Draussen in der Kälte

Nach den Bombardierungen des Landes gilt das Interesse der USA in Afghanistan der Jagd auf Überreste der al-Kaida – nicht dem Land.

Judith Huber, Auslandredaktorin bei der WoZ und verbrachte im Herbst 2002 zwei Monate in Afghanistan.

Der grösste Teil des Landes sei nun sicher, sagte US-Kriegsminister Donald Rumsfeld bei seinem Besuch in Kabul Anfang Mai 2003. Afghanistan sei in die Phase der Stabilität und des Wiederaufbaus eingetreten. Rumsfelds Visite war ein Teil der Bemühungen der US-Regierung, den Krieg in Afghanistan als Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Vor dem Irak-Krieg diente das Beispiel Afghanistan dazu, Unterstützung für die geplante Intervention zu mobilisieren. Nun soll die Propaganda die Glaubwürdigkeit der USA im Nachkriegs-Irak festigen. Doch die Realität in Afghanistan straft die optimistischen Worte aus dem Pentagon Lügen.

Der Feldzug der USA hat die gesteckten Ziele in Afghanistan nicht erreicht. Die Taliban sind zwar aus Kabul vertrieben. Doch übriggebliebene Taliban- und al-Kaida-Gruppierungen, ihnen nahestehende neue Gruppen und Anhänger des lange von den USA unterstützten Fundamentalisten Gulbuddin Hekmatjar haben ihre Attacken auf die fremden Truppen, auf Angehörige der afghanischen Regierung und alle, die mit dieser zusammenarbeiten, sowie auf HilfswerksmitarbeiterInnen verstärkt. Praktisch täglich kommt es zu Anschlägen und Überfällen. Mullahs und ehemalige Mudschaheddin-Führer rufen zu einem neuen Krieg gegen die Ungläubigen auf. Ende März wurde Ricardo Munguia, ein IKRK-Mitarbeiter, auf der Strasse nach der südafghanischen Stadt Kandahar regelrecht hingerichtet. In gewissen Gebieten haben Hilfswerke ihre Arbeit inzwischen vorläufig suspendiert. In der grenznahen pakistanischen Stadt Quetta versammeln sich exilierte Taliban längst wieder in der Öffentlichkeit. Dort, im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, werden junge Kämpfer für den Kampf gegen Amerika und die mit den USA verbündete Regierung von Hamid Karsai rekrutiert.

Vom Regierungswechsel und dem vielbeschworenen Friedensprozess profitieren eigentlich nur die EinwohnerInnen Kabuls. Die Provinzen befinden sich in den Händen lokaler Warlords, die eigene Privatarmeen und Gefängnisse unterhalten, sich gegenseitig bekämpfen und in das blühende Drogengeschäft verwickelt sind. Menschenrechtsverletzungen, Einschüchterungen und Morde sind an der Tagesordnung. Die Zentralregierung ist viel zu schwach, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Dazu kommt, dass die Warlords von den USA nicht nur geduldet, sondern sogar unterstützt werden: Die US-Truppen stützen sich bei ihrer Jagd auf Überreste von al-Kaida auf diese lokalen Kriegsherren. Die wiederholten Rufe der afghanischen Regierung und der Vereinten Nationen nach einer Ausweitung des Mandats der Internationalen Schutztruppe ISAF, damit diese nicht nur in Kabul für Sicherheit sorgt, verhallten ungehört. Die von den USA angeführte militärische Koalition, die nach wie vor mit rund 10 000 Soldaten in Afghanistan präsent ist, konzentriert sich auf die Jagd nach al-Kaida. Und nun werden die militärischen Ressourcen, die so dringend für die Sicherheit benötigt würden, in eine neues Projekt gesteckt. In Provinzstädten widmen sich Militärs zusammen mit Zivilisten um Aufgaben des Wiederaufbaus – um die «Herzen der Afghanen zu gewinnen». Sie bessern Strassen aus, bauen Schulen, Brunnen und Spitäler. Das hat die Kritik der zahlreichen in Afghanistan tätigen Hilfswerke auf den Plan gerufen, die erstens diese Aufgaben viel besser erledigen können und zweitens befürchten, dass diese Vermischung militärischer und ziviler Aufgaben das Leben ihrer MitarbeiterInnen und auch der Zivilbevölkerung noch mehr gefährdet.

Das Interesse der USA und der vielbeschworenen «internationalen Gemeinschaft» an Afghanistan schwindet von Tag zu Tag. Erinnerungen an das verhängnisvolle internationale Desinteresse nach dem Abzug der Sowjets werden wach. Die pakistanische Zeitung «Dawn» titelte denn auch passend in diesen Tagen: «Afghanistan – draussen in der Kälte».

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