Eine glatte Lüge

Angehörige der OSZE berichten: Die Überwachungs-Mission im Kosovo war von Anfang an als Vorwand für eine militärische Intervention geplant

Die „Wahrheit», so beklagen sich unsere von den immer gleichen Bomben- und Flüchtlingsbildern aus dem „Balkan» gelangweilten Massenmedien einhellig, sei das erste Opfer eines jeden Krieges. Das trifft in diesem Krieg in einer besonders perversen Weise zu: Milosevic wurde zum „neuen Hitler» und seine – zweifellos brutale – Kriegsführung gar zu einem „neuen Holocaust». Damit hat der Westen ein halbes Jahrhundert kritische Geschichtsschreibung dem rituellen Schlachtruf „Nie wieder Auschwitz» geopfert.

Alles Mögliche getan?
Doch so war die eingangs zitierte „Einsicht» natürlich nicht gemeint. Sie sollte vielmehr verschleiern, dass der Nato-Krieg und der jetzt anschliessende Nato-Frieden selbst nur dank einer grossen Lüge möglich wurden. Diese Lüge besagt, dass die Nato-Staaten alles Mögliche für eine friedliche Lösung der Kosovo-Krise unternommen hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Bekannt ist, dass die Nato Milosevic in der Kosovo-Politik freie Hand gewährte, um das Dayton-Abkommen und damit die eigene Zukunft sichern zu können. Hinreichend dokumentiert ist auch, dass die Nato-Verantwortlichen die Verhandlungen von Rambouillet absichtlich scheitern liessen.
Fast unglaublich ist, wie schnell das Nato-Bombardement den zivilen Ansatz der OSZE-Überwachungsmission im Kosovo (KVM) aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt hat. Ein Beschluss des Uno-Sicherheitsrates und ein Vertrag mit der jugoslawischen Regierung ermächtigten die OSZE im Oktober 1998, die Durchsetzung eines Waffenstillstandes im Kosovo zu überwachen, humanitäre Hilfe zu ermöglichen, gegen Kriegsverbrecher zu ermitteln, Wahlen vorzubereiten sowie auf Medien, Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen Einfluss zu nehmen. Die KVM lief zwar nur schleppend an, wurde zum Teil mit schlecht vorbereiteten Militärs bestückt und erreichte nie die Soll-Stärke von 2000 Beobachterinnen. Trotzdem beruhigte schon ihre blosse Präsenz die Lage weitgehend. Der unmittelbar bevorstehende Nato-Angriff zwang dann die OSZE allerdings zu einem überstürzten Rückzug.

OSZE im Dienst der Nato
Die KVM hätte noch weit mehr erreichen können, wenn sie sich unparteiisch verhalten hätte. In Wirklichkeit beschäftigte sich ein Teil der OSZE-Mission aber nicht mit der Überwachung des Waffenstillstandes, sondern mit der Vorbereitung der Nato-Angriffe, das zeigten zwei KVM-Mitglieder aus Italien und der Schweiz im April in der Tessiner Tageszeitung „Giornale del Popolo» auf.
Die Vorwürfe, die am 22. April auch in der Freiburger „Liberté» erhoben wurden, wiegen schwer: Die eigentliche Leitung der Mission habe der für Sicherheitsfragen zuständige britische General John Drewienkiewicz innegehabt. Dieser leitete laufend Informationen über potenzielle Bombenziele an die britischen und US-Militärs weiter. Viele Missionsmitglieder hätten den Eindruck bekommen, als eigentliche Nato-Spione missbraucht zu werden.
Darüber hinaus sei innerhalb der KVM ein antiserbisches Klima geschürt worden. Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die U«K habe die Missionsführung systematisch unterdrückt und vor dem Abzug aus dem Kosovo vernichtet. Um Unparteilichkeit bemühte BeobachterInnen seien denunziert und ausgebootet worden. Versuche, die Zusammenarbeit mit den serbischen Behörden zu verbessern, liess man nach Aussage deutscher Polizisten ins Leere laufen. Innerhalb des Missionspersonals wurde sogar die Anschuldigung diskutiert, die Missionsführung habe in mindestens einem Fall absichtlich Informationen der jugoslawischen Armee ignoriert, mit denen der blutige Zusammenstoss zwischen Grenzsoldaten und Partisanen hätte verhindert werden können.

Vorwand für Krieg
Das Fazit der OSZE-Beobachter ist eindeutig: „Man muss sich fragen, ob die KVM als Friedensmission oder als Vorwand für eine militärische Intervention gedacht war. Jedenfalls hätte sie stärker auf Vermittlung ausgerichtet werden können.» Diese Vorwürfe wurden auch an einem Treffen in Bern von verschiedenen Schweizer Missionsmitgliedern erhoben. EDA-Sprecher Livio Zanolari verteidigte aber gegenüber der Genfer Zeitung „Le Temps» die Weitergabe von OSZE-Informationen an die Nato und verwies auf ein eigens zu diesem Zweck unterschriebenes Abkommen vom 13. November 1998.
Ob „legitim» oder nicht: Die OSZE hat sich im Kosovo zum Lakaien der Nato degradiert. Diesen Vorwurf erhob auch die ehemalige Sprecherin der KVM, die Französin Beatrice Lacoste, gegenüber der Berliner Zeitung „Jungle World»: Der Krieg sei schon beschlossene Sache (24. März). Sie musste ihren Posten darauf vorzeitig räumen. Wenige Tage später begann, in den Worten des hochrangigen, in Pristina stationierten OSZE-Mitarbeiters Paul Maitland-Addison: „ein völlig sinnloser Krieg». Sein Fazit bleibt gültig, wenn jetzt der Einmarsch der „Nato-Friedenssoldaten» gefeiert wird: „Verhandlungen sind die einzige Lösung. Bombardements oder die Drohung, die Verantwortlichen vor das Gericht zu zerren, sind völlig sinnlos. Das hat noch nie funktioniert.»