Die GSoA Genf hat am 29. April die kantonale Initiative für eine Friedensrepublik Genf lanciert (Text siehe unten). Während der Abstimmungskampagne gegen ein milliardenschweres Umfahrungsprojekt über die Genfer Seebucht fanden Luc Gilly, Sekretär der GSoA Romandie und Genfer Parlamentarier, der Wahlgenfer Tobia Schnebli und Roderic Mounir Zeit, um über erste Erfahrungen beim Sammeln zu berichten und über die GSoA II nachzudenken.
Interview und Übersetzung: Matthias Scheller
Matthias Scheller: Die GSoA Genf hat am 29. April 96 die «Initiative für eine Friedensrepublik Genf» lanciert. Wie läuft die Sammelkampagne?
Luc Gilly: Was die Buchhaltung anbelangt: Mitte Mai haben wir zweieinhalbtausend der nötigen zehntausend Unterschriften beisammen gehabt. Wir versenden Unterschriftenbogen an unsere gesamte Adresskartei. Die Unterschriften treffen langsamer ein, als ich gedacht habe, aber täglich sind etwa fünfzig Unterschriften im Postfach. Wir haben am Salon du Livre gesammelt und planen weitere Standaktionen Anfang Juni. Im Moment ist es schwierig, Leute zu finden, die an einem Stand Unterschriften sammeln. Wir zählen auch auf die Mithilfe der linken Parteien, der JUSO und der Gewerkschaften, welche die Initiative unterstützen.
Matthias Scheller: Wie reagieren die Leute auf diese Initiative? Ihr macht einen recht komplexen Vorschlag .
Luc Gilly: Im allgemeinen sind die Leute mit der Richtung zufrieden. Viele Junge finden die Initiative zu wenig radikal, zu schwammig. Die GSoA hat ein radikales Image, das sich auf diesen Vorschlag nicht einfach übertragen lässt. Die Idee der Schweiz ohne Armee kann aus rechtlichen Gründen nicht in einem Kanton verwirklicht werden. Wir müssen viele davon überzeugen, dass diese Initiative eine wichtige gesetzliche Verpflichtung bringt.
Matthias Scheller: Den radikalen Aufhänger der Schweiz ohne Armee könnt Ihr nicht brauchen. Die Sicherheitskonzepte, welche die GSoA entwickelt hat, die ganzen wirtschaftlichen Zusammenhänge, die Friedenserziehung, die Friedenskultur – all das lässt sich doch kaum in einem Slogan zusammenfassen. Welche Erfahrungen macht Ihr auf der Strasse? Wie kommuniziert Ihr Eure Idee?
Tobia Schnebli: Sie ist schwieriger verständlich zu machen als der Slogan der Schweiz ohne Armee. Ich erkläre beim Sammeln, dass wir einen pazifistischen Artikel in die Genfer Verfassung einfügen wollen. Wenn mir die Menschen dann zuhören, erläutere ich kurz das Konzept und die Grenzen einer kantonalen Friedenspolitik. Obwohl der radikale Punkt fehlt, sind viele Leute bereit zu unterschreiben. Die ablehnenden Reaktionen sind manchmal vom bekannten Stereotyp.
Roderic Mounir: Das ist klar, unser Logo ist nach wie vor die Schweiz ohne Armee. Wo die GSoA auftritt, stellen sich die Leute vor, dass sie der Armee eins auswischt, um es salopp zu sagen. Wichtig für uns ist die Erfahrung, dass das Image der Genfer GSoA nach dem Defilée nicht gelitten hat – im Gegenteil. Es haben sich hingegen wenige Menschen mit dieser Initiative identifiziert. Wir merken das, wenn wir Leute suchen, die Unterschriften sammeln. Es wird zwar unterschrieben, aber es ist kein wirkliches Interesse da, Vorschläge mitzutragen, zu argumentieren. Die Konzeptionen von Friedenskultur, Friedenspolitik sind komplex, verlangen Denkarbeit – es gibt keine Rezepte (mots d’ordres).
Matthias Scheller: Wenn wir schon von Friedenskultur und komplexer Materie sprechen – in den Entwürfen zu dieser Initiative waren die Artikel, welche die Waffengeschäfte betreffen, viel griffiger formuliert (siehe auch GSoA-Zitig Nr. 63). An welche Grenzen seid Ihr gestossen?
Tobia Schnebli: Die eine Grenze war die Rechtsstruktur unseres Bundesstaates, manche Kompetenzen sind einfach beim Bund. Andererseits lassen sich manche Dinge aus Gründen der Einheit der Materie nicht genau genug regeln. Daher unsere Idee, eine politische Stossrichtung zu definieren. Die erste Anregung zu dieser Initiative, die Idee des Link-out, des Ausklinkens eines Kantons, kam übrigens von Andreas Gross.
Matthias Scheller: Was ist das Ziel der Initiative? Soll, wie bei der ersten Initiative für eine Schweiz ohne Armee, eine Diskussion ausgelöst werden oder sucht Ihr den Abstimmungserfolg?
Roderic Mounir: Wir sind optimistisch . Es geht weniger darum, mit der Initiative fertige Gesetze zu machen. Eine Auseinandersetzung um die Bewilligung eines Defilées würde aber anders ablaufen. Wir könnten uns auf einen klaren gesetzlichen Auftrag stützen, um gegenüber der Regierung zu argumentieren. Manche Auswüchse der Macht wären von Gesetzes wegen verhindert.
Matthias Scheller: Wenn ich das richtig verstehe, vertritt die Genfer Kantonsregierung in Sicherheitsfragen eine andere Haltung als die Stimmberechtigten? Fehlen dafür Eingriffsmöglichkeiten?
Roderic Mounir: Die GSoA in Genf wird von den Behörden oder der Presse nicht erst genommen – im Unterschied zur Deutschschweiz, wo die GSoA eine Rolle spielt im öffentlichen Leben, wo sie zumindest in den Medien ein Gesprächspartner ist. In Genf werden wir herabgemacht, wo es nur geht. Wir werden ignoriert. Wir werden als Störenfriede hingestellt. Wir kommen nicht umhin, ständig zu wiederholen. wovon wir eigentlich sprechen. Viele Menschen, vor allem jüngere, reagieren sehr sensibel auf diese Ausgrenzung.
Luc Gilly: Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben den Initiativen der GSoA zugestimmt. Die Kantonsregierung und die bürgerlichen Parteien berufen sich aber ständig darauf, dass diese Initiativen gesamtschweizerisch abgelehnt wurden. Das ist ihr halluziniertes Leitmotiv: Das Volk hat die Initiativen abgeschmettert, haltet den Mund. Mit Ausnahme des Zivildienstes, der Verweigererfrage, wo ein klein wenig Feingefühl gezeigt wurde, werden wir als schlechte Verlierer betitelt. Wir betrachten die Initiative in dieser Situation als konstruktiven Beitrag; auch zum internationalen Stellenwert von Genf, den dieselbe Rechte nie müde wird, rhetorisch zu betonen.
Matthias Scheller: Erklärt das auch die breite Unterstützung, die Ihr bei der Genfer Linken und den Gewerkschaften gefunden habt?
Luc Gilly: Schau, das war gar nicht so einfach. Tobia und Roderic mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, erklären und ausfiihren. Immer wieder wurde betont, die Sicherheit der internationalen Konferenzen müsse garantiert sein, deshalb könne Genf nicht entmilitarisiert werden. Dabei gab es in den letzten zwanzig Jahren keine Attentate.
Tobia Schnebli: …weil es die Armee gibt, sagen sie.
Luc Gilly: Natürlich gab es die Armee. Sie wurde mit subalternen Aufgaben betraut. In den letzten zwölf Jahren, glaube ich, vier Mal. Die Armee spielt keine wichtige Rolle, was die Sicherheit der internationalen Organisationen angeht. Doch das Bild scheint in den Köpfen festzusitzen.
Matthias Scheller: Gab es keine Reaktion der Linken auf die Gewalt am Defilée letztes Jahr (siehe GSoA-Zitig Nr. 63)?
Luc Gilly: Es herrschte eher grosse Ruhe. Viele linke PolitikerInnen haben die Petition unterschrieben, die verlangte, dass die Anklagen gegen die Jugendlichen fallengelassen werden sollen. Möglicherweise ist das ihre Art sich zu solidarisieren.
Roderic Mounir: Seltsamerweise schlug dieses Thema während drei, vier Monaten hohe Wellen. Heute interessiert sich kein Mensch mehr dafür.
Tobia Schnebli: Es war ein Medienereignis.
Roderic Mounir: Konsequenzen wurden keine gezogen. Es gab keine Rücktrittsforderungen an die Adresse der Kantonsregierung. Nichts.
Tobia Schnebli: Auf jeden Fall ist unsere Initiative mehr als eine Reaktion auf diese Ereignisse. Wir wollen die Konzepte, die wir in der GSoA als umfassende Friedenspolitik umschreiben, auf kantonaler Ebene realisieren. Dies ist das Ziel. Wir wollen keine Debatte über das Defilée und die Jugendlichen lancieren – auch wenn die Bestimmungen des Initiativtexts im Wiederholungsfall nützlich wären oder den Jugendlichen zugute kommen, etwa was den Zivildienst betrifft. Die Kantonsregierung hat uns übrigens wissen lassen, es könnten sich verfassungsrechtliche Probleme mit der Initiative ergeben. Wie wenn wir die Initiative nicht von Verfassungsrechtlern hätten begutachten lassen. Vielleicht haben sie den Initiativtext auch gar nicht gelesen. Falls die Initiative für ungültig erklärt wird, gehen wir vor Bundesgericht – möglicherweise entsteht dann ein grösseres öffentliches Interesse. Die Initiative ist auch nicht antimilitaristisch, sondem propazifistisch. Wir bringen konstruktive Ideen. Wenn es uns gelingt, dies öffentlich zu zeigen, ist es sicher nicht zu unserem Nachteil.
Luc Gilly: Wir haben viele plakative, provokative Aktionen gemacht. Viele Fragen, die wir gestellt haben, sind einfach, auch wenn sich dahinter weitere Fragen verbergen: Defilée – Ja oder Nein; Kampfflugzeuge: – Ja oder Nein; Schweiz ohne Armee – Ja oder Nein. Die jetzige Initiative macht den Aufbau einer Alternative zum zentralen Thema, nicht den Status quo.
Matthias Scheller: Die GSoA Genf schlägt mit der Initiative vor, dass die Sicherheit im Kanton und die Sicherheit internationaler Konferenzen von zivilen Organen gewährleistet werden soll. In einem Zeitungskommentar im <Courrier> wird Euch vorgeworfen, Ihr würdet damit die Idee einer Bundespolizei unterstützen. Wie stellt Ihr Euch diese zivilen Sicherheitskräfte vor? Wer kontrolliert sie demokratisch und wie?
Tobia Schnebli: Zuerst muss ich sagen, dass die Idee, die Armee erbringe einen Beitrag zur Sicherheit der Konferenzen, grösstenteils die Frucht der PR- Bemühungen der Armee ist, die sich damit relegitimieren will. Ihre Behauptung, ohne sie wäre Arafat nicht nach Genf gekommen, muss man zumindest relativieren: Die Polizeikräfte des Kantons reichen aus, um die Sicherheit der Konferenzen zu gewährleisten. Das Resultat unserer Initiative ändert nichts am Bestand der Genfer Polizei. Im übrigen ist der Entscheid über eine Bundespolizei unabhängig von der Initiative. Hingegen wäre ein Armeeinsatz wie 1932 verfassungswidrig. Die bürgerliche Mehrheit der Bundesversammlung hat auf dieser Einsatzmöglichkeit der Armee beharrt.
Luc Gilly: Sollten die Polizeikräfte Genfs nicht ausreichen, könnten auch Polizisten aus anderen Kantonen eingesetzt werden.
Roderic Mounir: Die Polizei ist auf jeden Fall einfacher zu kontrollieren und ihr Einsatz ist anders legitimiert als der Einsatz der Armee, die sich als Staat im Staat benimmt.
Matthias Scheller: Ich möchte die Diskussion ausdehnen auf jenen vierten Artikel des ersten Vernehmlassungsvorschlags zur GSoAII, der einen Resttruppenbestand von 800 Personen erlaubt. In Genf schien diese Idee nicht auf Begeisterung zu stossen. Ihr habt an der GSoA- Vollversammlung beantragt, diesen Punkt zu streichen.
Roderic Mounir: Zuallererst erscheint es mir als Widerspruch in einer Initiative, die einen Bruch mit der militärischen Tradition zum Thema hat. Ich denke, dass dies auch auf internationaler Ebene geschehen sollte. Wenn ich sehe, wie die Schweiz im Rahmen des Internationalen Währungsfonds politisiert, bin ich eher skeptisch.
Tobia Schnebli: Ich gehe davon aus, dass der zweite Teil des Initiativpakets eine Alternative bieten sollte. Im Moment hirne ich an einem UNO-Beitritt der Schweiz und einer Beteiligung an Blauhelmaktionen herum. Die Probleme dabei sind die fehlende Autonomie in diesem Rahmen und die fehlende demokratische Kontrolle dieser Einsätze. Ich merke, dass ich in Genf damit nicht als Prophet gelte.
Luc Gilly: Ich denke, dass im Moment, wo wir dieses zweite Initiativpaket lancieren, dieseFrage längst von der Politik überholt ist, sei es im europäischen Rahmen oder in einem anderen. Es ist nicht Aufgabe der GSoA, diese Debatte zu führen. Wir müssen neue Ideen bringen.
Tobia Schnebli: Auf jeden Fall dürfte diese Truppe nur ein kleines Steinchen im Mosaik der umfassenden Friedenspolitik bilden.
Roderic Mounir: Essentiell ist für mich, dass Gewalt nicht instrumentalisiert wird.
Der Initiativtext:
Initiative populaire cantonale Genève, République de paix Art. 160D (nouveau):
1. Dans la limite du droit fédéral, le canton développe et applique une politique de sécurité fondée sur la mise en oeuvre de moyens pacifiques, aptes à résoudre tout conflit au niveau local et international. Il encourage activement la recherche et la promotion de mesures de prévention des conflits à travers le développement d’une véritable culture de la paix. Cette politique est realisée par les autorites cantonales et communales, l’administration et les institutions publiques dans le cadre de leurs attributions.
2. Dans ce but, le canton soutient toute démarche visant le désarmement global, la coopération et la solidarité entre les peuples et le respect des droits de l’homme et de la femme. Il intervient dans ce sens auprès des institutions nationales et internationales compétentes. En particulier, le canton encourage: a) la réduction des dépenses militaires; b) la restitution à des usages civils des terrains affectés à l’armée dans le canton en intervenant auprès de la Confédération; c) la conversion civile des activités économiques, financières et institutionnelles en rélation avec le domaine militaire.
3. Le canton oeuvre pour la prévention des conflits et le développement d’une culture de la paix, notamment par: a) l’encouragement de la recherche pour la paix et le soutien des actions de la société civile pour la solution non-violente des conflits; b) la participation à la création et au financement des activités d’un institut de recherche pour la paix; c) le développement d’un programme d’éducation à la paix dans le cadre de l’instruction publique, aux niveaux primaire et secondaire; d) l’accueil des victimes de la violence, dans la mesure des moyens du canton; e) la promotion du service civil, a travers la diffusion de toute information utile et le développement de projets et d’activites permettant la réalisation de ce service. L’accès volontaire à ceux-ci est ouvert a toute personne établie dans le canton; f) le renoncement à toute manifestation de promotion de l’institution et des activités militaires dépassant le cadre strict des obligations cantonales et communales en la matière.
4. Le canton met en oeuvre et développe des moyens non-militaires pour garantir la sécurité de la population: a) il encourage la prise en charge de toutes les tâches concernant la sécurité dans le canton par des organis- mes civils; b) il renonce à l’engagement des troupes de l’armée pour assurer le service d’ordre; c) il dispose, dans le domaine des conférences internationales, d’un délai de cinq ans dès l’entrée en vigueur du présent article pour garantir la sécurité des conférences internationales par des moyens non-militaires.
5. La loi règle tout ce qui concerne l’exécution du présent article.