Der Richtungswechsel von der «Ausbildungsarmee» hin zur «Einsatzarmee», den die krisengeschüttelte Schweizer Armee momentan vorantreibt, sieht auch eine Ausweitung der bewaffneten Auslandseinsätze vor. Aus friedenspolitischer Sicht drängen sich Fragen auf.
«Ich habe den Auftrag, unser Engagement im Bereich der friedenserhaltenden Dienste im Ausland in nächster Zeit zu verdoppeln.» Mit diesen Worten nahm Armeechef Keckeis Bezug auf die im September 2004 geäusserte Absicht des Bundesrates, die Auslandseinsätze der Schweizer Armee «mittelfristig bis auf Bataillonsstärke auszubauen». Schon vorher hatte der Bundesrat dem Armeechef mitgeteilt, wohin er – neben den 237 Schweizer Soldaten, die bereits heute im Ausland Dienst leisten – weitere 20 Soldaten schicken soll: In die EU-Truppe nach Bosnien. Gemäss Bundesrat sollen ab Anfang 2005 auf Anfrage und unter Kommando Grossbritanniens zwei Überwachungsteams und zwei Stabsoffiziere in der Eufor-Truppe eingesetzt werden können (siehe dazu GSoA-Zeitung 115). Im Ständerat wurde der Einsatz ohne Wortmeldung abgenickt, im Nationalrat (Wintersession 2004) wird es hingegen friedenspolitische Einwände geben.
Diese sind dringend notwendig, obwohl – oder gerade weil – der Einsatz sich auf die kleine Anzahl von 20 Soldaten beschränkt. Denn damit wird klar, dass es sich bei diesem Einsatz nicht um einen tatsächlichen, sondern einen symbolischen Beitrag handelt. Wem diese Symbolik nützen soll, wird mit einem Blick auf die Pläne der EU und die Zukunftsdebatten der Schweizer Armee klar.
Auslandseinsätze als «strukturbestimmende Aufgabe der Armee»
Die EU hat, neben den verfassungsrechtlichen und rüstungspolitischen Schritten, auch in operativer Sicht die Grundlagen gelegt, um in Europa die Nato als sicherheitspolitischer Akteur Nummer eins abzulösen. Mit dem Eufor-Einsatz in Bosnien leitet sie nach den Operationen Concordia (Mazedonien, ohne Uno-Mandat) und Artemis (Kongo) bereits ihren dritten und grössten militärischen Einsatz ein. Sie hat ein Interesse darzustellen, dass sich zahlreiche Länder Europas an diesem Einsatz beteiligen.
Eine «win-win»-Situation ist der Einsatz auch für die Schweizer Armee: Sie kann, ohne tatsächlich Leistung erbringen zu müssen, von Beginn weg in den militärischen Strukturen der EU mitarbeiten und sich damit auch den Anschluss an den europäischen Rüstungsmarkt sichern.
Hinter den Ausbauplänen für die Auslandseinsätze steckt aber ein weiterer Grund: Infolge der departementsinternen Verteilkämpfe um die knapper gewordenen Mittel stehen die Befürworter der internationalen Ausrichtung der Armee unter hohem Druck, konkrete Beteiligungen an Auslandseinsätzen auszuarbeiten. Vordenker dieser «Internationalisten» ist Andreas Wenger, Leiter der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich, der für das Verteidigungsdepartement (VBS) auf Mandatsbasis Konzepte für einen Ausbau der Auslandseinsätze entwirft. Wenger möchte die Auslandseinsätze als «die strukturbestimmende Aufgabe der Schweizer Armee» verankern, fordert «die Bereitschaft zur erneuten Anpassung des Militärgesetzes» und schlägt die «Erweiterung der Berufskomponente» für Auslandseinsätze vor. Daneben stellt er die Frage, ob der «begrenzte Handlungsspielraum» nicht durch eine Aufhebung der aktuellen Beschränkungen der Auslandseinsätze (obligatorisches Uno/Osze-Mandat; Beteiligung nur an friedenserhaltenden Einsätzen) erweitert werden kann. Um die «Traditionalisten» in der Armee von diesen Plänen zu überzeugen, schlägt Wenger vor, dass man Auslandseinsätze vermehrt als Aspekt der Verteidigung darstellen soll: «Substanzielle Beiträge zu internationalen friedensunterstützenden Operationen (…) tragen ganz unmittelbar zur Sicherheit des eigenen Staatswesens bei und erfüllen damit den Verteidigungsauftrag eines Staates». Zudem liessen sich mit ausgeweiteten Auslandseinsätzen auch die Interessen der Schweiz besser wahrnehmen: «Geografisch wird sich das Interessengebiet der Schweiz ebenso wie das der europäischen Staaten mittel- bis langfristig vom Balkan auf den Kaukasus, Nordafrika und den Nahen und Mittleren Osten verschieben.»
Offene Ohren
Wenger stösst im VBS mit seinen Vorschlägen auf offene Ohren: Erwin Dahinden, zuständig für internationale Beziehungen im Stab Chef der Armee leuchtet ein, dass die «Absicherungen möglichst nahe an der Anrissstelle zu erbauen sind und nicht dort, wo die Lawine bereits den vollen Schwung erreicht hat. Unter diesem Aspekt haben nicht nur der Balkan und der Kaukasus Bedeutung für die Schweiz, sondern auch Afghanistan (Drogen, Fundamentalismus) und Afrika (Migration).»
Überraschender ist, dass die Pläne Wengers anscheinend auch im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf offene Ohren stossen. Auf der Internetseite des «Zentrums für internationale Sicherheitspolitik» im EDA wird Wengers Studie gleich auf der Startseite zum Download angeboten. Voll integriert worden ist auch Wengers Betrachtungsweise von militärischen Interventionen als «Peace-Support-Operations», die sich durch die Verschmelzung statt Trennung von zivilen und militärischen Aufgaben in einem Konfliktgebiet charakterisieren (Zivil-Militärische Zusammenarbeit). Ziemlich ratlos macht zudem, dass der Leiter des Zentrums, Botschafter de Dardel, es als «hinterlistig» bezeichnet, dass sich die Schweiz nur an militärischen Auslandseinsätzen mit Mandat der Uno oder Osze beteiligen darf. Er frage sich, ob der enge Rahmen des Militärgesetzes, der noch vor den Anschlägen vom 11. September 2001 fixiert worden sei, den heutigen Herausforderungen noch entspricht. Zudem sei die EU der neue Akteur, der im Zentrum stehe: «Die EU ist eine aufsteigende Macht!»
Angesichts solcher Euphorie kann festgestellt werden, dass die Kommunikationsstrategie, die der Militärredaktor der NZZ, Bruno Lezzi, kürzlich an einer Tagung vorgeschlagen hat, voll aufgegangen ist: «Vor allem darf das Verteidigungsdepartement in der Öffentlichkeit nicht als einziger Anwalt des internationalen Engagements bei Friedensoperationen auftreten.» Das EDA soll also die Promotion weiterer Auslandseinsätze übernehmen; das VBS erhofft sich, dass diejenigen Alarmglocken im EDA (und im Parlament), die bei früheren militärischen Beteiligungen im Rahmen der Nato noch geklingelt hatten, zum Verschweigen gebracht werden, wenn sich das Militär auf die Beteiligung an EU-Einsätzen ausrichtet.
Schwächung der Uno
Doch Euphorie ist bezüglich der militärischen Einsätze der EU fehl am Platz. Die «Peace-Support-Operationen» der EU verhelfen der EU zwar zu markanterem militärischen Profil, sie laufen aber auf eine Schwächung der Uno hinaus: Seit Mitte der 90er Jahre ist ein klarer Wechsel der Politik der westlichen Staaten erkennbar, die ihre Truppen nicht mehr unter Kommando und im Rahmen der Uno (Blauhelme) zur Verfügung stellen wollen, sondern nur noch unter eigenem Kommando und im eigenen Interessensgebiet. Die Uno hat dabei nur noch die Möglichkeit, den einzelnen Einsätzen ein Mandat zu erteilen; vielfach bleibt ihr gar nichts anderes übrig, da sie aufgrund der Verweigerung der westlichen Staaten keine Möglichkeiten hat, einen Einsatz selber durchzuführen. Diese Abhängigkeit ist eine Folge des «Versagens der Uno» im ehemaligen Jugoslawien – für das die westlichen Länder notabene die Hauptverantwortung tragen.
Thierry Tardy, Mitarbeiter des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, hat die Bereitschaft der EU-Staaten, ihre Operationen im Rahmen der Uno durchzuführen, in einer Studie untersucht und kommt zu einem vernichtenden Schluss: «Eine der Schlüsselannahmen dieser Studie ist, dass die EU ihre Bemühungen für Friedensoperationen mit grosser Wahrscheinlichkeit ausserhalb des UN-Rahmens entwickeln wird. Die Uno wird als legalisierende/legitimierende Körperschaft, aber nicht als primärer Partner für die EU im Krisenmanagement verbleiben.»
Die BefürworterInnen von Schweizer Auslandseinsätzen im Rahmen der EU müssen sich daher die Frage gefallen lassen, ob sie mit der Stärkung der militärischen Komponente der EU nicht die Uno als völkerrechtlich legitimierte Organisation zur Durchführung internationaler Friedensbemühungen schwächen und ein globales System in Kauf nehmen, in dem Militärmächte in ihrem Interessensgebiet zunehmend eigenhändig militärisch operieren. Die Frage ist dringend, denn eigentlich hat sich die Schweizer Aussenpolitik dem Ziel einer Stärkung der Uno verschrieben – nicht einer Schwächung.