Armee, Regierung und NGO stehen auf dem Weltmarkt des Krisenmanagements in einem Verdrängungswettbewerb. Das wird nun auch in der Schweiz spürbar.
Ein Jahr nach dem Einmarsch der KFOR-Truppen in den Kosovo haben <Humanität> und <Frieden> Konjunktur. Als Top-Managerin gebärdet sich die Nato. Und die Schweiz strebt nach Beteiligungen: Sie unterstützt nach Auskunft des stellvertretenden Leiters der Schweizer Nato-Vertretung die Entwicklung von Krisenreaktionsfähigkeiten der Nato und ihrer Partnerstaaten insbesondere in den Bereichen <der friedenserhaltenden Massnahmen, der humanitären Unterstützungsmassnahmen und der Katastrophenhilfe>(.1) Was aber gibt es zu gewinnen?
Weltmarkt des Konfliktmanagements
Die Globalisierung der Wirtschaft verläuft krisenhaft und daher tendenziell unkontrolliert. Abhilfe verspricht ein geeignetes Krisenmanagement. Es funktioniert wie ein moderner Dienstleistungsmarkt, auf dem neben Strategien und Ressourcen auch Moral und Macht ausgetauscht werden. Verschiedene Akteure – Nichtregierungs-Organisationen (NGO), internationale Organisationen, diplomatische Corps, Medien und neuerdings auch Armeen – rangeln um Anteile in diesem Markt, um symbolisches und letztlich materielles Umsatzwachstum. Sie sind damit konfrontiert, dass traditionelle Arrangements der Arbeitsteilung ihre Gültigkeit verlieren. Privates und staatliches Handeln gerät durcheinander. Wer sich nicht über internationale Partner neue Marktzugänge sichert und wer nicht in Innovationen investiert, ist nicht mehr konkurrenzfähig, verliert Auftraggeber, wird vom Markt verdrängt oder von Konkurrenten geschluckt.
Humanitäres Krisenmanagement ist also die Antwort auf die Krisen der globalisierten Ökonomie, gleichzeitig einer ihrer Wachstumsmärkte und zudem das Resultat einer epochalen Flexibilisierung. Die Armeen haben das rasch realisiert. Seit dem Ende des Kalten Krieges befinden sich immense, von militärischen Apparaten der reichen Staaten des Nordens verwaltete Geldmittel auf der Suche nach rechtfertigbaren Investitionsmöglichkeiten. Wenn das angestammte Kerngeschäft – die Verteidigung – schrumpft, dann muss man diversifizieren. Militärischen Apparate sehen sich gezwungen, ihre Milliarden nicht mehr nur in Waffenlagern zu verbunkern, sondern sie per Krisenmanagement in der Gesellschaft zu verbrauchen.
Zur Bewältigung dieser strategischen Aufgabe entwickeln die Armeen eigene Strukturen: bei der Nato etwa die <Abteilung für Sicherheitsinvestitionen, Logistik und Zivile Notfallplanung> mit mehreren Planungs-Subkomitees oder das 1998 geschaffene <Euro-Atlantische Koordinierungszentrums für Katastrophenhilfe>, das zivile Rettungsbemühungen mit militärischen Mitteln unterstützen soll. Entsprechende zivil-militärische Einheiten der Nato-Operationen im ehemaligen Jugoslawien steuern dazu ihre praktischen Erfahrungen bei. Auch die Schweizer Armee bietet mit. 55 Millionen Franken lässt sie sich den eher symbolischen Swisscoy-Einsatz im Kosov@ kosten. <Unsere Erfahrung in der internationalen humanitären Hilfe bereichert die Arbeit der euro-atlantischen Gemeinschaft im Bereich der zivil-militärischen Kooperation substanziell>, sagt dazu der Schweizer Nato-Delegationschef Anton Thalmann (.2). Wer <Humanität> und die Fähigkeit <Frieden> zu schaffen, erfolgreich für sich beanspruchen kann, übernimmt auf dem Markt des Konfliktmanagements die Führungsrolle.
Zivile Behörden im Zugzwang
Zivile Institutionen und NGO versuchen, gegen diesen <unfriendly take-over> der Militärs ihre Position zu behaupten, indem sie auf <Zivile Friedensförderung> setzen. Dafür gab die Sektion Friedensfragen des Eidgenössischen Departementes des Äusseren EDA 1999 33,4 Millionen Franken aus. Das ist zwar im Gefolge des Kosov@-Krieges 28% mehr als im Vorjahr, aber immer noch lachhaft im Vergleich mit den militärischen Ressourcen. Immerhin unterstützte die Sektion damit 90 Projekte der Friedensförderung in 29 Ländern (von Friedensgesprächen über Entminung bis zur Ausarbeitung von Gesetzen). 235 SchweizerInnen nahmen in ihrem Auftrag an Missionen teil.
Der <Bedarf an qualifiziertem Personal für internationale Friedensmissionen der Osze und der Uno> werde sich künftig noch vergrössern, glauben die EDA-PlanerInnen. Daher streben sie bis Ende Jahr die Bildung eines eigenen <Corps ziviler Friedensexperten> an. Laut Legislaturplanung sollen jedoch die vom EDA für friedensfördernde Aktionen eingesetzten Mittel bis 2003 gerade mal auf 41 Millionen Franken anwachsen.
Auch traditionell im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe tätige NGO können sich der Anziehungskraft des globalen Krisenmanagements nicht entziehen und müssen ihre Position neu definieren. Mit einem 150seitigen Positionspapier unter dem Titel <Allianzen für den Frieden>(3.) hat nun Caritas als erstes Schweizer Hilfswerk eine umfassenden Neubestimmung seiner Strategie vorgelegt.
Zivile Allianzen für den Frieden
<Caritas muss feststellen, dass sie im Verlaufe der Neunzigerjahre zunehmend gezwungen war, die reaktive und nachsorgende Rolle einer humanitären Krisenmanagerin zu übernehmen> – so erklärt das Hilfswerk den Bedarf für eine inhaltliche Neubestimmung. Das Positionspapier sei nun ein erster Schritt <in Richtung einer proaktiven und vorsorgenden Politik in Konfliktregionen>.
Das Positionspapier weist zwar analytische Unschärfen auf. Der Bezug auf Globalisierung und Neoliberalismus und damit die Ursachenanalyse der zunehmenden Gewaltphänomene bleibt etwas gar allgemein. Die Interessenlagen der entscheidenden wirtschaftlichen Akteure in den reichen Staaten des Nordens werden kaum reflektiert, alternative ökonomische Entwicklungsperspektiven werden nicht andiskutiert, und die Rolle der militärischen Apparate bleibt im Dunkeln. Auch konzeptionelle Lücken fallen auf. So scheint Friedenserziehung nur ein Problem der Konfliktregionen zu sein, obwohl an anderer Stelle die simplifizierende Wahrnehmung von Konflikten bei uns durchaus problematisiert wird.
Dennoch ist dieses Papier eine aktuelle und umfassende Analyse der Chancen und Risiken, welche der integrale Ansatz der zivilen Friedensförderung eröffnet. Caritas erklärt darin <Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zu einer transversalen Aufgabe ihrer internationalen Zusammenarbeit>. Für diese Aufgabe formuliert das Hilfswerk ethische Leitlinien (Unparteilichkeit, Gerechtigkeit, Versöhnung, Gewaltfreiheit, Zurückhaltung, Sorgfalt, Verbindlichkeit), Handlungsgrundsätze (Langfristigkeit, Gender-Fokus, Do-no-harm-Prinzip, Entwicklungsorientierung der humanitären Hilfe) und Strategien (Bildung lokaler, regionaler, internationaler <Allianzen für den Frieden>, Konfliktlösung von innen und unten, Partnerschaften pflegen, Früherkennung).
Die Argumentation von Caritas erinnert stark an die zentrale Botschaft der Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst ZFD: Die Logik eines Konfliktes muss analysiert werden, um einerseits Druck auf die davon profitierenden Kräfte aufbauen, andererseits die Zusammenhänge zu unterstützen, die für eine Friedenslösung eintreten. So soll der Umstieg von einer Kriegs- auf eine Friedenslogik gelingen. Das Papier fasst diesen Gedanken im begrifflichen Gegensatzpaar <Allianzen für den Krieg> und <Allianzen für den Frieden>.
Auch die kritischen Überlegungen zu nicht beabsichtigten negativen Folgen humanitärer Nothilfe in Konfliktsituationen und zu den Grenzen traditioneller Entwicklungshilfe, die Warnungen vor einem instrumentellen Interventionsansatz, vor unnötigen Verdoppelungen und vor einer Idealisierung der Zivilgesellschaft sind wertvoll – und aus den Diskussion bei der Erarbeitung der ZFD-Initiative nicht ganz unbekannt. Um so erstaunlicher ist daher, dass das ZFD-Konzept im ganzen Caritas-Dokument mit keinem Wort erwähnt wird. Es bleibt zu hoffen, dass die abschliessende Aufforderung von Caritas <an alle Akteure in der Schweiz, … sich am Aufbau konfliktraumbezogener Allianzen für den Frieden zu beteiligen> auch die bislang 26 unterstützenden Organisationen der ZFD-Initiative mitmeint.
1 Martin Dahinden in: Nato-Brief 4/1999.
2 Am Schweizerischen Forum für internationale Politik, Genf, 2.11.1999.
3 Allianzen für den Frieden. Ein Positionspapier von Caritas Schweiz zu Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der Internationalen Zusammenarbeit. Bezug: Tel. 041 419 22 22, E-Mail: info@caritas.ch