Frei, Freier, Uçk

Der gewaltfreie Widerstand im Kosov@ ist gescheitert, die Mehrheit der Kosov@-AlbanerInnen scheint den bewaffneten Kampf der UÇK zu unterstützen. Wie kam es dazu, und wer ist die UÇK?

 

Seit Serbien die Region des Kosov@ 1912 eroberte, werden AlbanerInnen schikaniert, unterdrückt, vertrieben. Erst mit einem Regierungswechsel in Jugoslawien im Jahre 1966 begann eine Zeit, da die AlbanerInnen als normale jugoslawische BürgerInnen leben konnten. 1974 erhielt Kosov@ Autonomiestatus, die die Provinz einer Republik praktischgleichstellte. Die blutige Unterdrückung von – politisch harmlosen – StudentInnendemonstrationen 1981 markierte den Anfang vom Ende dieser relativen Freiheit. 1989 hob der neue starke Mann in der verfahrenen jugoslawischen Politik, Milosevic, die Autonomie des Kosov@ auf. Der zunehmend schärfere Nationalismus, der in die Kriege um Slowenien, Kroatien und Bosnien mündete, nahm im Kosov@ seinen Anfang.

LDK mit Monopolanspruch

1989 war auch das Jahr, in dem sich die Demokratische Liga des Kosova (LDK) um den Schriftsteller Ibrahim Rugova gründete. Innert nur fünf Wochen gewann sie eine halbe Million Mitglieder. Rugova war – nach innen wie nach aussen – Symbol des Protestes und Widerstandes; bei den 1990 von Serbien als illegal erklärten Wahlen wurde er zum Präsident der international nicht anerkannten «Republik Kosova» gewählt.

Damit gab es eine Gruppierung, die einen Grossteil der albanischen Bewegung vereinigte, nachdem diese Bewegung in den achtziger Jahren stark zerstritten war.

Die LDK organisierte die «Republik Kosova» im Untergrund. Sie trat zunehmend mit einem Monopolanspruch innerhalb der albanischen Politik im Kosov@ auf. Rugova verfolgte eine Politik des passiven gewaltfreien Widerstandes, die aber auch nicht bereit war, über Alternativen zur Unabhängigkeit der Republik zu verhandeln. Zunehmend regte sich Unmut gegenüber dieser Politik, die den offenen Krieg vermied, aber keine Verbesserung der Situation erreichte.

Ein erstes Sammelbecken gegen die LDK-Politik war die bereits 1982 in Deutschland gegründete Volksbewegung für eine Republik Kosova (LPK). Ihr Ziel ist ein unabhängiger Staat aller AlbanerInnen in Kosov@, Montenegro, Makedonien und Südserbien. Die LPK befürwortet Gewalt als Mittel ihres Kampfes. Die UÇK hat hier ihre Heimat: UÇK-Sprecher Jakup Krasniçi erklärte, dass 1992 und 1993 in der Schweiz ein militärischer Flügel innerhalb der LPK entstand, der 1994 zur UÇK wurde.

Rund 20 weitere Parteien und Verbände entstanden Anfang der 90er Jahre, von Sozialdemokraten über Grüne bis zu Nationaldemokraten, die jedoch nie grösseren Einfluss gewinnen konnten.

Die UÇK tritt auf den Plan

Die UÇK trat erstmals mit einem Bekennerschreiben im April 1996 an die Öffentlichkeit. Sie profilierte sich durch Morde an serbischen Polizisten im Kosov@, vor allem aber an ‹illoyalen› Albanern, die der Kollaboration mit dem serbischen Regime beschuldigt wurden. Lange war es umstritten, ob die UÇK überhaupt existiere oder ob sie, wie die LDK bis Ende 1997 sagte, Produkt des jugoslawischen Geheimdienstes sei.

Ab 1997 traten vermummte bewaffnete Männer in der Öffentlichkeit auf, die sich als UÇK-Kämpfer zu erkennen gaben. Die Untergrundarmee genoss offensichtlich grosse Sympathien in der Bevölkerung, dies vor allem nach den Massakern der serbischen Polizeikräfte an albanischen ZivilistInnen – angebliche Terroristen – in der Region Drenica im März dieses Jahres. Scharenweise liefen die Leute von der LDK zur UÇK, vom gewaltfreien zum bewaffneten Widerstand über. Rugova förderte diese Tendenz durch seine ‹Säuberungen› gegen Vertreter radikaler Positionen innerhalb seiner Partei.

Shkëlzen Maliqi, früherer Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei des Kosova, erklärt die Lage so: «Soweit es mir bekannt ist, entsprechen die politischen Standpunkte innerhalb der UÇK in etwa denjenigen der gesamten politischen Szene des Kosovo. Die Mehrheit derer, die sich für die UÇK rekrutiert hat, war früher Mitglied der LDK und zollt Rugova nach wie vor Respekt.»

Die offizielle UÇK jedoch setzt sich von der LDK ab. In der «Politischen Erklärung Nr. 4 des Generalhauptquartiers der UÇK» wurden verhandlungswillige, politische Kräfte im Kosov@ gewarnt, ihre «dreckigen Spiele, die zerstörerisch für die Nation und das Vaterland sind», weiterzuführen. Lum Haxhiu, Schriftsteller und «UÇK-Offizier für politische Angelegenheiten und Förderung der Moral» spricht Klartext: Ein Politiker, egal wer, der seine Unterschrift unter einen Friedensvertrag setzen sollte, der nicht die vollständige Unabhängigkeit Kosovos anerkenne, unterschreibe sein Todesurteil.

Milosevic ist es mit seiner Offensive gelungen, die UÇK zum wichtigsten Faktor auf dem kosov@-albanischen Schauplatz werden zu lassen. Er erreichte, dass sich für die internationale Gemeinschaft jetzt die UÇK – und nicht mehr er selbst – als schwierigstes Problem auf dem Weg zu einer politischen Lösung im Kosov@ darstellt.

Die Strategie der Machtergreifung

Die UÇK wurde von einer kleinen Bande von 200 Kämpfern im März zu einer soliden Truppe von rund 2000 gut bewaffneten und ständig besser ausgebildeten Kämpfern. UÇK-Sprecher Krasniçi sagte gegenüber dem Spiegel, dass viele der Soldaten ehemalige Gastarbeiter aus Deutschland und der Schweiz seien: «Ja, sie kamen zurück, um für ihr Heimatland zu kämpfen.»

Ihre Basis und ihr Hauptquartier hatte die UÇK in einer Ansammlung von kleinen und kleinsten bäuerlichen Streusiedlungen in Zentralkosov@. Wie andere Guerillabewegungen mit maoistischer Ideologie verfolgte die UÇK eine Strategie der Einkreisung der Städte durch ‹befreite Gebiete› auf dem Land. In den ‹befreiten› Zonen wurden die politischen Strukturen gleichgeschaltet mit den militärischen Kommandostrukturen der Guerilla. Parteistrukturen und Parteivertreter wurden in die UÇK aufgesogen.

Gleich mehrere Parteien buhlten im Kosov@ um die Gunst, als politischer Flügel der UÇK zeichnen zu dürfen. Adem Demaçi, Führer der Parlamentarischen Partei, wurde nach langen politischen Querelen nach den militärischen Niederlagen Ende Juli 1998 als politischer Repräsentant der UÇK anerkannt. Noch kurz zuvor hatte UÇK-Sprecher Jakup Krasniçi noch betont, keine Partei im Kosov@ dürfe im Namen der UÇK sprechen.

Die militärischen Niederlagen ab Ende Juli zeigten aber, wie verwundbar die UÇK war und wie verhängnisvoll ihre Strategie für die Zivilbevölkerung ist. Dorf für Dorf wurden von den serbischen Einheiten erobert und ‹gesäubert›. Indem die serbischen Einheiten Land und Häuser zerstören, entziehen sie der ansässigen Bevölkerung die Grundlagen ihrer Existenz und führen der Guerilla genau jene nach Rache dürstenden Desperados zu, die sie braucht. Wohin sollten denn die jungen Männer sonst?

Die fast kampflose Flucht aus den ‹befreiten Gebieten› legte offen, wie zerstritten die albanischen Kräfte im Hinblick auf das weitere Vorgehen sind. Die UÇK erhob in ihrer «Politischen Erklärung Nr. 5» den Vorwurf, dass der «Besetzer» möglicherweise mit den «sogenannten Politikern» in Pristina konspiriere. Anfangs August bestätigte die UÇK ihre Verschwörungstheorie und behauptete, die serbische Politik stehe im Einklang mit den Wünschen gewisser internationaler Kreise im Ausland und gewisser politischer Kräfte im Kosov@ selbst, die dem gewaltsamen Vorgehen Belgrads zugestimmt hätten. Die Medien berichteten derweil von totalem Chaos in den Reihen der Kämpfer und von Absatzbewegungen der Führung ins benachbarte Albanien.

Leerstelle Politik

Die UÇK setzte bewusst auf eine Militarisierung und auf die Zuspitzung des Konflikts, um die Internationalisierung des Konfliktes und eine Intervention der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu erreichen. Die Haltung der Nato und der westlichen Politik, eine staatliche Unabhängigkeit des Kosov@ nicht anzuerkennen, liess diese Strategie leerlaufen.

Über die Perspektiven befragt, wie sich die kleine UÇK gegen die serbische Übermacht behaupten wolle, wies diese auf die schlechte Moral und die häufigen Desertationen bei den serbischen Truppen sowie Polizeieinheiten und auf die eigene hohe Kampfmoral hin. Weitergehenden politischen Überlegungen wie der Frage nach einer Koalition mit oppositionellen Kräften in Serbien und der politischen Führung in Montenegro verweigerte man sich. «Wir haben keine Ideologie, weil wir keine Zeit haben, uns darum zu kümmern. Unser Hauptanliegen ist die Befreiung. Ideologie und politische Parteien, das ist für später», meinte UÇK-Sprecher Jakup Krasniçi.

Das Fehlen einer politischen Strategie schwächte die UÇK auch militärisch: Während die serbischen Militärs gut kalkulierten und den Moment abwarteten, bis die Nato-Botschafter für zwei Monate in die Sommerferien verreisten, um dann eine grosse Aktion zu starten, verlor sich die UÇK in ihren militärischen und maximalistischen Versprechungen einer sofortigen Befreiung. Milosevic kam seinen Zielen mit jeder Aktion näher: Zerschlagung der politischen Bewegung der Kosovari sowie die Destabilisierung der Führung in Montenegro durch albanische Flüchtlinge.

Das Unvermögen der Kosovo-AlbanerInnen, eine Gesprächsdelegation zu bilden, die alle Parteien umfasst, erweist sich heute als eines der Haupthindernisse beim Bestreben der internationalen Gemeinschaft, den Druck auf den jugoslawischen Präsidenten Milosevic zu erhöhen. Vertreter des US-amerikanischen Geheimdienstes, die den Kontakt zur UÇK pflegen und sie an den Verhandlungstisch holen wollen, bezeichnen die politische Verwirrung bei den Kämpfern als hauptsächliches Problem: «Es ist schwierig zu verhandeln, wenn eine Seite so verwirrt ist, dass sie nicht einmal weiss, worüber sie verhandelt.» Der Konflikt um die politische Macht der Machtlosen ist voll entbrannt. Milosevics Kalkül ist aufgegangen, und die UÇK darf sich gratulieren, mit ihrer militaristischen Strategie dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet zu haben.

Das Dilemma des Krieges

Heute, nach den militärischen Aktionen der UÇK zur ‹Befreiung› des Territoriums und nach den Aktionen der serbischen ‹Sicherheitskräfte› zur «Bekämpfung des Terrorismus» stehen die Chancen für eine politische Lösung schlechter denn je. Milosevic ist für den Westen und für den Kosov@-Konflikt um so wichtiger, je zerstrittener die Kosovari selber sind. Als die UÇK Adem Demaçi zum politischen Vertreter ihrer Bewegung erhob, erklärte dieser umgehend Rugova den Krieg. Rugova habe ausgespielt, weil er die Guerilla als stärkste Kraft der Kosovo-Albaner nicht hinter sich habe. Je länger der Streit um die Führung im Kosov@ dauert, um so sicherer ist die Position von Milosevic.

Verschiedene moderate und politisch denkendere Figuren versuchen, den Kontakt zur UÇK herzustellen und sie in Gespräche mit der serbischen Führung einzubeziehen. Veton Surroi, Gründer und bis vor kurzem Chefredaktor der unabhängigen Tageszeitung Koha Ditore, vertritt diese Position. Einerseits ist dies Ausdruck der realen Kräfteverhältnisse, andererseits will er damit die UÇK in die politischen Prozesse und Verantwortungen einbinden, um ihren bisher rein militaristischen Kurs zu korrigieren.

Die Aktionen der UÇK haben den Kosov@-Konflikt aus der latenten politischen Krise auf die Stufe der Kriegsführung geführt. Die Spielräume für politisches Handeln haben sich damit dramatisch verkleinert. Der Westen begnügt sich damit, Menschenrechtsverletzungen zur Kenntnis zu nehmen und zum Gewaltverzicht aufzufordern. Die Logik des Krieges macht einen Gewaltverzicht und einen Dialog ohne Vorbedingungen für beide Seiten praktisch unmöglich.

Die alten gesellschaftlichen und politischen Strukturen in den von landwirtschaftlicher Produktion geprägten Landschaft des Kosov@ sind beinahe mittelalterlich paternalistisch. Die UÇK kombiniert diese paternalistischen Clanstrukturen mit militaristischem Drill zu einem Konzept, das kaum Freiraum für ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt lässt. Diese Strategie schafft auch auf Seiten unabhängiger Intellektueller, Kultur- und Medienschaffender, Jugendlicher und Menschen in ‹gemischten› Ehen Angst vor der Zukunft. In die Hoffnung vieler Kosovari, die serbische Herrschaft endlich loszuwerden, mischt sich die Angst vor den totalitären Vorstellungen der ‹Befreiungsarmee›. Frei von serbischer Herrschaft zu sein heisst noch nicht, auch in Freiheit leben zu können.

Eine ausführliche Fassung dieses Artikels mit Quellenangaben findet sich hinter diesem Link.

 

 

 

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