. Eine Einschätzung die sicherlich nicht grundsätzlich falsch ist. Erschreckend ist nur, dass das Ergebnis dieser Analyse nicht die Bekämpfung der Ursachen ist, sondern die Vorbereitung auf die Abwehr der daraus resultierenden Proteste. Das Protestcamp «War starts here» thematisiert genau diese Logik und trägt den Protest in die Übungsstadt bei Magdeburg. Dem internationalen Aufruf folgten in den letzten paar Jahren einige Hundert AktivistInnen. Die Repressionsorgane treiben die internationale Vernetzung stetig voran und befinden sich bereits auf einem sehr hohen Niveau. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir diese Bestrebungen aufmerksam verfolgen und uns unsererseits vernetzen. Andererseits gehört der Themen – komplex Aufstandsbekämpfung auf die Agenda jeder emanzipatorischen Bewegung. Die frisch gegründete Arbeitsgruppe Aufstandsbekämpfung der GSoA hat sich dies zum Ziel gemacht und wird sich von nun an diesem spannenden Thema widmen.