Dass bürgerliche Politiker*innen Krisensituationen ausnutzen, um in der Gesellschaft Angst für ihre Interessen zu schüren, ist nichts Neues. Was sich aber angesichts des Krieges in den letzten drei Monaten im und ums Bundeshaus abgespielt hat, ist ein demokratiepolitischer Skandal. Ein chronologischer Rückblick auf die bürgerliche Aufrüstungspropaganda und den gnadenlosen Machtmissbrauch, den die Bundesrätin Viola Amherd seit Mitte Februar betreibt.
Am 16. Februar noch meinte die Verteidigungsministerin Viola Amherd nach Rückfrage eines Journalisten an der Pressekonferenz zur Armeebotschaft 2022 in aller Seelenruhe, es sei für sie klar, dass man mit dem Unterschreiben des Kaufvertrages für den F-35 warten würde, bis über die Volksinitiative abgestimmt werde. Das hätte im Extremfall bedeuten können, bis weit ins Jahr 2024, einem möglichen Abstimmungstermin der «Stop F-35 Initiative», mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages abzuwarten.
Das bürgerliche Paradoxon
Nur vier Tage nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine teilte die FDP in einer Medienmitteilung mit, sie wolle «Lehren aus dem Ukraine-Konflikt ziehen». Mit zwei Motionen forderten Thierry Burkart und Maja Riniker am Tag vier nach Kriegsbeginn – noch ohne jegliche militär-, sicherheits- oder gesellschaftspolitische Analyse des Krieges – eine massive Erhöhung des Armeebudgets um zwei Milliarden Franken sowie eine Aufstockung des Sollbestandes der Armee auf 120’000 Soldat*innen.
Dabei fallen zwei Dinge auf. Erstens scheint sich der Freisinn anstelle von humanitären Massnahmen für die vom Krieg betroffenen Personen lieber auf eine innenpolitische Ausschlachtung der Krisensituation zu konzentrieren und die «Gunst der Stunde» nutzen zu wollen, lang dagewesene Aufrüstungsträume zu verwirklichen. Zweitens führen die Bürgerlichen ein gekonntes Ablenkungsmanöver durch, um ihre menschenfeindliche Steuer- und Wirtschaftspolitik zu vertuschen. Denn nur dank einer massiven Steuerdumping-Politik seitens der Bürgerlichen etablierten sich in den letzten Jahrzehnten Rohstoffhandelsplätze wie Genf oder Zug zu Hotspots von Firmensitzen internationaler Öl- und Gaskonzerne – insbesondere auch von russischen Konzernen. Anstatt die massive Abhängigkeit von Rohstoffen autokratischer Regimes und die hochproblematische Rolle der Schweiz als Transithandelsbrennpunkt zu thematisieren, schreien SVP, FDP und die Mitte nun nach Aufrüstung. Dass die Rüstungsausgaben weltweit in den Jahren vor dem Ausbruch des Krieges konstant gestiegen sind und dies potenzielle bewaffnete Konflikte befeuert, wird in ihrer Argumentation stillschweigend ausgelassen.
Ein erster März als sei es April
Eine Woche später – am ersten März – wird Viola Amherd im welschen Fernsehen zur sicherheitspolitischen Lage der Schweiz interviewt. Vor laufender Kamera erdreistet sie sich, uns, die Initiant*innen der «Stop F-35 Initiative», zu einem Rückzug der Initiative aufzufordern. Dies sei im Moment die einzig verantwortungsvolle Möglichkeit, die Sicherheit der Schweizer*innen zu gewährleisten. Dass eine Bundesrätin öffentlich an die Initiant*innen einer Volksinitiative appelliert, diese zurückzuziehen, bevor sie überhaupt eingereicht wurde, ist ein Novum in der Schweizer Politiklandschaft und ein Machtmissbrauch sondergleichen. Offensichtlich aber auch kein Erster-April-Scherz. Denn nur sieben Tage darauf doppelt die Bundesrätin nach. Die Offerten des US-Herstellers Lockheed Martin seien nur bis im März 2023 gültig. Die «Stop F-35 Initiative» könne also bei einer späten Einreichung dafür sorgen, dass die Verträge neu verhandelt werden müssten und sich der gesamte Beschaffungsprozess verzögern würde. Wir erinnern uns: Genau einen Monat zuvor, vor der Invasion Putins in die Donbass-Region, schien sich die Bundesrätin noch sorgsam um das Einhalten des demokratischen Prozesses einer Volksinitiative zu kümmern.
Der FDP-Präsident spricht von «Nachrüstung», ich nenne es ein schamloses Kapitalschlagen aus der aktuellen Krise. Die Scheinsicherheit, die durch 36 milliardenschwere Tarnkappenbomber sowie einer willkürlichen Erhöhung des Armeebudgets propagiert wird, ist geradezu lächerlich. Ruhig Blut, meine Damen und Herren, die GSoA hat ja noch nie eine Kampfjetabstimmung gew…, ah doch.